Berlin. Fans von Hertha BSC sind in den vergangenen Jahren nicht gerade verwöhnt worden. Seit dem im Februar 2020 krachend gescheiterten Engagement von Jürgen Klinsmann gab es fünf Trainer. Das ernüchternde Ergebnis: Fast-Abstieg, Streit im Team und in der Führungsetage, ständige Aufregung um Investor Lars Windhorst. Den Begriff „Chaos-Club“ haben sich die Berliner redlich verdient.
Warum spricht bei Hertha kaum jemand über Fußball?
Weil die Hertha zuletzt mit einer Palastrevolution für Schlagzeilen sorgte. Kay Bernstein wurde überraschend zum neuen Präsidenten gewählt. Die Mitglieder hatten offenbar die Nase voll von Kungeleien und wählten einen Mann an die Spitze, der keinerlei Erfahrung in der Führung eines Vereins hat. Die Wahl war eine krachende Niederlage für das Establishment des Clubs, denn hinter den Kulissen war ausgemacht, dass CDU-Politiker Frank Steffel neuer Präsident wird.
Ein Ultra an der Vereinsspitze: Kann das funktionieren?
Die Frage ist falsch gestellt, denn Kay Bernstein hat zwar eine Vergangenheit als Ultra-Fan in der Kurve, er ist aber auch ein erfolgreicher Unternehmer. Der 41-Jährige möchte die Hertha wieder erden. Weg vom Image der launischen Diva von der Spree, zurück zum ehrlichen Arbeiterclub aus Wedding. Aufbruchstimmung hat er schon erzeugt. Seine Wahl hat aber auch gezeigt, dass es bei der Hertha zwei große Lager gibt, die sich nahezu unversöhnlich gegenüberstehen.
Was ist vom neuen Trainer Sandro Schwarz zu erwarten?
Der frühere Mainzer Coach, zuletzt für Dynamo Moskau verantwortlich, tritt selbstbewusst auf und will „mutig in der Verteidigung und mit dem Ball zielstrebig nach vorn spielen“. Außerdem möchte der 43-Jährige, dass die Hertha künftig „außerhalb des Platzes geschlossen auftritt“. Auch eine schwierige Aufgabe.
Ist schon absehbar, mit welchem Team Schwarz starten kann?
Nein, überhaupt noch nicht. Viele Leihspieler kommen zurück. Sie müssen oder sollen aber nicht alle bleiben. Krzysztof Piatek und Dodi Lukebakio könnten etwa dringend benötigtes Geld einbringen. Santiago Ascacibar hatte bereits mitgeteilt, wechseln zu wollen. Bobic will das Budget des Clubs weiter abbauen und mit den Transfers mehr Geld einnehmen als ausgeben. Jüngster Neuzugang ist der Kroate Ivan Sunjic, der von Birmingham City kommt.
Welche Rolle wird Kevin-Prince Boateng spielen?
Boateng wird definitiv weiter zum Team gehören. Mit dem 35-Jährigen hat Schwarz eines seiner ersten Gespräche geführt und danach bekundet, das Gespräch sei offen klar und ehrlich sowie eine gute Basis gewesen, um weiter zusammenzuarbeiten.
Welches Saisonziel ist für die Hertha realistisch?
Das lässt sich angesichts des unvollständigen Kaders noch nicht einschätzen, aber zu erwarten ist eher wieder Abstiegskampf als das Rennen um einen Europapokalplatz. Vom Start wird viel abhängen, denn da steht gleich das Derby gegen den 1. FC Union an.
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