Fußball

Titelreife auf dem Prüfstand

Um im Top-Duell gegen Spanien zu bestehen, muss beim DFB-Team der Defensivblock funktionieren

Von 
Frank Hellmann
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Möchte auch gegen Spanien wieder jubeln: Abwehrchefin Marina Hegering (l.) zeigte gegen Dänemark eine starke Leistung. © Sebastian Christoph Gollnow/dpa

London. Es soll vorangehen im deutschen Frauenfußball, und zwar nicht mehr im Kriechgang, sondern im Eiltempo. Deshalb ist pünktlich vor der EM in England vom Deutschen Fußball-Bund ein schönes Strategiepapier („Frauen im Fußball FF27“) aufgesetzt worden, wobei gleich im Titel ein Anglizismus steckt. „FF“ steht für „fast forward“. Schnell vorwärts soll es gehen, wobei das deutsche Nationalteam als wichtigster Treiber sich diesen Slogan zu Herzen genommen hat. Nun wollen die DFB-Frauen ihren rasanten Fortschritt im zweiten EM-Gruppenspiel gegen Spanien (Dienstag 21 Uhr/ARD) bestätigen.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg erwartet ungeachtet des Ausfalls von Weltfußballerin Alexia Putellas ein Weltklasseteam, wenn es im Duell zweier Titelanwärter um den Gruppensieg geht. Erst kürzlich hielt die 54-Jährige fest: „Spanien ist in vielen Bereichen die Benchmark.“ Doch Selbstvertrauen und Selbstverständnis hat sich auch ihre Auswahl zurückgeholt, wovon sich in Brentford nun auch die allererste Leadership-Reise aus der Frauen-Bundesliga überzeugen will. Insgesamt 17 Vereinsvertreter mit DFB-Akademieleiter Tobias Haupt und dem Sprecher Frauen-Bundesligen, Siegfried Dietrich (Eintracht Frankfurt), erhoffen sich bei einem viertägigen Trip neue Impulse.

Doch mitunter schadet auch der Blick in die Vergangenheit nicht. Als das DFB-Team bei EM oder WM regelmäßig die Trends setzte, bildete die Defensive eigentlich immer die Basis, erinnert sich die einstige Weltklassetorhüterin Silke Rottenberg. „Abwehrarbeit beginnt natürlich nicht erst am eigenen Sechzehner. Dennoch waren schon immer eine dominante Abwehr und eine starke, gut aufgelegte Torhüterin ein sehr wichtiger Garant auf dem Weg zum Titel“, sagt die zweimalige Weltmeisterin und dreimalige Europameisterin, die heute die Ausbildung der DFB-Nachwuchstorhüterinnen verantwortet.

Es muss kein Hurra-Stil sein

Der letzte von acht EM-Titeln 2013 in Schweden wurde auch nicht mit einem spektakulären Hurra-Stil, sondern einer disziplinierten Teamleistung errungen. In den K.o.-Spielen gegen Italien, Schweden und Norwegen hieß es drei Mal 1:0. Diesen (defensiven) Ansatz haben Trainerteam und Mannschaft längst verinnerlicht. Torhüterin Merle Frohms bekam gegen Dänemark (4:0) nur einen richtigen Schuss zu halten. „Wenn zehn vor mir einen guten Job machen, stecke ich gerne zurück“, sagt die 27-Jährige. Sie hat zudem festgestellt: „Auch nonverbal klappt die Kommunikation viel besser.“ Man harmoniert, auch ohne gegen ein ausverkauftes Stadion anschreien zu müssen.

Kathrin Hendrich in Topform

Eigentlich galt gerade die Viererkette zuvor als Achillesferse. Doch aus der Wackelabwehr könnte ein Bollwerk werden, findet Marina Hegering. „Spanien wird uns anders fordern“, glaubt die mit geringer Spielpraxis zur EM gereiste Abwehrchefin. Nur eine Gelbe Karte trübte die Freude über ihren gelungenen ersten Auftritt. Sie empfiehlt gegen Spanien: „Sehr gutes Pressing spielen und kompakt bleiben, weil sie mit Kurzpässen da gerne reinspielen.“ Die mit 32 Jahren älteste deutsche Spielerin lief am Freitag die drittmeisten Kilometer (10,0), weil sie sich ständig in den Aufbau einschaltete.

Sie profitierte davon, dass Kathrin Hendrich ihre überragende Saison beim VfL Wolfsburg direkt ins Nationalteam überträgt. Die 30-Jährige fühlt sich in der zentralen Rolle viel wohler, „man hat einen anderen Bezug zum Spiel“. Hendrich und Hegering – das könnte nicht nur namentlich passen. Dass beide erst das zweite Mal in dieser Konstellation die Abwehrzentrale bildeten, war ihnen nicht anzumerken. Sicherheit vermittelte im defensiven Mittelfeld eine Lena Oberdorf, die ihre überragende Physis auch gegen Spanien ausspielen muss.

Der 20-Jährigen haben englische Vereine wieder derart unmoralische Angebote gemacht, dass der Doublesieger Wolfsburg ihren Vertrag vorsorglich bis 2025 verlängert hat. „Lena wäre für jede Mannschaft der Welt eine absolute Verstärkung“, sagt Ralf Kellermann, der Sportliche Leiter. Am Mittellandkanal spielt kommende Saison der gesamte deutsche Defensivblock zusammen. Frohms kehrt aus sportlichen und privaten Gründen aus Frankfurt nach Niedersachsen zurück. Bei Hegering spielen berufliche Perspektiven hinein, aus München nach Wolfsburg zu wechseln. Womit die vier zentralen Stützen bald täglich an den Abläufen feilen können, um bei der WM 2023 in Australien und Neuseeland noch etwas Großes zu vollbringen.

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