Fußball

Warum der WM-Titel für das deutsche Team ein unrealistisches Ziel ist

Mit zwei Stimmungsdämpfern verabschiedet sich die DFB-Elf in die Länderspielpause. Bundestrainer Nagelsmann gesteht, dass zur absoluten Weltspitze noch einiges aufzuholen ist.

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Alexander Müller
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Mehr als nur ein Stimmungsdämpfer: Robin Koch (v.l.), Jonathan Tah und Torhüter Marc-André ter Stegen nach Frankreichs Treffer zum 0:2 in Stuttgart. © Marijan Murat/dpa

Stuttgart. Als sich die Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft am Sonntagnachmittag in der Stuttgarter Arena vom Publikum verabschieden wollten, hatten die meisten Fans ihre schwarz-rot-goldenen Fähnchen schon eingepackt. Statt mit frischem Rückenwind geht die DFB-Elf nach der 0:2 (0:1)-Niederlage im Spiel um Platz drei der Nations League gegen Frankreich mit etlichen Fragezeichen in die WM-Saison. Unser Überblick zur Situation bei der deutschen Auswahl.

Wie bewertete der Bundestrainer das 0:2 gegen Frankreich?

Julian Nagelsmann wirkte trotz der zweiten Niederlage innerhalb von fünf Tagen sogar halbwegs zufrieden mit der Reaktion, die sein Team verglichen mit dem schwachen Auftritt beim 1:2 im Halbfinale gegen Portugal vor allem in Sachen Mentalität gezeigt hatte. „Am Mittwoch hatte ich kein besonders gutes Gefühl, heute ist es deutlich besser. Wir haben uns in allen Bereichen verbessert. Tore gehören aber auch dazu. Wir haben uns viele Chancen herausgespielt, die wir nicht genutzt haben“, sagte Julian Nagelsmann. In der ersten Halbzeit begann die DFB-Elf stark, doch nach Kylian Mbappes 0:1 kurz vor der Pause (45.) zeigte die Formkurve nach unten. Bayern-Angreifer Michael Olise nutzte eine von vielen französischen Konterchancen zum 0:2 (84.). Aufregung gab es außerdem noch um einen per VAR zurückgenommenen deutschen Foulelfmeter in der ersten Hälfte an Karim Adeyemi (35.) und einen letztlich ebenfalls nicht gegebenen Treffer von Deniz Undav (53.), vor dem Niclas Füllkrug Adrian Rabiot gefoult haben sollte.

Das Ziel war der Titel bei der „Mini-EM“, jetzt beendet die DFB-Elf das Finalturnier der Nations League im eigenen Land auf dem letzten Platz. Mehr als nur ein Stimmungsdämpfer?

Auf jeden Fall haben die beiden Auftritte gegen Portugal und Frankreich gezeigt, dass die deutsche Mannschaft von der absoluten Weltspitze weiterhin noch ein gehöriges Stück entfernt ist. „Ich spüre, dass wir dran sind. Ich bin aber kein Wunderheiler“, sagte Nagelsmann. Der Gastgeber hat seine Grenzen und Schwächen schonungslos aufgezeigt bekommen. „Wir sind noch ein paar Prozentpunkte hinter den Topteams dieser Welt“, sagte Nagelsmann. „Wir können in zwei Jahren nicht die Welt einreißen. Da können wir nicht die Versäumnisse von acht Jahren aufholen.“

Direkt nach der Europameisterschaft hat der Bundestrainer den Titel bei der WM 2026 als Ziel ausgerufen. Ist das überhaupt ein realistisches Ziel?

Es ist, zurückhaltend formuliert, zumindest eine sehr mutige Zielvorgabe. Wenn alle Eckpfeiler fit sind – dazu gehören die diesmal fehlenden Jamal Musiala, Antonio Rüdiger und Kai Havertz – schickt der DFB ein auf hohem Niveau konkurrenzfähiges Team in die USA, nach Kanada und Mexiko. Aber es bestehen weiter Probleme auf einzelnen Positionen – und in der Kadertiefe. „Es gibt im deutschen Fußball Positionen, die zu wenig beachtet werden: Außenstürmer oder Außenverteidiger“, meinte Nagelsmann. Während Frankreich Stars wie Olise oder den frisch gekürten Champions-League-Gewinner Desire Doue einwechseln konnte, saßen auf der deutschen Bank viele Mitläufer und Zählkandidaten. An diesen Unterschieden in der individuellen Qualität wird sich auch bis Sommer 2026 nichts Grundlegendes ändern.

Wird es zur neuen Saison im DFB-Team wieder einen personellen Umbruch geben?

Ja, allein dadurch bedingt, dass die oben angesprochenen Rekonvaleszenten zurückkehren dürften. Für Profis wie Robin Gosens, Serge Gnabry, Thilo Kehrer, Robert Andrich oder Felix Nmecha dürfte es dann sehr schwer werden, beim Start in die WM-Qualifikation einen Kaderplatz zu bekommen. Andererseits sprach Nagelsmann am Sonntag von einem „Schattenteam“, also Spielern, die er für die neue Saison auf seinem Zettel hat. Dazu dürfte neben den Debütanten Nick Woltemade und Tom Bischof auch der Frankfurter U-21-Nationalspieler Nathaniel Brown gehören, der bei guter Entwicklung perspektivisch die Probleme auf der Linksverteidiger-Position beheben könnte.

Ist die WM-Qualifikation ein echter Prüfstein für die deutsche Mannschaft?

Eher nicht. „Wir dürfen in der WM-Qualifikation keinen Schritt weniger gehen. Dann werden wir da hoffentlich durchmarschieren“, gab Nagelsmann in Stuttgart vor. Die Gegner fallen allesamt in die Kategorie „lösbar“. Los geht es am 4. September mit dem Spiel in der Slowakei, das aktuell Platz 46 der FIFA-Weltrangliste belegt. Am 7. September empfängt das DFB-Team dann in Köln den 71. der FIFA-Weltrangliste, Nordirland. Bis zum Ende des Jahres wird die WM-Quali schon abgeschlossen sein. Zunächst gastiert Luxemburg (91. der FIFA-Weltrangliste) am 10. Oktober in Sinsheim, am 13. Oktober geht es für den DFB-Tross nach Nordirland. Am 14. November steht das Spiel in Luxemburg an, bevor am 17. November in Leipzig der Quali-Abschluss gegen die Slowakei ansteht.

Pressestimmen

Le Figaro (Frankreich): „Ein Lächeln und ein wenig Leichtigkeit zum Abschluss der Saison. Didier Deschamps und seine Truppe hätten vorher unterschrieben, diese Emotionen im kleinen Finale der Nations League zu erleben. Die französische Mannschaft gewann gegen Deutschland (0:2), das sich nicht gerade mit Ruhm bekleckerte.“

L‘Équipe (Frankreich): „Die französische Nationalmannschaft musste nicht gut spielen, um zur Halbzeit in Deutschland mit 1:0 zu führen. Die zweite Halbzeit zeigte ein völlig anderes Bild: Die deutsche Mannschaft versuchte vergeblich, etwas aufzubauen, es fehlte an Ideen und Talent, während die Franzosen im Umschaltspiel ständig gefährlich waren.“

„Der Spiegel“: „Gegen Deutschland reicht‘s auch mit halber Kraft. Ohne den erhofften Rückwind aus der Nations League geht Deutschland ins WM-Jahr. Engagiert, aber limitiert unterlag die DFB-Elf den Franzosen – obwohl denen das Spiel um Platz drei herzlich egal war.“

„Kicker“: Doch dieser letzte Länderspiel-Lehrgang der Saison muss Nagelsmann die Augen geöffnet haben, wie weit er mit seiner Mannschaft vom propagierten Titelziel bei der WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada entfernt ist. So naiv und defizitär, wie die deutsche Mannschaft in München und Stuttgart aufgetreten ist, ist der von ihm ausgerufene große WM-Coup in der Kürze der Zeit ein viel zu kühnes Unterfangen.“

Redaktion Fußball-Reporter: Nationalmannschaft, SV Waldhof, Eintracht Frankfurt, DFB

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