Olympia

Zehn Jahre Thomas Bach als IOC-Präsident: Der Mann zwischen Krieg und Sport

Der mächtigste Mensch im Weltsport ist ein Deutscher. Thomas Bach aus Tauberbischofsheim steht seit 2013 an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees. Für einige hat er in dieser Zeit die Olympischen Werte verraten.

Von 
Achim Muth
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Thomas Bach hat als IOC-Präsident in zehn Jahren Spuren hinterlassen. Nicht nur positive, wie einige finden. © dpa

Am Ufer des Rio de la Plata erfüllt sich am 10. September 2013 der Lebenstraum von Thomas Bach. Und manche mag es nicht überraschen, wer den frisch gekürten IOC-Präsidenten nach der Wahl in Buenos Aires als erstes anruft: Russlands Präsident Wladimir Putin.

„Er hat mir gratuliert und eine gute Zusammenarbeit angekündigt“, erzählt Bach, der sich aus Tauberbischofsheim aufgemacht hat, um der mächtigste Mann im Weltsport zu werden.

Früh wird Bach als „traditionsbehafteter, kleinbürgerlicher und konservativer“ bezeichnt als viele denken würden – so etwa in der „Main-Post“. Doch sollte diese Charakterisierung nicht auf eine falsche Fährte führen. Der Nachfolger des Belgiers Jacques Rogge ist ein Mann, der Ziele verfolgt. Bach selbst sagt damals: „IOC-Präsident wird man nicht, ohne es zu wollen.“ Der Plan geht auf.

„Bach ist ein Machtmensch durch und durch“, sagt eine, die ihn gut kennt: Dagmar Freitag. Die 70-Jährige gehört von 1994 bis 2021 für die SPD dem Deutschen Bundestag an. Von 2009 bis zu ihrem Ausscheiden ist sie dort Vorsitzende des Sportausschusses. Freitag ist tief verwurzelt in der Sportpolitik. Bach hat aus ihrer Sicht „einen ausgeprägten Sinn für Seilschaften und weiß, wie man Bünde schmiedet“.

Nun also ist ein Ex-Fechter aus einer tauberfränkischen Kleinstadt als erster Deutscher im höchsten Amt, das der Weltsport zu vergeben hat und das mit einer Aufwandsentschädigung von jährlich 225 000 Euro dotiert ist. Schon fünf Monate später wartet die erste Bewährungsprobe: die Olympischen Winterspiele im russischen Schwarzmeer-Badeort Sotschi.

Eine Bewährungsprobe werden die Spiele tatsächlich. Aber anders als erwartet – und erst etwas später. Im Dezember 2014, ein Dreivierteljahr nach Olympia, berichtet die ARD über systematisches Doping in Russland. Im Frühjahr 2016 enthüllt die „New York Times“ dann unter Berufung auf einen Kronzeugen, dass in Sotschi positive Dopingproben russischer Athleten auf staatliche Anordnung vertauscht und die Fälle vertuscht worden sind. Bach spricht damals von „schockierenden Dimensionen“.

Die Reaktion gegenüber Russland wenige Monate vor den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro indes fällt milde aus. Während das Internationale Paralympische Komitee alle russischen Athletinnen und Athleten ausschließt, verzichtet das IOC auf eine generelle Sperre.

Bach besucht daraufhin – anders als seine Vorgänger – die Paralympics nicht. Eine Riposte des Ex-Fechters? Offiziell begründet er seine Abwesenheit mit der Beerdigung seines FDP-Parteifreundes Walter Scheel. In den Medien und von Funktionären wird ihm indes ein beschämender Umgang mit dem Behindertensport vorgeworfen.

Clemens Prokop bewertet Bachs Umgang mit dem Dopingskandal im Rückblick kritisch. „Meine prägende Wahrnehmung von Bach ist, dass er keinen klaren sportpolitischen Leitfaden hat“, sagt Prokop, der von 2001 bis 2017 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands war. „Als die Skandale um manipulierte Dopingkontrollen in Sotschi und das russische Staatsdoping bekannt wurden, hat er für mich vollkommen unverständlich argumentiert.“

Prokop weiter: „Wenn man ein Land von Olympia ausschließen muss, weil es gegen die Prinzipien der Olympischen Charta verstoßen hat, dann wäre es Russland nach Sotschi gewesen. Mit der Zulassung russischer Athleten bei Olympia 2016 trotz erwiesenen Betrugs wurde der Olympische Geist mit Füßen getreten.“

Das IOC sieht sich zunehmend mit Kritik konfrontiert: Sucht Olympia die Nähe zu Autokraten – wie bei den Winterspielen 2022 in Peking? „Das IOC geht bevorzugt dorthin, wo es die besten Sponsoringverträge abschließen kann und wo die Bevölkerung möglichst keinen Ärger macht“, sagt Dagmar Freitag. „Olympische Spiele in Staaten wie Russland und China sind eine Win-win-Situation: Das IOC hat seine Ruhe und der Präsident kann sich mit den mächtigsten Männern der Welt auf dem roten Teppich feiern lassen.“

Autokraten betreiben laut Freitag „mit großem Ehrgeiz und leider auch Erfolg das, was allgemein als Sportswashing bezeichnet wird: Volle Stadien und begeisterte Menschen sorgen für schöne Fotos, die um die Welt gehen und so das öffentliche Bild dieser Länder und auch ihrer Staatschefs prägen“.

Bach, so die ehemalige Bundespolitikerin, agiere wie ein Alleinherrscher: „Bach ist das IOC. Außer ihm spricht dort niemand. Und wer je öffentlich eine abweichende Meinung äußerte, wurde abgestraft. Wo Thomas Bach ist, ist kein Platz für jemand anderen.“

Die Zeiten werden nicht ruhiger. Nicht für Bach – und schon gar nicht für die Menschen in der Ukraine. Wenige Tage nach den Olympischen Spielen in Peking lässt Putin den Nachbarstaat überfallen und Bomben auf Kiew werfen. Eine Eskalation, die die Welt erschüttert – und das IOC vor eine Zerreißprobe stellt.

In einer Mitteilung kurz nach Kriegsbeginn empfiehlt das IOC, dass internationale Sportverbände die Teilnahme russischer und belarussischer Athletinnen und Athleten an Wettbewerben nicht mehr erlauben sollten.

Ein Jahr voller Toter, Leid und erbitterter Kämpfe später öffnet Bach vor den Olympischen Spielen in Paris plötzlich aber wieder Russland die Türe: Das IOC empfiehlt, russische Sportlerinnen und Sportler sollten unter neutraler Flagge wieder zugelassen werden.

Eine Anfrage an Bach zu den Gründen beantwortet sein Sprecher mit einem Verweis auf ein Ende Juli veröffentlichtes Frage-Antwort-Stück des IOC. Dort heißt es: Die Entscheidung nach Kriegsbeginn 2022 traf das IOC, „weil die Regierungen begannen, sich einzumischen und darüber zu entscheiden, wer an welchen Wettbewerb teilnehmen darf“. Außerdem bestand aufgrund der „stark emotional aufgeladenen Situation“ auch die Möglichkeit „von Sicherheitsrisiken für russische und belarussische Athleten“ bei einer Teilnahme.

Nun aber habe das IOC erkannt, dass die Teilnahme von neutralen Athleten aus Russland bei internationalen Wettbewerben bereits umgesetzt worden sei „und funktioniert“. Zudem haben zwei Sonderberichterstatterinnen des UN-Menschenrechtsrates das IOC darauf hingewiesen, dass ein pauschales Verbot „diskriminierend wäre und eine eklatante Verletzung der Menschenrechte darstellen würde“. Das IOC habe aus der Staatengemeinschaft „viel Unterstützung“ für diesen Kurs erhalten.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagt im Februar jedoch: Sie fände es „eine Zumutung für die Ukraine, wenn russische Sportler zu Olympia zugelassen werden“. Und auch für Clemens Prokop ist diese Kehrtwende nicht nachvollziehbar: „Ich frage mich: Was hat sich nach einem Jahr Krieg geändert in der moralischen und juristischen Bewertung? Das ist für mich bei der Intelligenz von Thomas Bach ein verblüffender Bruch der Logik.“ Der Leichtathletik-Weltverband habe die Verbannung aufrechterhalten. „Das geht also“, sagt Prokop, wie Bach selbst Jurist.

Dagmar Freitag findet, Bach habe „die Problematik nur auf die Weltverbände verlagert“. Denn funktioniert die Teilnahme neutraler Athletinnen und Athleten tatsächlich reibungslos? Anders als der Leichtathletik-Weltverband lässt etwa der Welt-Fechtverband russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler starten.

„Wohin das führt, haben wir bei der Fecht-WM gesehen“, sagt Freitag. „Dort wurde eine siegreiche ukrainische Sportlerin zunächst disqualifiziert, weil sie ihrer russischen Gegnerin den Handschlag verweigerte. Erst weltweiter öffentlicher Protest führte zur Rücknahme der Disqualifikation.“ Solche Vorkommnisse seien „allein das Ergebnis der Politik von Thomas Bach und zudem ein menschliches Desaster“.

In einem Worst-Case-Szenario, so Freitag, würden die ukrainischen Athletinnen und Athleten nicht an den Olympischen und Paralympischen teilnehmen und sogenannte „individuelle neutrale Russen“ würden die Medaillen absahnen: „Perfider geht es nicht.“ Bach kritisiere diejenigen, deren Land tagtäglich zerbombt wird und in dem auch schon Athletinnen und Athleten ihr Leben verloren hätten: „Mit seinem Vorgehen zerstört er die letzten Olympischen Werte und Ideale.“

Seit zehn Jahren steht Bach nun an der IOC-Spitze. Zeit für eine Bilanz. Sein ehemaliger Fechtkollege Matthias Behr sagt, dass Bach „den deutschen und internationalen Leistungssport trotz aller Wenn und Aber in die Zukunft geführt hat. Sein Vermächtnis für das IOC wird riesengroß sein.“

Bachs Ruf in der Heimat in Tauberbischofsheim ist weitgehend unbeschadet. Einmal „Bischemer“, immer „Bischemer“. Das Rathaus plant bereits eine Feier zu Bachs 70. Geburtstag im Dezember.

Kritischer fällt Clemens Prokops Bewertung aus: Bachs proklamierte Autonomie des Sports sei „eine Illusion“. Sport und Politik könne man nicht trennen. „Sport wird von vielen Systemen wenn nicht als Ersatzkrieg, so doch als Profilierung verwendet. Sport ist eben nicht der individuelle Vergleich, sondern auch der Vergleich von politischen Systemen. Sonst würde die Bundesregierung nicht mit Millionen den Hochleistungssport unterstützen.“

Bachs Vermächtnis? Prokop wird nachdenklich: „Es ist schwierig, bereits vor dem Ende der Amtszeit ein Resümee zu ziehen.“ Er honoriert Bachs Reformen, die er im IOC angestoßen habe. So wird Olympia etwa nachhaltiger. Paris hat angekündigt, den CO2-Fußabdruck im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Sommerspielen zu halbieren. „Olympiastädte können Wettbewerbe auch außerhalb machen, wenn dort bereits eine Infrastruktur vorhanden ist. Das ist sinnvoll“, sagt Prokop.

Er meint aber auch: „Ich glaube, dass er der IOC-Präsident sein wird, der an den moralischen Herausforderungen des Sports gescheitert ist und den Sport hierdurch der Gefahr einer Spaltung aussetzt.“

Und was kommt für Bach nach seiner Amtszeit, die turnusgemäß 2025 nach zwölf Jahren enden müsste. Er werde sich zurückziehen, dem Sport aber mit Leidenschaft verbunden bleiben, hat er einmal gesagt.

Dagmar Freitag präsentiert noch eine Variante: „Ich wäre keinesfalls überrascht, wenn er sich von der IOC-Vollversammlung bitten lassen würde, noch vier Jahre dranzuhängen – und dafür die Statuten zu ändern.“ Genau danach sieht es aktuell aus.

Thomas Bach

Der 69-Jährige wurde in Würzburg geboren und wuchs in Tauberbischofsheim auf.

In Würzburg studierte er Rechts- und Politikwissenschaften. In Tauberbischofsheim eröffnete er anschließend eine Rechtsanwaltskanzlei.

In den 70er-Jahren war Bach als Florettfechter aktiv. Sein größter Erfolg war der Olympiasieg mit der Mannschaft 1976 in Montreal.

Seit 1991 ist Bach Teil des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Seit 2013 als dessen Präsident.

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