Prozess nach Messerattacke: Statement von Eve Laur

Im Prozess um das Mannheimer Messerattentat haben am Dienstag die Anwälte der Nebenkläger plädiert. Wir dokumentieren das Statement von Eve Laur, der Schwester des getöteten Polizisten Rouven Laur.

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Eve Laur
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Eve Laur und ihr Bruder Rouven. © Privat

1. Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren des Gerichts, mein Name ist Eve Laur und ich bin die jüngere Schwester von Rouven. Ich möchte Rouven heute ein letztes Mal eine Stimme geben und Ihnen beschreiben, was für ein besonderer Mensch mein Bruder war, wie viel er mir bedeutet hat und wie grausam und ungerecht es ist, dass er nicht mehr hier ist. Ich will, dass Rouvens Mörder genau weiß, welchen Menschen er am 31. Mai feige von hinten mit dem Messer angegriffen und getötet hat. Und ich möchte ihnen mitteilen, welches Leid meiner Familie und mir mit dieser Tat zugeführt wurde. Wie wir den 31. Mai erlebt haben und wie sich mein Leben dadurch verändert hat. Das ist der Grund, wieso ich heute hier spreche.

2. Wer war Rouven für mich?

Rouven war nicht einfach nur mein Bruder, Rouven war ein unglaublich wichtiger Teil meines Lebens und mein Verstand will es auch nach über einem Jahr immer noch nicht begreifen, dass er einfach nicht mehr da ist. Mein großer Bruder, der mich mein ganzes Leben schon begleitet hat und ich ein Leben ohne ihn bis dahin gar nicht kannte, ist einfach nicht mehr hier.

Rouven war einer der intelligentesten Menschen, der mir je begegnet ist und obwohl uns nur eindreiviertel Jahre trennten, hatte ich immer das Gefühl, er ist mir deutlich voraus. Sowohl in seiner Ausdrucksweise als auch in der Art, wie er manche Dinge sah. Er hatte ein unglaubliches Wissen und man konnte mit ihm über alles reden und auch diskutieren, unabhängig davon um was es ging. Es gab fast kein Thema, zu dem er nicht eine durchdachte Meinung oder eine Antwort parat hatte. Rouven war jemand, der andere zum Nachdenken brachte, der Diskussionen nicht aus dem Weg ging, sondern sie mit Leidenschaft führte – und trotzdem nie den Respekt vor seinem Gegenüber verlor. Rouven hatte eine besondere Gabe, Menschen zu inspirieren, das Beste aus sich rauszuholen.

Rouven hat einen sehr großen Beitrag geleistet, dass ich zu dem Menschen geworden bin, der heute hier stehe. Ich verdanke ihm so viel, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Als Kinder haben wir oft gestritten, manchmal über die banalsten Dinge. Aber mit den Jahren haben wir gelernt, einander zu verstehen, und aus uns Geschwistern wurden echte Freunde. Rouven wurde zu jemandem, den ich nicht nur respektiert habe, sondern auf den ich immer zählen konnte. Ich habe so viel von ihm gelernt, vor allem, was es bedeutet, füreinander da zu sein, nie aufzugeben und an sich selbst zu glauben. Er hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, etwas aus seinem Leben zu machen und dass man alles schaffen kann, wenn man es nur will. Dass man immer Respekt haben soll, egal wer vor einem steht. Dass Familie das Wichtigste im Leben ist. Dass man stark sein und sich nicht unterkriegen lassen soll, egal was man gerade durchmacht und stets seine Ziele verfolgen soll. Stärke, die mir gerade jetzt in dieser schweren Zeit sehr hilft. Seine Werte, seine Entschlossenheit und sein Optimismus haben mich geprägt, und ich versuche, diese Dinge jeden Tag weiterzutragen – so, wie er es getan hätte.

Doch nicht nur sein klarer Verstand hat ihn ausgemacht. Rouven hatte die Fähigkeit, andere zu motivieren, ihnen Mut zu machen und sie auch in schweren Zeiten aufzumuntern. Wenn ich mal nicht weiter wusste hat er es immer geschafft, dass ich die Dinge nicht so schwer sehe und mir immer das Gefühl gegeben, dass ich alles schaffen kann. Er hat immer an mich geglaubt, selbst wenn ich an mir gezweifelt habe.

Rouven war jemand, auf den ich mich immer verlassen konnte. Ob ich einen Rat oder Hilfe bei einem Problem brauchte, von einer Party abgeholt oder meine Masterarbeit Korrektur gelesen werden musste – Rouven war immer da. Als ich vor ein paar Jahren umgezogen bin, war er der erste, der seine Hilfe angeboten hat, auch wenn er dafür hunderte Kilometer anreisen musste. Vor kurzem bin ich erneut umgezogen und es macht mich immer noch unendlich traurig, dass ich nicht mit ihm, sondern nur mit seinen Möbeln umgezogen bin – Möbel, die ich nach seinem Tod bekommen habe. Es war, als würde ich einen Teil von ihm mitnehmen, und doch war er nicht da. Jeder Karton, jedes Stück, das einmal ihm gehört hatte, hat mir noch einmal vor Augen geführt, dass er fehlt – und dass ich stattdessen nur Dinge von ihm habe, aber nicht ihn.

Rouven war lebensfroh, voller Energie, sympathisch und hatte das Herz am rechten Fleck. Er war sehr ehrgeizig und hat immer alles gegeben, um seine Ziele zu erreichen. Sowohl beruflich als auch privat. Ich habe Rouven immer dafür bewundert, wie sehr er in seinem Beruf aufgegangen ist. Er hat seine Arbeit mit so viel Leidenschaft gemacht, dass man sofort gemerkt hat, wie wichtig sie ihm war und wie sehr er sich mit dem Polizeiberuf identifiziert hat. Egal, wie anstrengend oder herausfordernd es war, er hat sich nie darüber beschwert. Stattdessen hat er alles mit einer positiven Einstellung angepackt und war immer optimistisch, dass er alles schaffen kann. Vor rund einem Jahr hat er mir per WhatsApp ein Bild von seiner Beförderung zum Polizeihauptkommissar mit dem dritten silbernen Stern geschickt. Ich war so stolz auf ihn und habe mich so sehr für ihn mitgefreut, dass sich sein Fleiß auszahlt. Für mich war Rouven der geborene Polizist und ich konnte mir keinen besseren als ihn für diesen Beruf vorstellen, weil er wirklich alles mitgebracht hat, was einen guten Polzisten, einen guten Menschen ausmacht. Er wollte noch so viel Gutes bewirken und die Welt hätte doch noch so viel mehr von einem wie ihm gebraucht.

Rouven war ein Mensch, der immer für andere da war, der mit seiner Intelligenz, seinem Gerechtigkeitssinn und seinem Humor so viel Positives in die Welt gebracht hat. Er hat in seiner Freizeit Arabisch gelernt, um Menschen zu verstehen, war offen für neue Kulturen und wollte sich für ein besseres Miteinander einsetzen. Ein Miteinander, bei dem man Respekt vor anderen hat und auch seine Meinung sagen darf. Alles wofür Rouven stand, seine Menschlichkeit, seine Werte hat der Mörder mit den Füßen getreten und für immer zerstört. Rouven hat es nicht verdient, dass gerade er Opfer dieser sinnlosen Gewalt wurde.

Rouven war für mich ein Vorbild, aber vor allem war er mein Bruder. Es fühlt sich an, als hätte der Mörder am 31. Mai auch ein Stück von mir herausgerissen, das nie wieder ersetzt werden kann. Ich kann meinen Bruder nie wieder anrufen, wenn ich etwas Spannendes erlebt habe von dem ich ihm erzählen möchte. Bekomme nie wieder seinen Rat, wenn ich vor einer Entscheidung stehe. Bekomme nie wieder eine WhatsApp Nachricht zu einem neuen Kleidungsstück zu dem ich Feedback abgeben soll. Werde nie wieder mit ihm über die Geburtstagsgeschenke für die Eltern beratschlagen können. Werde ihn nie wieder umarmen, nie wieder seine Stimme, nie wieder sein Lachen oder sein einzigartiges Niesen hören können. Die Leere, die er hinterlassen hat, ist allgegenwärtig. Es tut weh, all die Momente zu erleben, in denen ich früher zu ihm gegangen wäre, und zu wissen, dass ich das nie wieder kann. Sein Tod hat mein Leben komplett verändert – nichts ist mehr, wie es war, und nichts wird jemals wieder so sein. Rouven fehlt mir jeden Tag mehr. Aber ich trage ihn in meinem Herzen, in meinen Erinnerungen und in allem, was ich tue, weiter. Sein Leben war viel zu kurz, aber seine Wirkung auf mich ist unendlich.

3. Die Tat am 31. Mai und die ersten 24h danach

Der 31. Mai 2024 wird für mich immer der Tag sein, an dem mein Leben in zwei Teile zerbrochen ist: in ein Davor und ein Danach. Ich erinnere mich an jedes Detail, als ich erfahren habe, dass es Rouven war, der in Mannheim angegriffen wurde. Über eine Push Up Benachrichtigung eines Nachrichtensenders wurde ich darauf aufmerksam, dass es in Mannheim ein Messer Attacke gegeben hatte. Im ersten Moment hatte ich gar nicht damit gerechnet, dass Rouven in irgendeiner Weise involviert sein könnte, da er sich ja aktuell im Umlaufverfahren für den höheren Dienst befand und als stellverstretender Zugtruppenführer eigentlich nicht mehr direkt am Geschehen beteiligt war. Zumindest dachte ich das bis dahin. Doch dann ist kurze Zeit später ein Video zur Messer Attacke in den sozialen Medien aufgetaucht. Als ich dieses Video zum ersten Mal angesehen habe, wusste ich noch nicht, dass es dabei um meinen Bruder geht. Ich sah nur diese brutale Tat und dachte mir, wie krass ist das denn. Ich hatte nicht realisiert, dass es hier um Rouven ging, da alles unfassbar schnell ablief. Ich wusste noch nicht, dass die nächsten 48 Stunden die schlimmsten werden, die ich je erlebt habe. Doch dann habe ich zeitgleich eine Mitteilung meiner Mutter erhalten, dass sie im Video „Rouven“ rufen und mir sind sofort Tränen in die Augen geschossen. Es war mein Bruder, der hier zu sehen und die Stiche abbekommen hat. Keine harmlosen Stiche, sondern ein Messer mit einer riesigen Klinge wurde in den Hals meines Bruders gestochen. Je öfter ich das Video sah, desto mehr wurde mir bewusst wie brutal dieser Angriff war und ich wollte einfach nur noch bei meinem Bruder sein. Wir wurden dann von der Polizei kontaktiert und haben von ihnen erfahren, dass Rouven bereits seit mehreren Stunden notoperiert wird und Notfallseelsorger auf dem Weg zu meinen Eltern sind. Meine besten Freunde haben mich daraufhin sofort von München nach Mannheim gefahren und ich habe im Minutentakt mit meiner Mutter und Schwester telefoniert, um Updates von ihnen aus dem Krankenhaus zu erhalten. An einem Rastplatz etwa eine Stunde entfernt von Mannheim habe ich einen weiteren Anruf meiner Schwester erhalten, in dem sie mir sagte, dass Rouven vermutlich nicht überleben wird. Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Mein Kopf weigerte sich, diese Worte zu verstehen, aber mein Herz wusste es sofort und das Schlimmste was ich befürchtet hatte, war dabei, Realität zu werden. Ich bin zu Boden gesagt, mir sind sofort die Tränen rausgeschossen und ich zitterte am ganzen Körper. Es fühlte sich an, als würde die Luft um mich herum immer dünner werden, als könnte ich nicht mehr atmen. Ich wollte schreien, weglaufen, aufwachen aus diesem Albtraum, aber es gab kein Entkommen. Wir sind dann sofort weiter nach Mannheim gefahren, denn ich wollte einfach nur zu Rouven, in der Hoffnung, dass es doch nicht wahr ist, dass er es irgendwie schafft. Als ich ihm Krankenhaus angekommen bin, war meine Familie bereits in einem Besprechungsraum mit dem Arzt, der Rouven mehrere Stunden notoperiert hat. Die Aussage des Arztes, dass sie alles in ihrer Macht Mögliche getan haben aber er es nicht schaffen wird, schallt immer noch in meinen Ohren. Als der Arzt diese Worte aussprach, dass Rouven sterben wird, brach in mir alles zusammen. Bis zu diesem Moment hatte ich tief in mir drin noch Hoffnung, dass er es doch schaffen wird. Aber mit diesen Worten wurde mit endgültig der letzte Funken Hoffnung genommen. Es war, als hätte mir jemand den Boden unter meinen Füßen weggezogen. Spät abends konnten wir dann endlich zu meinem Bruder ins Zimmer. Rouven lag da, angeschlossen an all diesen Geräten, die irgendwie sein Leben aufrechterhalten sollten. Er sah aus, als würde er friedlich schlafen und ich konnte einfach nicht glauben, dass er nie wieder aufwachen wird. Ich verbrachte die erste Nacht gemeinsam mit meiner Mutter neben ihm, obwohl wir vor lauter Piepsen beide kein Auge zu bekommen haben. Aber wir wollten ihn in keiner Sekunde alleine lassen. Am Tag darauf mussten wir viele Gespräche mit den behandelten Ärzten führen und uns darauf vorbereiten, dass Rouven bald sterben und es keine Chance mehr für ihn geben wird. Am Sonntag war es dann soweit. Ich konnte es nicht begreifen, dass ich mich nun für immer von meinem Bruder verabschieden musste. Wir hatten doch gerade erst noch telefoniert und gesagt, dass wir uns schon freuen, wenn wir uns in zwei Wochen wieder sehen. Wenn wir gemeinsam zu einem Theaterstück gehen werden, das wir meiner Mutter zu ihrem Geburtstag geschenkt hatten. Der Kopf kann es einfach nicht begreifen, dass das nie passieren wird, dass die ganze Zukunft nun anders aussehen wird. Eine Zukunft ohne Rouven.

An Rouvens Sterbebett haben wir viel mit ihm geredet und gehofft, dass er uns irgendwie hört. Ich habe ihm alles gesagt was mir auf dem Herzen lag, aber vor allem wie stolz ich auf ihn bin. Als er dann für immer eingeschlafen ist, war es, als hätte ich nicht nur ihn, sondern auch ein Stück von mir verloren. Kurz nachdem er seinen letzten Atemzug machte, konnte man dabei zusehen wie mein Bruder seine Farbe veränderte und er schon die ersten Leichenflecken bekam. Ich hatte die ganze Zeit seine Hand gehalten als er gestorben ist. Doch als ich dann die Flecken an seinen Fingern bemerkt habe, fing ich an zu schreien. Es war, als hätte mein Körper jede Kontrolle verloren, als würde mein Schmerz sich einen Weg nach draußen suchen, weil er sonst zu groß gewesen wäre, um ihn zu ertragen. Sein Körper, der eben noch warm war, veränderte sich vor meinen Augen. Die Flecken breiteten sich aus, wie ein schreckliches Zeichen dafür, dass er wirklich nicht mehr da war und dass es kein Zurück mehr gab. Bis dahin hatte ein Teil von mir sich noch geweigert, es zu begreifen. Aber das hier konnte ich nicht mehr verdrängen. Das Leben war aus ihm gewichen, und nichts auf der Welt konnte ihn zurückbringen. Es war endgültig. Rouven war für immer gegangen.

4. Die Wochen danach

Die ersten Wochen nach Rouvens Tod waren ein surrealer Ausnahmezustand. Es fühlte sich an, als hätte jemand mein Leben angehalten, während die Welt um mich herum weiterlief. Wir mussten so vieles organisieren, obwohl ich emotional eigentlich völlig überfordert war. Die ersten Tage nach Rouvens Tod waren wie in einem Nebel. Ich funktionierte nur noch, weil es keine andere Wahl gab. Aber in mir war eine Leere, die mit nichts zu füllen war. Als ich morgens aufgewacht bin, habe ich als erstes an Rouven gedacht und mir kamen sofort die Tränen. Es hat sich lange angefühlt wie ein schlimmer Albtraum, aus dem ich einfach nicht mehr aufwachen kann.

Und dann die Nachrichten. Überall war Rouven. Es fühlte sich surreal an, dass ganz Deutschland plötzlich an unserer Trauer teilhatte. Mich hat es einerseits überwältigt, wie viele Menschen ihn geschätzt haben und was er für eine Wirkung hatte. Aber gleichzeitig war es schwer zu ertragen, ihn so oft in den Schlagzeilen zu sehen – reduziert auf den „Polizisten, der im Einsatz getötet wurde“. Für mich war er doch so viel mehr. Auch auf Social Media war alles voll von ihm. Es war einerseits schön zu sehen, wie viele Menschen an ihn dachten und wie viele ihn vermissten. Aber manchmal wollte ich einfach abschalten, einfach kurz vergessen, was passiert war – und das ging nicht. Er war überall. Es gab nach Rouvens Tod viele Momente, die besonders schmerzhaft waren. Einer der schwersten war, seine letzten Kleidungsstücke auszuwählen – das, was Rouven tragen wird, wenn er verbrannt wird.

Seit Jahren war ich Rouvens Beratung, wenn es um neue Klamotten ging. Wir waren oft zusammen einkaufen oder er hat mir, bevor er etwas gekauft hat, ein Bild geschickt und um meinen Rat gefragt. Also habe ich etwas für ihn ausgesucht, so wie ich ihn sonst immer bei seinen Klamotten beraten habe – ein allerletztes Mal. Ich habe etwas gewählt, was er erst kurz davor gekauft und seitdem gefühlt Tag und Nacht getragen hatte, weil es ihm so gefiel. Ich habe die Klamotten in der Hand gehalten und konnte seinen Geruch noch riechen. Es hat so typisch nach Rouven gerochen, dass ich für einen Moment das Gefühl hatte, er wäre noch da. Aber dann wurde mir wieder bewusst, wie endgültig alles war.

Die Trauerfeier für Rouven wurde von der Polizei organisiert und geplant, aber wir haben uns als Familie mit der Trauerrede und der Musikauswahl eingebracht. Ich saß in unserem zuhause, wo Rouven und ich gemeinsam aufgewachsen sind und musste eine Rede für meinen toten Bruder schreiben - wieder etwas, das mein Verstand nicht begreifen wollte. Aber wieder etwas, was sein Tod für mich auf sehr traurige Weise ein Stück realer machte. Diese Rede war uns wichtig, weil wir wollten, dass Rouven nicht nur als der Polizist gesehen wird, der im Einsatz getötet wurde, sondern als der Mensch, der er war – der Sohn, der Bruder, der immer für uns da war, der Mensch mit einem Herzen voller Humor, voller Energie und Tatendrang. Der Mensch hinter der Uniform. Ein unfassbar toller Mensch. Ein Lied, das wir für die Trauerfeier ausgesucht hatten, hatte eine ganz besondere Bedeutung für uns. Rouven hatte es früher immer mit meinem Vater gehört. Kurz nachdem wir das Lied im Krankenhaus an seinem Sterbebett abgespielt hatten, ist Rouven gestorben. Es war schwer, dieses Lied erneut bei der Trauerfeier zu hören, weil es uns sofort an die grausame Zeit im Krankenhaus zurückerinnerte. Aber es fühlte sich auch richtig an, weil es unsere Verbindung zu ihm und zu dieser schwierigen Zeit widerspiegelte.

Nach der öffentlichen Trauerfeier folgte am Tag darauf die Urnenbeisetzung von meinem Bruder. Es war für uns als Familie gut, dass wir abseits der Öffentlichkeit auch einen privaten Rahmen hatten um uns von Rouven für immer zu verabschieden. Gemeinsam mit meiner Mutter habe ich seine Urne zum Grab getragen. Es war unfassbar schwer, mir vorzustellen, dass mein Bruder, der immer so groß und stark und lebendig war, jetzt nur noch in diesem kleinen Gefäß ist. Das war eine dieser Erfahrungen, die den Schmerz auf eine Weise greifbar machen, wie es keine Worte beschreiben können. Es war zwar unglaublich hart, seine Urne zu tragen, doch irgendwie fühlte es sich auch richtig an. Es war, als ob ich damit noch einmal für ihn da sein konnte, so wie er immer für mich da war. Als ob ich ihm in diesem letzten Moment ein letztes Mal noch etwas zurückgeben konnte.

Zwischen all diesen Aufgaben und Eindrücken gab es Momente, in denen ich einfach nur allein sein wollte. Aber selbst da holten mich die Gedanken ein. Die Erinnerungen an Rouven waren immer da. Es war schwer, mit der Realität klarzukommen, dass er nie wieder zurückkommt. Dass er nie wieder nach Hause kommen wird. Und doch musste ich irgendwie weitermachen – obwohl ich oft nicht wusste, wie. Drei Monate nach der Tat bin ich wieder in meinen Beruf zurückgekehrt. Das fiel mir unglaublich schwer. Nach dem Tod meines Bruders hat sich alles unwichtig und leer angefühlt. Doch ich wusste, wie stolz Rouven immer auf mich war. Er hat mir kurz vor seinem Tod gesagt, wie sehr er bewundert, wie ich mich in meinem Beruf behaupte. Das hat mir die Kraft gegeben, weiterzumachen. Es musste einfach weitergehen – nicht nur für mich, sondern auch für ihn. In jedem Schritt, den ich mache, spüre ich Rouven an meiner Seite.

5. Wie die Tat mein Leben verändert hat

Die Tat ist mittlerweile über ein Jahr her und doch fühlt es sich an, als wäre es erst gestern gewesen. Eigentlich kann ich es überhaupt noch nicht begreifen, dass Rouven nicht mehr hier ist. Es ist, als hätte der Mörder nicht nur meinen Bruder getötet, sondern auch mir mein Leben auf eine gewisse Art und Weise genommen. Alles was ich tue, fühlt sich seitdem anders an – schwerer, leerer, sinnloser. Die Tage ziehen an mir vorbei, aber ich habe oft das Gefühl, dass ich nur noch funktioniere, ohne wirklich zu leben. Die Tat hat mir meine Lebensfreude genommen, meine Fähigkeit, im Moment zu sein und mich auf die Zukunft zu freuen. Es ist ein Gefühl, als würde ich in zwei Welten leben. Eine, in der alles weitergeht, in der die Menschen um mich herum arbeiten, lachen, Pläne schmieden. Und eine andere, in der Rouven fehlt – und mit ihm so vieles, das mein Leben ausgemacht hat. Die unbeschwerte Version von mir, die an das Gute im Leben geglaubt hat, existiert nicht mehr. Ich hatte unglaublich Angst vor meinem 29. Geburtstag. Es ist eine absurde Vorstellung, dass ich jetzt auf einmal genauso alt bin wie mein großer Bruder. Ich habe Angst vor meinem 30. Geburtstag, denn dann bin ich auf einmal älter als er. Selbst die kleinen Dinge, die mir früher Freude bereitet haben fühlen sich jetzt leer an. Berufliche Erfolge werden nie wieder das sein, was sie mal waren, weil ich Rouven nicht mehr davon erzählen kann. Alles, was ich tue, wird überschattet von der Tatsache, dass Rouven nicht mehr da ist, dass er nie wieder zurückkommt. Familienfeiern, Weihnachten oder Geburtstage werden nie wieder so sein wie sie mal waren, weil Rouven nicht mehr dabei sein kann. Es ist, als wäre ich ein anderer Mensch geworden. Der Schmerz ist unbeschreiblich, und ich weiß nicht, wie ich jemals wieder die gleiche Freude am Leben finden soll. Rouven war ein besonderer Mensch, und sein Tod hat ein Loch in mein Leben gerissen, das niemand füllen kann.

Auch mein Zuhause ist seit dem 31. Mai 2024 nicht mehr das was es einmal war. Alles dort fühlt sich leer und gebrochen an, weil Rouven nie wieder zur Haustür reinkommen wird. Der Täter hat mir meinen Bruder und meinen Eltern ihr Kind genommen und damit auch ihr unbeschwertes Leben. Ein unbeschwertes Leben das sie sich so verdient haben. Unsere Eltern haben immer alles für uns gegeben und uns die beste Kindheit ermöglicht, die man sich nur wünschen kann. Es bricht mir das Herz, auch sie so leiden zu sehen. Sie waren immer meine Stütze, die mir Halt gegeben haben und seitdem Rouven nicht mehr da ist, ist alles anders.

6. Wie mich die Tat beschäftigt

Bis heute lässt mich die Tat nicht los. Egal, was ich tue, egal, wie viel Zeit vergeht – sie ist immer da. Der Gedanke daran, wie grausam und sinnlos Rouven aus dem Leben gerissen wurde, ist für mich unerträglich. Ich denke so oft daran, an die Bilder, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Alle meine Freunde, alle Bekannte, ganz Deutschland konnte sehen, wie mein Bruder getötet wurde. Ich sehe meinen Bruder vor mir, wehrlos diesem brutalen Angriff ausgesetzt, und ich kann nicht begreifen, dass es wirklich passiert ist. Im Tat Video konnte man nicht einfach nur einen Angriff sehen – es war pure Brutalität, die jede Grenze der Menschlichkeit überschritten hat. Der Mörder hat auf meinen Bruder mit einer Gewalt und einer Grausamkeit zugestochen, die ich nicht begreifen kann. Es wirkte, als wollte er Rouven nicht nur töten, sondern in vernichten – seinen Körper, sein Leben, alles was er war. Man sieht Wut, Hass und Mordlust in den Augen des Täters gegen meinen Bruder, der ihm nichts getan, ihn nicht einmal gekannt hatte. Rouven war groß, stark, trainiert und konnte sich unfassbar gut verteidigen. Aber bei diesem Attentat wurde er feige von hinten angegriffen und hatte überhaupt keine Chance sich zu wehren. Ich denke immer wieder darüber nach, wie hilflos und schutzlos Rouven in diesem Moment gewesen sein muss. Der Gedanke, dass jemand beschlossen hat, ihm das Leben zu nehmen, ist für mich unerträglich. Ich werde nie verstehen, wie jemand, der selbst eine Familie hat, zu so einer Grausamkeit fähig ist. Der Mörder ist aus Afghanistan nach Deutschland gekommen, um der Gefahr in seinem Heimatland zu entfliehen, um hier Schutz und Sicherheit zu finden. Und dann bringt er hier, in einem Land, das ihm diese Sicherheit bietet, genau diese Gewalt und Grausamkeit mit, vor der er selbst geflohen ist. Es macht mich wütend und fassungslos zugleich. Mein Bruder hat diesem Land gedient, er hat für Sicherheit gesorgt, er hat geholfen – und ausgerechnet jemand, der hier Zuflucht sucht, hat ihm sein Leben genommen. Der Mörder hat nicht nur meinen Bruder ermordet, sondern auch alles mit Füßen getreten, was ihm hier ermöglicht wurde. Wie kann man so undankbar, so kalt, so grausam sein? Es gibt keine Gerechtigkeit für das, was passiert ist. Kein Urteil dieser Welt kann uns Rouven wieder bringen und diesen Schmerz den wir jeden Tag ertragen müssen wiedergutmachen. Aber ich will, dass Sie, sehr geehrtes Gericht, und dieser feige Mörder wissen, was für ein wunderbarer Mensch Rouven war. Rouven war kein Opfer. Rouven war ein Mensch voller Leben, voller Liebe, voller Mut, voller Gerechtigkeit. Und jetzt ist er weg. Und mit ihm ein Teil von mir, ein Teil meiner Familie, ein Teil von allem, was mein Leben einmal war. Ich hoffe, dass Sie, sehr geehrtes Gericht, ein Urteil fällen das sicherstellt, dass dieser Mörder nie wieder die Möglichkeit bekommt, so eine Tat zu wiederholen und andere Familien so etwas grausames durchmachen müssen, wie meine Familie und ich es tun.

Anmerkung der Redaktion: Das Statement wurde uns in Schriftform von der Familie Laur zur Verfügung gestellt.

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