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Kinder sterben bei Tiktok-Mutprobe

Zwei Mädchen aus den USA strangulieren sich vor laufender Kamera, Eltern verklagen die Plattform

Von 
Dirk Hautkapp
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Auf dem Bildschirm eines Smartphones ist das Logo der App Tiktok (l.) zu sehen. Die Plattform hat Hunderte Millionen Nutzer auf der ganzen Welt. © dpa

Washington. Die Eltern von Lalani Erika Renee Walton und Arrian Jaileen Arroyo sind ganz sicher, dass ihre Mädchen noch leben würden, wenn das weltweit größte und vor allem bei Kindern und Teenagern beliebte Videoportal Tiktok seiner Verantwortung gerecht geworden wäre.

Lalani Erika Renee Walton aus Temple im US-Bundesstaat Texas starb im Juli 2021 im Alter von acht Jahren, nachdem sie an der auf Tiktok angebotenen „Blackout Challenge“ teilgenommen hatte. Bei der Aktion strangulieren sich Teilnehmer bis zur Bewusstlosigkeit, filmen sich dabei mit dem Handy und stellen den Mitschnitt dann online.

Das andere Opfer, Arriani Jaileen Arroyo aus Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin, kam 2021 im Alter von neun Jahren ums Leben. Auch sie hatte an der als Mutprobe inszenierten Aktion teilgenommen. Beide Kinder wurden entdeckt, als es bereits zu spät war. Brisant: Tiktok schreibt ein Mindestalter von 13 Jahren vor, hat aber laut Experten keine Mittel, um den exakten Wahrheitsgehalt der Angaben zu überprüfen.

Im Auftrag der Eltern der Toten hat das Social Media Victims Law Center (SMVLC), eine neue US-Anwaltsfirma, die sich auf durch soziale Medien geschädigte Kinder spezialisiert hat, nun vor dem Superior-Gericht in Los Angeles Klage gegen das Unternehmen eingereicht. Gefordert wird ein Prozess vor einer Geschworenenjury.

Vorwürfe wiegen schwer

Laut SMVLC-Gründer Matthew Bergman bedient Tiktoks Algorithmus Kinder und Jugendliche „absichtsvoll mit gefährlichen Inhalten und muss dafür zur Verantwortung gezogen werden“. Die Schadenersatz in unbestimmter Höhe fordernde Klageschrift hebt darauf ab, dass Tiktok hätte wissen müssen, dass die eigenen Produkte „süchtig“ machen. Außerdem habe der App-Hersteller dabei versagt, besagte „Blackout Challenge“-Videos wirksam aus dem Verkehr zu ziehen oder Kinder und deren Eltern angemessen davor zu warnen.

Tiktok nimmt nach eigenen Angaben zu den Fällen keine Stellung, verweist aber auf Erklärungen aus dem Jahr 2021. Damals hatte eine Mutter aus dem Bundesstaat Pennsylvania erklärt, ihre zehnjährige Tochter sei nach einer „Blackout Challenge“ gestorben. Damals stellte sich das Unternehmen auf den Standpunkt, dass es „Erstickungsmutproben“ ausweislich eines die Jahre 1995 bis 2007 abdeckenden staatlichen Untersuchungsberichts bereits lange vor Tiktok (US-Start: 2016) gegeben hat.

Dem halten die Anwälte der beiden toten Mädchen entgegen, dass etwa im Fall von Lalani Erika Renee Walton die Polizei persönlich die Verbindung zu Tiktok hergestellt hat. Als das Mädchen mit einem Seil um den Hals gefunden wurde, stellte ein Polizist ihr Handy sicher. Darauf waren in Dauerschleife „Blackout Challenge“-Videos zu sehen, heißt es in der Klage.

Die Tragödien sind nicht auf die USA beschränkt. Die Klageschrift erwähnt auch den Fall einer 14-Jährigen in Australien. Und auch der Tod der elfjährigen Antonella Sicomero im italienischen Palermo findet dort Erwähnung. Das Kind wurde Anfang vergangenen Jahres kurz vor Arriani Jaileen Arroyozu Grabe getragen. Auch Sicomero starb durch Selbststrangulierung nach Tiktok-Konsum. Den Gürtel, mit dem sie sich unbeabsichtigt aufhängte, hatte sie vom Vater bekommen. Das Unglück löste in Italien eine Welle der Empörung aus.

Dominierende Rolle

Tiktok, betrieben vom chinesischen Tech-Konglomerat Bytedance, hat nach Angaben von Marktforschern inzwischen eine dominierenden Rolle eingenommen. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurde die App bei Apple und Google über 310 Millionen Mal heruntergeladen. Facebook und Instagram lagen mit 271 beziehungsweise 265 Millionen Mal deutlich dahinter.

Tiktok sorgt in den USA auch grundsätzlich für Bedenken. So forderte der Chef der US-Kommunikationsbehörde FCC unlängst Apple und Google auf, Tiktok aus ihren App-Stores zu nehmen. Hintergrund waren Hinweise in diversen US-Medienberichten, dass staatliche Stellen in China auf die Daten von amerikanischen Nutzern zugreifen können. Die Vereinigten Staaten sind für Tiktok der wichtigste Markt.

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