Frau Fleischer, die Mannheimer Wirtschaft ist stark von der Industrie geprägt, hier zeigen sich erste Auswirkungen der Flaute. Roche dagegen wächst stetig – ist das eine Insel der Glückseligkeit?
Claudia Fleischer: So würde ich das nicht sagen. Wir sind Teil eines Wirtschaftsraumes. Aber in der Tat ist es so, dass die industrielle Gesundheitswirtschaft dank vielfältiger Investitionen aus der Vergangenheit im Moment sehr gut dasteht und einen guten Ausblick hat, weil sie über viele Jahre auch stabile Rahmenbedingungen hatte. Investitionsentscheidungen haben immer einen sehr langfristigen Vorlauf. Also das, was wir heute erwirtschaften, ist das Resultat von Investitionen, die in vielen Fällen vor zehn, vielleicht sogar 15 Jahren entschieden wurden.
Also ist alles bestens?
Fleischer: Jetzt, da die Branche ein gutes Momentum hat, geht es darum: Wie müssen die Rahmenbedingungen gestaltet werden, damit der Wirtschaftsfaktor, den die industrielle Gesundheitswirtschaft darstellt, sich auch in Zukunft genauso weiterentwickeln kann? Sie leistet einen Beitrag für die Gesundheit der Bevölkerung, bringt aber auch Wirtschaftskraft. Wir zahlen gute Löhne und bringen Wertschöpfung durch Abgaben und Steuern. Damit tragen wir wesentlich zum Wohlstand in Deutschland bei.
Claudia Fleischer
Claudia Fleischer ist seit 1. Januar 2023 Geschäftsführerin und Sprecherin der Geschäftsführung von Roche Diagnostics . Sie ist außerdem Geschäftsführerin der Roche Deutschland Holding.
Die studierte Pharmazeutin (Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg) hat an der Ludwig-Maximilians-Universität in München in Pharmazeutischer Chemie promoviert . Bei Roche trat sie 2004 ein, zunächst in der Schweiz.
Fleischer ist unter anderem Vorstandsmitglied des Vereins Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar und gehört dem Universitätsrat der Universität Heidelberg an. cs
Sie haben kürzlich mit dem Neubau einer Diagnostika-Produktion in Penzberg begonnen, der bislang größten Einzelinvestition in Deutschland. Wie wird Mannheim davon profitieren?
Fleischer: Der Zweck dieses Produktionszentrums ist, sogenannte aktive Wirkstoffe für diagnostische Tests zu produzieren. Viele dieser Einsatzstoffe, die in Penzberg produziert werden, gehen in die Weiterverarbeitung nach Mannheim und werden schließlich über unsere globale Logistik hier im Werk in die Welt verteilt. Das heißt, es gibt eine Vernetzung in der Wertschöpfungskette.
Auch in Mannheim hat Roche in den letzten fünf Jahren im mittleren dreistelligen Millionenbereich investiert. Was ist hier noch geplant?
Fleischer: Wir haben letztes Jahr bekannt gegeben, dass wir Investitionen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro auf den Weg gebracht und in der Umsetzung haben. Wir fokussieren uns im Moment darauf, diese umzusetzen, weil es ja zur Glaubwürdigkeit gehört, dass man nicht nur ankündigt, sondern dann auch handelt. Parallel dazu haben wir viel in zukunftsweisende Produkte investiert, wie zum Beispiel Massenspektrometrie, aber auch das kontinuierliche Glukosemessen. Hier gibt es Überlegungen für Folgeinvestitionen, wenn sich die Produkte lokal und global im Markt gut entwickeln. Dazu ist es im Moment aber noch zu früh.
Der Wirtschaftsstandort Deutschland steht in der Kritik. Einige Punkte – wie Verkehrsproblematik, marode Infrastruktur oder Energiekosten – betreffen auch die Region. Wo drückt aus Ihrer Sicht der Schuh am meisten?
Fleischer: Lassen Sie mich vorweg etwas sagen. Deutschland hat viele gute Dinge, die in der Diskussion manchmal zu kurz kommen: hervorragend ausgebildete Fachkräfte, ein exzellentes Universitätsnetzwerk und herausragende außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Aber die deutsche Wirtschaft hat seit zwei Jahren kein Wachstum. Das hat dazu geführt, dass einige Unternehmen in schweres Fahrwasser geraten sind. Gleichzeitig haben wir immer noch eine starke industrielle Basis, und die braucht ein Upgrade. Wir müssen es nicht neu erfinden, aber es braucht entsprechend Mut, genau die Dinge zu tun, die Sie ansprechen. Es braucht Investitionen in die Infrastruktur – Straße und Schiene – aber auch in den Bürokratieabbau, in die Reduktion der Regeldichte, die stetig zunimmt und die Unternehmen vor zunehmende Herausforderungen stellt.
Was muss sich noch ändern?
Fleischer: Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die es uns erlauben, in Deutschland auch neue Technologien gut nutzen zu können. Wir müssen die Vorteile sehen und nicht nur die Nachteile. Jede Chance hat ein Risiko und jedes Risiko hat eine Chance. Wenn wir den Mut aufbringen und daran glauben, dass wir es besser können, dann bin ich fest davon überzeugt, dass Deutschland einen Innovationsschub Made in Germany schaffen kann.
Was sollte die neue Bundesregierung als Erstes angehen?
Fleischer: Als ersten Schritt brauchen wir eine stabile Bundesregierung. Von ihr wünschen wir uns Ehrlichkeit und Offenheit. Ich glaube, es ist gut, wenn sie analysiert und das mit der Bevölkerung teilt – wo stehen wir bezüglich der Wirtschaft, der Verteidigung und im Zusammenhang mit der EU. Daraus muss die Regierung die richtigen Schlüsse ziehen und die passenden Maßnahmen ergreifen, die sie auch erklärt und umsetzt. Es sind viele Investitionen notwendig und das Geld muss ja irgendwo herkommen. Deshalb gilt es, mit verlässlichen Rahmenbedingungen einen Fokus auf die Wirtschaft zu haben. Wenn die Wirtschaft wieder anspringt, fließen entsprechend auch wieder Steuern und Abgaben, die dann helfen können, den notwendigen Investitionsaufwand in Infrastruktur, Schulen oder Bildung zu bewerkstelligen.
Sie haben die Rahmenbedingungen angesprochen, die Regulierung und die Bürokratie. Können Sie ein Beispiel nennen?
Fleischer: Ein Gesetz ist in aller Munde, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Es ist absolut richtig, sich um Umweltschutz und Menschenrechte zu bemühen und zu kümmern. Nur bei der Art und Weise ist die Frage: Hilft uns diese Bürokratie und all das beschriebene Papier wirklich dabei, diesen Zweck zu erreichen? Das ist eine große Herausforderung. Gleichzeitig sind viele Genehmigungen, die man benötigt, heute noch papierbasiert. Das dauert. Ich glaube, das kann im 21. Jahrhundert besser gehen. Nun muss man aber aufpassen, dass man in dem Glauben, die Technologie ist schon so weit, alles digitalisiert. Ein nicht guter Prozess wird dann vielleicht schneller, aber nicht besser.
Und was muss sich bei den Zulassungsverfahren ändern?
Fleischer: Wichtig sind zunächst die klinischen Studien. Sie müssen auch wieder in Deutschland attraktiv gestaltet werden können. Bis 2016 spielte Deutschland als Standort der klinischen Arzneimittelforschung weltweit in der Spitzenliga und hielt in Europa, knapp vor UK, Platz 1. Mittlerweile sind wir auf Platz 4 abgerutscht. Das ist der erste Schritt, bei dem Ärzte und das Gesundheitssystem mit Innovation in Berührung kommen. Das ist wichtig, damit es am Ende auch eine Akzeptanz gibt und eine Genehmigung.
Nicht einfacher werden die Rahmenbedingungen durch die Politik in Washington. Wie sehr würden US-Strafzölle das Diagnostik-Geschäft treffen?
Fleischer: Wir verfolgen das sehr aufmerksam und sind dabei, das entsprechend zu analysieren und zu bewerten. Als Schweizer Unternehmen pflegen wir das mit einer gewissen Distanz zu machen, weil die Wertschöpfungsketten sehr ineinander verwoben sind und Vorprodukte, Zwischenprodukte, Endprodukte entsprechend miteinander zu denken sind. Deswegen ist es im Moment zu früh, um wirklich bewerten zu können, was das gegebenenfalls heißen würde oder nicht. Was auch immer passieren mag, würde ich mir wünschen, dass es für die Patienten in den USA keine Verschlechterung bedeutet.
Der Fachkräftemangel ist ein Dauerthema. In welchem Bereich ist es besonders schwierig, qualifiziertes Personal zu finden?
Fleischer: Wir sind ein Unternehmen – und das zeigt unsere jedes Jahr leicht wachsende Beschäftigungszahl –, das eine hohe Arbeitgeberattraktivität und eine gute Arbeitgebermarke hat. Aber wir sehen die Herausforderungen. Es gibt weniger Potenzial auf dem Arbeitsmarkt. Und in den Beschäftigungsbereichen, die mit Technologie zu tun haben, sind im Moment gefühlt alle Unternehmen unterwegs. Hier sind Fachkräfte eine rare Spezies, weil es lange gedauert hat, bis wir dort in der Breite genug ausbilden. Jetzt ist der Run groß, und es kann nicht schnell genug gehen. Wir sehen einen großen Wettbewerb, aber es gelingt uns, die Stellen zu besetzen. Es ist aber aufwendiger und braucht im Moment mehr Zeit.
Sind durch den technologischen Fortschritt auch Bereiche weggefallen, die vielleicht früher mehr gefragt waren?
Fleischer: Interessanterweise ist es tatsächlich so, dass wir vor einem oder zwei Jahren wieder angefangen haben, zum Beispiel Lageristen auszubilden – etwas, das wir zwischendrin nicht mehr getan haben, weil wir erwartet haben, dass sich technologische Lösungen schneller durchsetzen. Mittlerweile bilden wir das wieder aus, weil wir gesehen haben, das ist eine wichtige und absolut wertvolle Tätigkeit, und es gibt zu wenig am Markt.
Ein anderes großes Thema ist die Künstliche Intelligenz. Wie wird der Einsatz von KI die Diagnostik verändern?
Fleischer: In vielfältigster Art und Weise. Der Technologie-Fortschritt macht auch vor der Diagnostik nicht halt, und das ist auch richtig so. Für KI gibt es unterschiedliche Einsatzbereiche. Zum einen in der Art und Weise, wie wir die Produkte entwickeln, um die entsprechenden Entwicklungsprozesse zu beschleunigen, weil wir in ganz anderen Datenmodellen denken können. Zum anderen wird unser tägliches Leben viel einfacher. Wie viel Zeit kann ich beispielsweise sparen, wenn ich keine Sitzungsprotokolle mehr alleine schreiben muss, sondern Unterstützung bekomme. Das hat viele Facetten und wird Auswirkungen haben, wie wir die Produkte entwickeln. Produkte können mehr digital augmentiert, also ergänzt, werden. Das ermöglicht wiederum neue Einsichten für Ärzte, aber auch für Patienten, um selbst ihre Behandlung und ihren Krankheitsverlauf positiv beeinflussen zu können. Ich sehe hier einen starken Trend.
Aber eine wichtige Voraussetzung wäre sicher, dass das Gesundheitssystem digitaler wird.
Fleischer: Richtig. Da gelangt man schnell zur Grundvoraussetzung, nämlich der Infrastruktur. Wie sind die Arztpraxen vernetzt, wie funktioniert die Kommunikation zwischen Arztpraxis und Patient, der Bezug von Medikamenten, von diagnostischen Lösungen und so weiter.
Eine elektronische Gesundheitsakte allein reicht also erstmal nicht?
Fleischer: Das ist ein guter Anfang, aber es muss weitergehen.
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