Mannheim. „Überraschenderweise ist der Unternehmer noch im Sitzungssaal festgenommen worden“: So berichtete der Mannheimer Morgen, als vor neun Monaten im „Biersteuer-Prozess“ der Vorstandsvorsitzende einer im nordbadischen Hirschberg ansässigen AG für Getränkegroßhandel am Mannheimer Landgericht zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Jetzt hat gegen den 57-Jährigen vor einer anderen Großen Wirtschaftsstrafkammer ein weiteres Verfahren begonnen, bei dem es erneut um Umsatzsteuerverkürzungen geht.
Zum Auftakt fordert der Verteidiger in Art eines juristischen Paukenschlags, die Anklage wegen Unwirksamkeit aufgrund mangelnder Konkretisierung einzelner Tatvorwürfe zu kippen. Darüber will die Kammer bis zum nächsten Sitzungstermin entscheiden. Sollte sie dem Antrag zustimmen, wäre der Prozess geplatzt.
64 oftmals turbulente Verhandlungstage
Die im Januar nach 64 oftmals turbulenten Verhandlungstagen verhängte sechsjährige Gefängnisstrafe ist aufgrund eingelegter Revision noch nicht rechtskräftig. Gleichwohl befindet sich der Geschäftsmann in der Justizvollzugsanstalt – aufgrund von Untersuchungshaft.
In dem aktuellen Steuerprozess gibt es neue Anklagevorwürfe und außerdem andere Richter, geblieben ist der Verteidiger. Außerdem tritt Erster Staatsanwalt Kai Sackreuther wieder als Strafverfolger auf. Er legt dem Geschäftsmann zur Last, im Zeitraum von Oktober 2022 bis Ende 2024 – also im Wesentlichen während der Laufzeit des vorangegangenen Prozesses – Getränke, diesmal vorwiegend nichtalkoholische, ohne die erforderlichen Fiskus-Abgaben veräußert zu haben. Zwecks Verschleierung sollen auf verschiedene Firmen – nämlich auf „Missing Trader“, die vom Markt verschwinden, sobald Steuerklärungen fällig werden – fingierte Rechnungen mit der Täuschungsabsicht ausgestellt worden sein, dass es sich um innergemeinschaftliche und somit um steuerfreie EU-Lieferungen gehandelt habe.
Anklage sieht Umsatzsteuerhinterziehung in Höhe von 728.000 Euro
Die Anklage listet sechs Fälle von Umsatzsteuerhinterziehung in einer Gesamthöhe von 728.000 Euro aus. Der Warenwert habe bei über vier Millionen Euro gelegen. Dazu kämen, allerdings in weit geringerem Umfang, unversteuerte Lebensmittel.
Rechtsanwalt Klaus Walter moniert, dass der gerade verlesene Anklagesatz „defizitär“ sei, weil er nicht dem Gebot der „Konkretisierung“ und „Umgrenzung“ von Tatvorwürfen entspreche. Das sieht der Staatsanwalt völlig anders und verweist auf dargelegte „Kernvorwürfe“, welche die verlangte „Informationsfunktion“ der Anklage erfüllen würden.
Weiterer Vorwurf lautet auf Insolvenzverschleppung
Der erste Prozesstag endet bereits nach gut einer Stunde. Nur kurz geht der Vorsitzende Richter Boos die bereits aus dem vorherigen Prozess bekannte Biografie des Unternehmers durch, der in Agadez (Niger) gelebt hat und dort nach eigenen Angaben eine florierende Firma betrieb, ehe er eine aus Mannheim stammende Frau heiratete und mit ihr 2009 nach Deutschland kam, wo er später eingebürgert wurde. Die Ehe ist inzwischen geschieden.
Wie das Gericht bekannt gibt, ist der ursprünglich angeklagte Vorwurf der Insolvenzverschleppung trotz Zahlungsunfähigkeit ab Ende September 2024 von dem Prozess abgetrennt worden.
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