Interview

Herr Younosi, wie steht es um die Diversität?

Ex-SAP-Personalchef Cawa Younosi, mittlerweile Geschäftsführer von Charta der Vielfalt, über politische Verantwortung und den Kampf für Diversität.

Von 
Alexander Jungert
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Cawa Younosi, Ex-SAP-Personalchef, ist seit September 2024 Geschäftsführer des Vereins Charta der Vielfalt. © Cawa Younosi

Mannheim. Herr Younosi, Sie arbeiten seit September 2024 für Charta der Vielfalt. Sind Sie in Ihrem neuen Job angekommen?

Cawa Younosi: Was ist Ihr Eindruck?

Denke schon. Dazu passt Ihr Hoodie mit der Aufschrift „Love Democracy – Hate Racism“. Es war Ihnen schon immer wichtig, Botschaften nach außen zu tragen.

Younosi: Bei allem, was gerade in den USA und in Deutschland passiert, kann ich mir keinen besseren Ort für mich vorstellen als Charta der Vielfalt. Auf der anderen Seite ist es traurig, dass wir so viel zu tun haben – weil es mit Chancengerechtigkeit, Fairness und Respekt eben doch nicht so läuft, wie es wünschenswert wäre. Das Thema Diversity muss weg von Ideologie. Es braucht mehr Ernsthaftigkeit. Mehr Dialog. Mir hilft dabei, dass ich nicht mehr für ein Unternehmen arbeite, sondern für einen Verein.

Wie meinen Sie das?

Younosi: Ich muss keine Rücksicht mehr auf Corporate-Governance-Abteilungen oder Vorstände nehmen, die meinen, sich nicht einmischen zu wollen – weil ein Thema zu politisch sei. Dabei ist Wirtschaft doch Teil der Gesellschaft. Kein Unternehmen existiert in einem politischen Vakuum. Wenn beispielsweise CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz etwas Frauenfeindliches sagt, dann muss ich ihn doch dafür kritisieren dürfen!

Wie ist es zu schaffen, dass Managements in der Öffentlichkeit politischer werden?

Younosi: Politik an sich und politische Bildung sind nicht das gleiche wie Parteipolitik. Das muss klargemacht werden. Und: Politik gehört zur Arbeitswelt. Immerhin geben die Beschäftigten ihre politische Haltung nicht am Werkstor ab. Die Agenda einer Regierung betrifft Unternehmen und Belegschaften unmittelbar. Dabei ist eines besonders wichtig.

Nämlich?

Younosi: Menschen, die aus irgendeinem Grund Teil der öffentlichen Debatte sind, haben meistens weder die Sichtbarkeit noch den Zugang zu Netzwerken, um sich Gehör zu verschaffen. In diesem Moment wäre es doch eine starke Botschaft, wenn ein Unternehmen erklärt: Wir sind Unternehmen X und wir machen uns für die Gruppe Y bei uns stark. Wir stehen hinter den Menschen, sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Das wird komplett unterschätzt, wenn man selbst nicht betroffen ist. Davon bekomme ich sehr viel mit im Moment: Beschäftigte wünschen sich, dass Unternehmen mehr solche Botschaften nach außen senden.

Wurzeln in Afghanistan

Cawa Younosi, 49 Jahre alt, stammt aus Afghanistan . Als Jugendlicher flüchtete er aus seiner Heimatstadt Kabul.

In Bonn studierte Younosi Jura. Seine Karriere startete er als Arbeitsrechtler bei der Deutschen Telekom. 2009 folgte der Wechsel zum Walldorfer Softwarekonzern SAP . Seit 2018 war Younosi als Personalchef von SAP Deutschland verantwortlich für rund 24.000 Beschäftigte.

Im Herbst 2023 wurde überraschend bekannt, dass Younosi und SAP sich trennen .

Seit 1. September ist Younosi Geschäftsführer von Charta der Vielfalt in Berlin.

US-Präsident Donald Trump ist alles andere als ein Freund von Diversität. Er streicht wie angekündigt flächendeckend Programme für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion. Haben Sie Angst, dass diese Haltung zu uns überschwappt?

Younosi: Nein, ich sehe in Deutschland nicht die Gefahr einer ideologisch getriebenen Trendwende. Wir haben 40 Mitglieder, mehr als 6000 Unternehmen bundesweit haben die Charta für mehr Vielfalt in der Arbeitswelt unterzeichnet. Mir ist nicht bekannt, dass Firmen zurückgezogen hätten. Im Gegenteil. Bei einigen herrscht sogar die Stimmung: Diversität, jetzt erst recht!

Hat das Thema für Unternehmen wirklich so einen hohen Stellenwert? Ich könnte mir vorstellen, dass die wirtschaftliche Lage, die Umsatz- und Kostenentwicklung und die Jobsicherheit derzeit wichtiger sind …

Younosi: Im vergangenen Jahr ist das sicher so gewesen. Aber in jüngster Zeit hat das Thema Diversität wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen, vor allem durch Trump. Vereinzelt haben sich Konzernchefs zu Wort gemeldet, etwa Alexander Birken von der Otto Group. Er wehrt sich klar dagegen, Klimaschutz- und Diversity-Ziele des Unternehmens einzudampfen.

6000 Unternehmen bundesweit haben die Charta für Vielfalt in der Arbeitswelt unterzeichnet. © picture alliance/dpa

Vor der Bundestagswahl hat Charta der Vielfalt eine Kampagne aufgelegt: „Demokratie kann man abwählen – Wir haben es schon einmal erlebt“ …

Younosi: Ja, das wirkt hoffentlich mehr als ein einfaches „Geht wählen“. Oft denkt man, Demokratie geht durch Umstürze und Gewalt unter, aber so ist es nicht. In vielen Fällen geschieht es durch Wahlen, dass Demokratie-missbrauchende Kräfte in ein Parlament kommen. „Es wird schon nicht so schlimm werden“, höre ich oft. Aber das ist leicht gesagt, wenn man nicht zu einer Bevölkerungsgruppe gehört, die Diskriminierung fürchten muss. Charta der Vielfalt will mit der Kampagne so viele Nicht-Wähler wie möglich mobilisieren, damit sie doch an die Urne gehen und insbesondere keinen Extremisten ihre Stimme geben.

Sie treffen bestimmt jeden Tag viele Menschen, oder?

Younosi: Ja, tatsächlich bin ich mehr unterwegs als zu SAP-Zeiten – und rede mit Unternehmensvertretern, Beschäftigten und Politikern. Der Verein hat zudem viele Projekte in der Pipeline. Erstmals wollen wir den Diversity Day Ende Mai mit einem Festakt begehen. Dafür ist unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angefragt.

Hand aufs Herz: Vermissen Sie manchmal noch SAP?

Younosi: Nein. Ich habe damals gemerkt, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Und wenn ich eines im Leben gelernt habe, dann, dass Planung nie wirklich funktioniert. Es ergeben sich neue Gelegenheiten. Man soll immer das machen, wofür im Moment die Energie da ist und wofür man brennt. Nichts anderes tue ich hier bei Charta der Vielfalt.

Redaktion berichtet aus der regionalen Wirtschaft

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