15 Monate Genehmigungsverfahren, 24 Aktenordner und mehr als 400 physische Unterschriften: Michael Kundel hat ein paar griffige Zahlen parat, um zu verdeutlichen, was der deutschen Industrie das Leben schwermacht. Beim Pressegespräch der Industrie- und Handelskammer (IHK) Metropolregion Rhein-Neckar zur Zukunft des bedeutenden Wirtschaftszweigs beschreibt der Vorstandsvorsitzende des Wormser Folienherstellers Renolit jedenfalls anschaulich, welchen bürokratischen Aufwand es das Unternehmen gekostet hat, ein bestehendes Gefahrengutlager am Standort Worms zu erweitern.
Und er betont, wie viel schneller und einfacher es im Vergleich dazu woanders geht. „In Asien steht innerhalb eines Jahres der komplette Rohbau eines neuen Produktionswerks“, sagt Kundel, der Renolit - ein international aktives Familienunternehmen mit rund 5000 Beschäftigten und 1,4 Milliarden Euro Umsatz - seit 2008 als CEO führt.
Vollzeitkraft nur für ein Gesetz
Dass überbordende Regularien und endlose Genehmigungsverfahren zu den zentralen Schmerzpunkten der hiesigen Unternehmen gehören, wird an diesem Morgen aber nicht nur im Statement von Renolit-Chef Kundel deutlich, der auch Vizepräsident der IHK Rheinhessen ist.
Martina Nighswonger, Vizepräsidentin der IHK Pfalz und geschäftsführende Gesellschafterin beim Chemieunternehmen Gechem im pfälzischen Kleinkarlbach, berichtet davon, dass sie eine ganze Vollzeitkraft braucht, um die Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes zu bewältigen. Dabei fällt ihr Unternehmen mit seinen 185 Beschäftigten eigentlich gar nicht unter das Regelwerk.
Als Zulieferer für große Unternehmen habe die Firma den bürokratischen Aufwand aber trotzdem, sagt Nighswonger. „Die Großunternehmen schicken uns ihre mehrseitigen und individuellen ’Code of Conducts’ in deutscher und englischer Sprache, und wir sollen unterschreiben, dass sowohl wir als auch unsere Lieferanten das erfüllen“, sagt sie. Als weiteres Beispiel für Bürokratie-Hemmnisse nennt die Unternehmerin ihre Pläne, eine zum Betrieb gehörende Grünfläche für Agrivoltaik - also die Kombination aus Landwirtschaft und Photovoltaik - zu nutzen und eine eigene Wasserstoffversorgung für den Betrieb aufzubauen. „Da sprechen sechs oder sieben Behörden mit. Ich rechne vorneweg mit vier bis fünf Jahren, bis das durch ist“, sagt Nighswonger.
Zu den Belastungen, mit denen die deutschen Industriebetriebe zu kämpfen haben, gehört den Kammern zufolge aber nicht nur die vielzitierte Regulierungswut deutscher Behörden. Auch bei den Stromkosten und der Steuerbelastung habe der Standort Deutschland die rote Laterne, kritisiert Manfred Schnabel, Präsident der IHK Rhein-Neckar.
Viele Stellen, keine Bewerber
Ralf Rohmann, dem Vorsitzenden des Industrieausschusses der IHK Rhein-Neckar und Geschäftsführenden Gesellschafter der Maschinenfabrik Eirich, brennt außerdem das Thema Fachkräftemangel besonders unter den Nägeln. Der ist im Neckar-Odenwald-Kreis, wo das Unternehmen in Hardheim seinen Sitz hat, besonders ausgeprägt. „Fehlende Mitarbeiter im gewerblich-technischen Bereich sind unsere größte Wachstumsbremse“, sagt Rohmann. Das Problem fange schon bei der Ausbildung an: So habe die Firma, die eigentlich 60 bis 80 Ausbildungsplätze habe, im Jahr 2021 aus seiner Kerngemeinde Hardheim keine einzige Bewerbung mehr bekommen. Als Ursache für die Entwicklung sieht Rohmann vor allem eine problematische Haltung in der Gesellschaft: „Hier sollen alle jungen Leute studieren, und die Fachkräfte, die unseren Wohlstand tragen, sollen dann aus dem Ausland kommen.“
„Realschulen ohne Werkraum“
Nötig seien tiefgreifende Reformen in der Bildungspolitik und eine bessere Ausstattung der Schulen: „In den Realschulen gibt es teilweise keine Werkräume mehr, das kann nicht sein“, kritisiert der Hardheimer Unternehmer. Speziell für die Region sieht Renolit-Chef Kundel unterdessen auch noch in einem anderen Bereich Handlungsbedarf: bei den Gewerbeflächen. So habe eine Studie der MRN bereits 2019 ergeben, dass bis zum Jahr 2035 in der Region rund 500 Hektar fehlten. „Das wird auch für die Kommunen zum Problem“, mahnt Kundel. Wenn Flächen für Neuansiedlungen oder nötige Erweiterungen fehlten, wirke sich das negativ auf die Gewerbesteuereinnahmen aus. Das Angebot an Flächen müsse deshalb in der Region kontinuierlich ausgebaut werden - „dazu gehört auch die Anbindung an die Verkehrsinfrastruktur und ans Glasfasernetz“, so Kundel.
Mehr Respekt für Wirtschaft
Dass der Wirtschaftszweig Industrie durch all diese Herausforderungen immer stärker unter Druck gerate, sei für die Region besonders alarmierend, warnt IHK-Rhein-Neckar-Präsident Schnabel. Immerhin sei der Industrieanteil an der Bruttowertschöpfung in der Metropolregion mit 24,1 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt (20,8 Prozent).
Um den Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern, müsse „der Staat jetzt endlich seinen Job machen“, so Schnabel. Das betreffe vor allem die Bereiche Infrastruktur, digitale Verwaltung und Bildung. Die Betriebe bräuchten verlässliche Rahmenbedingungen. Wichtig sei auch, dass Politik und Gesellschaft den Wert der Wirtschaft und der Industrie „respektieren und anerkennen“, fordert der IHK-Präsident.
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