Mannheim/Kandel. Viele Kunden würden Lebensmittel aus regionaler Erzeugung noch häufiger einkaufen - wenn das Angebot es hergeben würde. Laut dem Ernährungsreport 2022 des Bundeslandwirtschaftsministeriums sehen 45 Prozent der Bürger die regionale Vermarktung von Lebensmitteln als (sehr) wichtig an.
Zwar werben auch Supermärkte und Discounter verstärkt mit Regionalität. Ein Blick auf Etikett oder Verpackung führt aber oft zu Ernüchterung, weil der Begriff nicht definiert ist und die Produkte doch nicht aus der näheren Umgebung stammen.
Supermarkt im Schiffscontainer: 17 lokale Erzeuger machen mit
Diese Lücke will ein Start-up aus Mannheim schließen. Ende Juli hat die Yobst GmbH ihren ersten Yobsti-Markt im südpfälzischen Kandel eröffnet. In einem recycelten und umgebauten Überseecontainer bieten 17 lokale Erzeuger ihre Produkte an: Gemüse, Obst, Eier, Käse, Fleisch, Wurst, Brot, Mehl, Teigwaren, Soßen oder Eis. „Man schafft es inzwischen, alles zu vernetzen, aber wir wissen nicht, wer hier in der Region Eier produziert“, kritisiert Andre Tiede, der Geschäftsführer und Mitgründer von Yobst. „Ich kaufe gerne regional ein, aber es gibt keinen Laden, wo ich weiß: Hier ist alles regional.“
Das fehlende Angebot war der Auslöser, Yobsti an den Start zu bringen. Know-how im Softwarebereich, um das Konzept zu steuern und zu organisieren, ist der Ursprung des im Mai 2023 gegründeten Start-ups, das inzwischen 19 Frauen und Männer beschäftigt. Der Kontakt zu ersten Erzeugern kam über den Gesellschafterkreis zustande, der Wirth-Gruppe aus Waghäusel. Das Unternehmen ist unter anderem in der Solarbranche aktiv und installiert Photovoltaikanlagen auf brachliegenden landwirtschaftlichen Flächen.
Regionale Erzeuger unter einem Dach zusammengebracht
Neu und besonders bei Yobsti ist, dass es regionale Erzeuger unter einem Dach zusammenbringt und den Produzenten die Arbeit der Selbstvermarktung abnimmt. „Unsere Kunden kaufen bei den Erzeugern, denn das Geld geht direkt zu ihnen“, erklärt der Mitgründer das Konzept. Die Hersteller bestimmen die Preise und zahlen eine Provision an Yobsti. Alles andere - Softwaresteuerung, Kontrolle des Mindesthaltbarkeitsdatums und der Kühlketten, Beschädigungen und Bestand von Ware - erledigt das Start-up. In Zeiten des Fachkräftemangels müssen sich die Produzenten dann nicht auch noch um die Vermarktung oder Personal für einen Hofladen kümmern.
Personal für den Verkauf benötigt auch Yobsti nicht, der Laden ist automatisiert. Wer einkaufen möchte, registriert sich am Eingang mit einer Bezahl- oder sonstigen Karte mit Chip und erhält dann Zugang. Der Laden ist jeden Tag, auch sonntags, von 7 bis 22 Uhr geöffnet.
Mannheimer Start-up will smarten Supermarkt an 13 Standorten etablieren
„Amazon für Landwirte“, nennt Tiede sein Konzept. Einen Lieferdienst plant er trotzdem nicht: „Das ergibt wegen der Kosten keinen Sinn.“ Im Schnitt kaufen 45 Kunden pro Tag ein, mit 30 hatte er kalkuliert. Das nächste Ziel ist: „Die Warenkörbe müssen noch größer werden.“ Heißt: Kunden sollen mehr kaufen.
Die Ware stammt aus einem Umkreis von 50 Kilometern. Alles darüber hinaus sei nicht mehr wirtschaftlich: „So nah wie möglich am Container dran.“ Um ein großes Angebot bieten zu können, soll der Kreis der Erzeuger wachsen - und das muss er auch: 13 Standorte sollen folgen. Mit 30 Erzeugern pro Laden rechnet Tiede. Aktuell sind 180 Produkte verfügbar, die Datenbank enthält sogar 500. Saisonbedingt ist aber nicht immer jedes Produkt erhältlich.
Momentan liegt der Schwerpunkt der Expansion rund um Kandel, weil sich dort das Lager befindet. Aber auch in Ludwigshafen-Rheingönheim und in Mannheim, an der Neckarauer Straße, sind Märkte in Planung, ebenfalls mit Containern. Wo es keine Nahversorgung mehr gibt, werden auch leerstehende Ladenflächen genutzt, etwa in kleinen Dörfern. Dort erhalte Yobsti viel Unterstützung von den Kommunen, damit das Konzept realisiert werde.
Handelskonzept von Yobsti steckt noch in Kinderschuhen
Kandel ist sozusagen der Testballon. „Den Yobsti wie in Kandel wird es kein zweites Mal geben“, sagt Tiede. Ziemlich sicher ist bereits jetzt, dass wegen der Wärme die Farbgebung von Schwarz zu Weiß wechseln werde. Obwohl der nach dem Umbau gedämmte Container wie ein klassisches Gebäude aktuellen KfW-Standards entspricht, seien Klima, Luftfeuchtigkeit und Luftaustausch die herausforderndsten Themen.
Für den Container spricht laut Tiede das Upcycling, dass er also aufbereitet und weiterverwendet werden kann, nachdem er seinen ursprünglichen Zweck erfüllt hat. Außerdem lasse er sich einfach transportieren, falls einmal der Standort gewechselt werden müsse. Kranfirmen seien wegen der Normgröße darin geübt, obwohl der Container wegen der Ausschnitte für die Fenster und Türen eine andere Statik habe und etwas vorsichtiger zu behandeln sei als ein geschlossener. „Häufiges Umsetzen könnte ihm schaden“, weiß Tiede. Ansonsten sei er 30 bis 50 Jahre nutzbar.
Das Handelskonzept steckt noch in den Kinderschuhen - mit entsprechenden Tücken. Schwierig sei etwa, ein großes Angebot an Fleisch und Wurst anzubieten, das nicht industriell hergestellt ist. „Da gibt es Grenzen, weil viele Erzeuger nicht für mehr als fünf Läden produzieren können“, so der Geschäftsführer. „Bei uns gibt’s auch mal leere Fächer.“ Bald soll die Software Bestellempfehlungen übernehmen, die bisher manuell erledigt werden.
Manches noch in Plastik verpackt - „der Haltbarkeit wegen“
Tiede gesteht, dass einige Produkte wie Salat oder Brokkoli in Plastik verpackt seien. Er wisse um den schlechten Ruf der Verpackung, „der ist aber nicht immer gerechtfertigt - solange es kein Verbundstoff ist“. Im Raum herrsche ein Mikroklima, direkt am Gemüse wieder ein anderes. „Mit einer Tüte erhöhe ich die Haltbarkeit des Produkts“, erklärt er.
Der aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Mitgründer, der in Heidelberg VWL studiert und schon mit 18 Jahren eine Softwareplattform mitentwickelt hat, sieht in dem neuen Konzept einen Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung: „Die Leute werden immer emotionsloser gegenüber den Produkten, weil sie keine Bindung dazu haben.“ Das sei anders, wenn sie den Namen des Erzeugers kennen. Yobsti zeigt sie auf elektronischen Preisschildern.
Diebstahl spielt übrigens keine Rolle, obwohl kein Personal im Markt ist. „Wir haben eher den umgekehrten Effekt, dass die Kunden aus Versehen zu viel einscannen“, so der Gründer. Zur Sicherheit überwachen Kameras das Geschehen. „Das schreckt ab.“ Zudem habe die Ware keinen Wiederverkaufswert wie Zigaretten oder Alkohol. Beides ist beliebtes Diebesgut in Supermärkten. Bei Yobsti komme das schlechte Gewissen hinzu: „Wenn man klaut, klaut man vom Landwirt.“
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