Herr Schulte, angenommen, am nächsten Montag geht mein Flieger nach London morgens um 8 Uhr. Wann muss ich am Frankfurter Flughafen sein, damit ich es auch an Bord schaffe?
Stefan Schulte: Wir geben momentan die Empfehlung ab, zweieinhalb Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein. Gerade an den Wochenenden verzeichnen wir eine besonders hohe Auslastung durch die Ferienflüge. Am Montagmorgen dürfte aber, sofern alle Systeme im komplexen weltweiten Luftverkehr störungsfrei laufen, eine bis eineinhalb Stunden ausreichen.
Wie erklären Sie das Chaos?
Schulte: Der Luftverkehr ist weltweit wahnsinnig vernetzt. Wir haben unterschätzt, wie hoch das Nachholbedürfnis der Menschen ist, wieder reisen zu wollen. Wir wussten, dass es ein starkes Jahr wird und das haben wir in unseren Planungen auch berücksichtigt. Aber jede Prognose wurde deutlich überholt und es fliegen viel mehr Menschen als erwartet. Dafür haben die Flughäfen und Airlines zu wenig Personal auf allen Ebenen. Zudem gibt es Restriktionen im Luftraum in Osteuropa durch den Krieg und in Frankreich, wo es derzeit in der Flugsicherung neue Software-Einspielungen gibt. Jedes Ereignis lässt da das ohnehin derzeit fragile Gesamtsystem wanken und löst neue Verspätungen aus.
Macht es Ihnen selbst überhaupt Spaß, Flugpassagier zu sein?
Schulte: Ja, denn das Gros der Flüge findet ja ganz normal statt. Aber auch bei mir fällt der eine oder andere Flug aus oder ist unpünktlich. Das ärgert uns auch in Frankfurt.
Wie länge hält dieser Zustand noch an?
Schulte: Der Sommer wird schwierig bleiben. Alle unsere Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, das System zu stabilisieren, Chaos zu vermeiden und zu einer besseren Pünktlichkeit zu kommen. Es werden überall in der Luftfahrt wie in vielen anderen Branchen auch wieder mehr Menschen eingestellt. Wir dürfen nicht vergessen: Wir kommen aus der größten Krise der Luftfahrt seit Jahrzehnten.
Stefan Schulte
- Stefan Schulte wurde am 9. April 1960 in Wuppertal geboren.
- Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann studierte er BWL in Köln. Seit 2003 arbeitet er für die Fraport AG, zunächst als Finanzvorstand, seit 2009 als Vorstandsvorsitzender der Betreibergesellschaft des Frankfurter Airports.
- 2018 übernahm Schulte auch das Präsidentenamt beim Flughafenverband ADV. kk
Die Airlines kommen zurück, die Passagiere auch – wann wird Frankfurt wieder auf dem vorpandemischen Stand sein?
Schulte: Eine spannende Frage, weil da so viele Themen zusammen kommen: Wir gehen bisher davon aus, dass wir 2025 oder 2026 wieder auf dem Stand vor Corona sind. Momentan ist die Nachfrage sehr stark, wir blicken also optimistisch nach vorne. Ihnen kann aber niemand wirklich vorhersagen, ob es sich dabei um einen einmaligen Nachholeffekt handelt oder die Luftfahrt im kommenden Jahr genauso weiter boomt. Die Entwicklung ist auch angesichts der Energiekrise und des gesamtwirtschaftlichen Ausblicks leider mittel- und langfristig kaum planbar.
Sie haben in der Pandemie 4000 Mitarbeiter abgebaut – heute suchen Sie händeringend Personal. War der harte Schnitt 2020 ein Fehler?
Schulte: Ja und nein. Der Abbau erfolgte hauptsächlich in den administrativen Bereichen; das hat uns auch geschmerzt, ist aber heute nicht unser wirkliches Problem. Uns fehlen die Menschen in den Bodenverkehrsdiensten, bei den Sicherheitsdienstleistern, im Bodenpersonal bei den Airlines. Es sind die Bereiche, in denen bis zur Pandemie die monatlichen Netto-Gehälter durch Schichtzulagen deutlich erhöht wurden. Der Wegfall an Arbeit hat auch diese Zulagen wegfallen lassen. Viele haben sich dann andere Jobs gesucht. Nur zur Erinnerung: In den ersten Monaten der Pandemie verzeichneten wir gerade mal fünf bis 20 Prozent des Verkehrsaufkommens. Im ersten Pandemiejahr schrieben wir einen Verlust von fast 700 Millionen Euro. Das zeigt, wie prekär die Lage damals war.
Heute zahlen Sie sogar Antrittsprämien.
Schulte: Ja, die liegen zwischen 1200 und 1700 Euro. Das tun wir, um mögliche Wartezeiten bei den behördlichen Sicherheitsüberprüfungen zu überbrücken, so dass keine finanziellen Ausfälle entstehen. Wir stellen derzeit pro Monat etwa 100 Mitarbeiter in den Bodenverkehrsdiensten ein und brauchen noch einige Hundert mehr. Wir müssen uns bewegen, daher haben wir auch den Tariflohn um 14 Prozent für unsere FraGround-Beschäftigten erhöht. Wir sollten zudem unseren deutschen Arbeitsmarkt grundsätzlich international öffnen, weil der Arbeitsmarkt sonst unsere größte Wachstumsbremse wird.
Wo sollen die Menschen herkommen?
Schulte: Wir akquirieren heute schon in ganz Deutschland Arbeitskräfte, aber auch in osteuropäischen Märkten und Spanien, und merken dort bereits, dass es eng wird. Wir werden uns außereuropäischen Märkten öffnen müssen. Wir brauchen eine Zuwanderungskultur und eine dazu passende gesetzliche Regelung, die weit über die derzeitigen personellen Engpässe hinausdenkt. Alle Branchen ächzen unter der Personalknappheit. Wir sind weit davon entfernt, nur IT-Kräfte und Ingenieure zu suchen. Wir brauchen auch Menschen für die einfachen Tätigkeiten. Wir brauchen Zuwanderung im großen Stil – normale Arbeiter, die derzeit in Deutschland fehlen.
Wo hakt es bisher?
Schulte: Wenn wir heute jemanden von außerhalb Europas einstellen wollen, dann müssen wir de facto durch eine Einzelfallprüfung gehen und nachweisen, dass kein hiesiger Kandidat mit vergleichbarem Profil am deutschen Markt zu finden ist. Und das bei jeder Stelle. Das ist viel zu komplex und langwierig. Damit bekommen wir von außerhalb der EU keine Fachkräfte.
Herr Schulte, laut dem Luftfahrt-Bewertungsportal Skytrax landet Frankfurt in der Liste der besten Airports der Welt auf Platz. . .
Schulte: Nicht ganz vorne.
. . .21.
Schulte: Kann sein. Wir arbeiten mit Skytrax nicht zusammen. Uns ist wichtig, dass das Kundenerlebnis deutlich besser wird als aktuell. Wir investieren in unsere Zukunft – nehmen Sie allein unser neues Terminal 3, ein echter Befreiungsschlag mit neuen Kapazitäten. Denn alle Experten sagen uns, dass wir in den kommenden Jahren die Passagierzahlen des Vorkrisenniveaus klar überschreiten werden.
Ab wann fliegen Sie von Terminal 3 ab?
Schulte: Anfang 2026. Und das Datum steht.
Platz eins in besagtem Ranking nimmt der Flughafen von Doha ein. Was kann Doha, was Frankfurt nicht kann?
Schulte: Wenn Sie einen neuen Flughafen bauen – und wir haben Doha dabei sogar intensiv beraten – und dieser Flughafen noch lange nicht ausgelastet ist, dann haben Sie einen Startvorteil. Erst recht im Vergleich zu einem älteren, mitunter verwinkelten Flughafen wie Frankfurt, wo jeder Umbau viel komplexer ist. Insofern muss man diese Unterschiede auch in Relation setzen. Für die Größe und Komplexität funktioniert Frankfurt in normalen Zeiten sehr gut.
Gibt es Flugverbindungen von Frankfurt, die Sie momentan vermissen?
Schulte: Bei fast 300 Verbindungen, die wir von hier aus anbieten, fällt mir vor allem eine ein: Ich würde gerne von Frankfurt direkt nach Lima fliegen können. Denn dort betreiben wir den Flughafen und ich muss auf der Reise dorthin zumindest einmal umsteigen. Ein Direktflug wäre da eine deutliche Verbesserung.
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