Mannheim. März 2020: Die Corona-Krise stellt den Berufsalltag von Millionen Menschen quasi über Nacht auf den Kopf. Viele Beschäftigte werden ins Homeoffice geschickt – anderen bricht mit dem ersten Lockdown die wirtschaftliche Grundlage weg.
Solo-Selbstständige haben plötzlich keine Aufträge mehr, Aushilfen und Geringfügig Beschäftigte werden gekündigt, andere landen monatelang in Kurzarbeit. Heute, rund zweieinhalb Jahre später, sind viele davon wieder in ihrer alten Branche aktiv – aber nicht alle. Ein Teil hat die Krise genutzt, um sich beruflich umzuorientieren und einen Neuanfang gewagt.
Menschen haben sich Lockdown neu sortiert
„Covid-Klarheit“ nannte Guy Ryder, Generalsekretär der UN-Organisation ILO, das Phänomen vor einiger Zeit. „Die Pandemie hat eine bedeutende Zahl an Beschäftigten dazu gebracht, ihre bisherige Arbeit und die damit verbundenen Bedingungen zu überdenken“, so Ryder.
Im Lockdown hätten die Menschen die Möglichkeit gehabt, einen Schritt zurückzutreten und sich neu zu sortieren. In den USA ist seit Monaten von der „Big Resignation“ die Rede, einer Kündigungswelle, die im vergangenen Jahr eingesetzt hat. Laut US-Statistikbehörde geben dort monatlich mehr als 4 Millionen Menschen ihren Job auf, im November 2021 wurde ein Allzeithoch von 4,5 Millionen erreicht.
Gastro-Branche verlor mehr als jeden vierten Mitarbeiter
In Deutschland kann von einem solchen „Big Quit“ auf dem Arbeitsmarkt insgesamt nicht die Rede sein; tatsächlich wechselten hierzulande während der Corona-Krise sogar weniger Menschen ihren Job als vorher. In einer aktuellen Erhebung des Umfrageinstituts Civey und dieser Redaktion gaben insgesamt 11 Prozent aller Befragten an, sich während der Pandemie beruflich neu orientiert zu haben.
Zumindest in einzelnen Branchen hat die Krise personell trotzdem nachhaltige Spuren hinterlassen – allen voran in Gastronomie, Hotellerie und Tourismus. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat die Branche alleine im ersten Pandemiejahr 216 000 Beschäftigte an andere Branchen verloren – das war mehr als jeder vierte Mitarbeiter.
Aldi Süd hatte Personalpartnerschaft mit McDonald’s
Die meisten davon, knapp 35 000, wechselten in den Handel, sitzen also heute zum Beispiel an der Supermarktkasse. Gerade der Lebensmittelhandel hatte im Lockdown offensiv um Arbeitskräfte aus Branchen geworben, die von der Zwangsschließung betroffen waren.
Der Discounter Aldi Süd hatte sogar eine Personalpartnerschaft mit McDonald’s geschlossen: Mitarbeiter der Fast-Food-Kette konnten befristet bei dem Handelsriesen aushelfen.
„Viele schauen sich nach Alternativen um“
Auch in der Logistik fanden viele Beschäftigte aus der Gastronomie einen neuen Job, zum Beispiel als Paketbote. Einen Grund für die Abwanderung in andere Branchen sieht IW-Studienautorin Paula Risius darin, dass sich Beschäftigte während der Pandemie nach Jobs umgeschaut hätten, die krisensicherer seien.
„Bei vielen dürfte in dieser Zeit das Sicherheitsbedürfnis gestiegen sein“, sagt sie. „Wenn die wirtschaftlichen Aussichten in einer Branche über einen längeren Zeitraum schlecht oder unsicher sind, wie es in den Lockdowns der Fall war, erreichen auch Instrumente wie das Kurzarbeitergeld ihre Grenzen. Viele schauen sich dann lieber nach Alternativen um.“
Suche nach langfristigen Alternativen
Berufe, die eine hohe Stabilität signalisierten, hätten in der Corona-Krise an Beliebtheit gewonnen. „Gleichzeitig haben sich viele Menschen zunächst vorübergehend alternative Beschäftigungen gesucht und die Arbeitsbedingungen in anderen Berufen kennen- und schätzen gelernt“, schreiben Risius und ihre Co-Autorin Anika Jansen in der Studie. So ließen sich die Arbeitszeiten im Verkauf beispielsweise oft besser mit dem Privatleben vereinbaren als in der Gastronomie.
„Firmen in krisengeplagten Branchen sollten deshalb deutlich machen, welche langfristigen Perspektiven sie bieten können“, rät IW-Forscherin Risius. Zudem sei es wichtig, an der Vereinbarkeit von Job und Privatem und der Arbeitgeberattraktivität insgesamt zu arbeiten.
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