Fast Fashion

Immer schneller, immer billiger

Von 
Miray Caliskan
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Wie viele Unternehmen hat es wohl gebraucht, um dieses durchschnittliche Hemd herzustellen? Es gibt nicht viele Menschen, die eine solche Frage (an sich selbst) stellen, wenn es ums Einkaufen und den Augenblick geht. Stattdessen wird das Hemd in den Händen gedreht und gewendet. Stimmt die Farbe? Von welcher Marke ist es? Wie fühlt sich der Stoff an? Wie viel kostet es? So zugespitzt dieses Gedankenspiel auch sein mag, treffender könnte sie nicht sein. Ignoranz zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Modebranche. Die Industrie steckt in der Krise. Und das schon seit vielen Jahren.

Doch was eigentlich bedeutet Mode für den Einzelnen? „Mode ist ein sehr mächtiger, extrem wandelbarer, fragiler Begriff und ich denke für jeden individuell definierbar“, findet Deniz Köksal, Leiter des Retail Research Labors und Dozent an der Fakultät Textil & Design der Hochschule Reutlingen. In jedem Kleiderschrank stecke eine eindeutige Kommunikationskomponente, welche von Raum, Zeit und dem sozialen Umfeld beeinflusst sei. Zeitgleich lasse die Mode aber für jeden zu, sich auszuleben, auszutesten und sogar ein politisches Statement zu setzen. „Es geht also immer um eine Form des Ausdrucks, nur ohne Worte oder dann, wenn Worte nicht ausreichen. Man kann mit Bekleidung eben nicht nicht etwas ausdrücken.“ Dadurch habe Mode auch etwas Magisches an sich.

Magie geht verloren

Diese Magie scheint jedoch immer mehr verloren zu gehen. In den 1990er Jahren kam es zu einem gewaltigen Umbruch in der Branche. „Die zunehmende Globalisierung hat viel verändert.“ Unternehmer hätten einen immer leichteren Zugang zu den globalen Märkten aber auch zu einer kostengünstigen Produktion gehabt. „Menschen haben mehr gesehen, mehr erlebt, mehr verdient – und so auch mehr verlangt. So wurden die Lieferketten immer komplexer, länger, undurchsichtiger“, erklärt Köksal, der zum Thema „Soziale Nachhaltigkeit in globalen Wertschöpfungsketten der Bekleidungsbranche“ promoviert hat. Die Industrie habe diese Entwicklung erkannt und versucht, noch profitabler zu wirtschaften. „Der Mode-Kalender, welcher sich klassisch an den Jahreszeiten orientierte, wurde neu definiert: Heute schaffen es Fast-Fashion-Retailer, also Händler, die schnelle Mode machen, die Laufsteg-Looks in nur drei bis zehn Wochen zu kopieren und in die eigenen Läden zu bringen“.

Schneller und günstiger, das definiert die Industrie heute. „Mode ist inzwischen teilweise zum ,Wegwerfprodukt’ verkommen. Oder besser gesagt Bekleidung“, sagt auch Matthias Löffler, Stellvertretender Leiter der Mannheimer Grafikdesignschule Manuel Fritz. „Von Mode im klassischen Sinne kann man hier kaum sprechen. Bekleidung ist hier eher ein Gebrauchsprodukt.“ Fast Fashion gehe einher mit einer riesigen Ressourcenverschwendung: Angefangen von der Rohstoffgewinnung bis hin zur Produktlogistik. „Ein Shirt für 3,99 Euro, das einmal um die Welt gereist ist, kann nicht nachhaltig produziert und fair gehandelt werden.“ Die deutsche Textilwirtschaft macht laut dem Bündnis für nachhaltige Textilien einen jährlichen Umsatz von 31 Milliarden Euro. Die Mehrzahl der in Deutschland gekauften Kleidung werde in Asien gefertigt. Der Gesamtverband textil+mode macht es am Beispiel Hemd anschaulich: Die Baumwolle stammt aus Indien, Garnherstellung findet in Korea statt, in Thailand wird der Stoff gewebt, in Deutschland veredelt, die Konfektionierung und das Nähen erledigen Beschäftigte in der Türkei, und verkauft wird das Endprodukt in vielen Staaten (siehe „Die textile Kette“). Mitunter haben die „Produktzutaten“ wie Knöpfe oder Etiketten eine eigene Lieferkette. Rund 140 Stationen würde ein Hemd durchlaufen, bis man es im Laden kaufen kann.

Beim Erzeugen des Rohstoffs sind Millionen von Menschen Pestiziden ausgesetzt. Die Stoffe werden geblichen, gefärbt und imprägniert. Die Chemikalien gelangen nicht nur in die Lungen der unterbezahlten Arbeiterinnen und Arbeiter – sondern auch in die Umwelt. Die Textilindustrie ist gezeichnet durch einen enormen Wasserverbrauch und verursacht Studien zufolge jährlich mehr Emissionen als Fliegen und Kreuzfahrt zusammen. Human Rights Watch (HRW) tritt als nichtstaatliche Organisation für die Wahrung der Menschenrechte ein – auch in der Bekleidungsindustrie. Juliane Kippenberg ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Kinderrechte bei HRW Deutschland und findet, dass Transparenz den wohl wichtigsten Bestandteil der Unternehmensverantwortung darstellt. Weshalb sie das von der Bundesregierung geplante Lieferkettengesetz sehr befürwortet.

Das „Sorgfaltspflichtengesetz“ soll Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten dazu verpflichten, dass Lieferanten im Ausland soziale und ökologische Mindeststandards einhalten. „Nur wenn die Unternehmen offenlegen, welche Menschenrechtsrisiken sie in ihrer Lieferkette ermittelt und was sie dagegen unternommen haben, wird sich etwas an den Produktionsbedingungen in den Herkunftsländern ändern.“ Außerdem könnten so die Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und andere Akteure herausfinden, wo die Missstände sind und ebenfalls dagegen vorgehen. In der Modeindustrie wüssten die meisten Konzerne zwar, wer ihre Produkte liefert. „Aber viele Firmen legen immer noch nicht offen, wer ihre Zulieferer sind und kennen auch nicht ihre ganze Lieferkette. Das ist ein großes Problem.“ Eine EU-Studie hätte zudem gezeigt, dass Sorgfaltspflichten große Unternehmen nicht mehr als etwa 0,005 Prozent ihres Umsatzes kosten würden.

Konsument muss Druck ausüben

Dass die Industrie eine radikale Transformation erleben muss, sieht auch Deniz Köksal. „Die gesamte Branche muss sich verlangsamen, die Lieferketten kürzer und transparenter werden“. Es müsse viel mehr Wert auf Qualität und Langlebigkeit gelegt werden. Das gelinge nur, wenn Nachhaltigkeit unternehmerisch gedacht und gelebt wird. Auch müssten Konsumenten begreifen, dass fast alles, was sie tragen, in „Handarbeit“ hergestellt werde. Der Konsument sei abhängig davon, was der Markt anbiete. Aber: „Ich denke, niemand hat Zara, Mango und Co. nach 20 bis 30 Kollektionen im Jahr gefragt.“ Das Umdenken in den Käuferschichten fände schon statt und werde durch junge Leute vorangetrieben. Für Köksal steht Mode für soziale Gerechtigkeit und Respekt. „Wir haben die Kontrolle darüber, was wir anziehen, wie wir‘s anziehen wie lange wir‘s anziehen. Unser Kleiderschrank spiegelt sich bis zum letzten Lieferanten in der Kette.“ Die Menschen hätten es selbst in der Hand, Kleidung wertzuschätzen und so der dringend nötigen Transformation beizutragen.

Bewusstsein in der Lehre

  • Die Nachhaltigkeit wird eines der zentralen Themen in der Zukunft der Modebranche sein. Deshalb habe die Mannheimer Grafikdesignschule Manuel Fritz dem Thema ein eigenes, freiwilliges Wahlmodul gewidmet, erklärt Matthias Löffler, Stellvertretender Leiter der Schule. In jedem Block werde ein Fokus gesetzt, der über Produktlebenszyklus und Wertschöpfungskette die textilen Ressourcen beleuchtet sowie soziale Aspekte der Textilproduktion aufzeigt. Auch würden Konzepte für technische Verfahren sowie nachhaltige Unternehmensführung vorgestellt und Siegel und Zertifikate erklärt.
  • Natürlich werde es Massenmode weiterhin geben, so Löffler. Aber nicht wenige Käuferinnen und Käufer seien bereit, für nachhaltig produzierte Bekleidung mehr Geld zu bezahlen. Die Individualität – die Nische und das Besondere abseits des Mainstreams – gewinne an Bedeutung. „Und genau hierin liegt für die Modeschaffenden von Morgen eine riesige Chance.“

Volontariat

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