Energie

Woher kommt in Zukunft die Fernwärme für die Region?

Von 
Martin Geiger
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Geklärtes Abwasser als Fernwärmequelle: In Lemgo gibt es bereits eine Großwärmepumpe. © Stadtwerke Lemgo GMBH

Rhein-Neckar. Rund 160 000 Haushalte in der Rhein-Neckar-Region heizen mit Fernwärme. Noch wird diese größtenteils vom Grosskraftwerk Mannheim (GKM) geliefert. Doch bis 2030 will die MVV Energie die Erzeugung auf erneuerbare Energien umstellen. Wie solch eine Transformation gelingen kann, hat Norman Gerhardt untersucht.

Herr Gerhardt, ganz Deutschland diskutiert über Klimaschutz und die Energiewende. Unter Fachleuten gilt die Wärmewende aber als noch komplizierter als die Stromwende. Warum ist das so?

Norman Gerhardt: Die Stromwende ist die Basis für alles. Nur wenn sie gelingt, können wir auch in den anderen Bereichen wie Wärme und Verkehr die fossilen Energieträger ersetzen - und damit den klimaschädlichen CO2-Ausstoß verringern. Alleine wird die Stromwende aber nicht reichen, um Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Dazu braucht es unter anderem eben auch die Wärmewende - bei der wir aber längst noch nicht so weit sind wie beim Strom.

Sie haben in einer Studie untersucht, wie sich Fernwärmenetze auf erneuerbare Energien umstellen lassen. Wir haben hier in der Rhein-Neckar-Region eines der größten in Deutschland. Was würden Sie uns raten?

Gerhardt: Konkret raten kann ich natürlich nichts, weil ich dazu die Gegebenheiten vor Ort zu wenig kenne. Ich kann Ihnen aber sagen, zu welchen Ergebnissen unserer Studie gekommen ist: nämlich, dass Großwärmepumpen der Schlüssel zur Dekarbonisierung der Fernwärme sind. Sie sind die zentrale Technologie der Wärmewende. Darum sollte der Hauptteil der Versorgung auch durch sie erfolgen. Ergänzt werden müssen sie durch Geothermie und industrielle Abwärme - und eventuell noch durch Holzheizwerke und gasbefeuerte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen als Spitzenlast- und Brückentechnologien.

Experte des Fraunhofer-Instituts

Norman Gerhardt ist Leiter der Arbeitsgruppe Energiewirtschaft und Systemanalyse beim Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik in Kassel.

Er hat an der Universität Kassel Regenerative Energien und Energieeffizienz studiert.

Seine Schwerpunkte sind u.a. energiewirtschaftliche Studien, politische Rahmenbedingungen und Entwicklung der Strommärkte. mig

Wie funktionieren solche Großwärmepumpen?

Gerhardt: Im Prinzip wie ein umgekehrter Kühlschrank: Man entzieht einem Fluss, etwa dem Rhein, oder dem Abwasser von Kläranlagen Wärme, um damit zu heizen. Bei einzelnen Häusern, wo die Wärme aus dem Boden gewonnen wird, ist das heutzutage schon Standard. In skandinavischen Ländern werden auch bereits Fernwärmenetze mit Großwärmepumpen versorgt. Technisch ist das also kein Problem. In Deutschland hinken wir da allerdings noch deutlich hinterher.

Warum?

Gerhardt: Weil man für den Einsatz der Großwärmepumpen Strom braucht - der hierzulande durch die hohen Abgaben aber sehr teuer ist. Darum lohnen sich diese Anlagen zurzeit noch nicht. Der Strom muss billiger werden. Diese Erkenntnis setzt sich langsam auch in der Politik durch, weshalb ja beispielsweise über die Abschaffung der EEG-Umlage diskutiert wird. Auch eine Betriebsförderung kann übergangsweise helfen. Das System muss auf alle Fälle schnell reformiert werden - dann ist der Weg für die Großwärmepumpen frei.

Müsste aber nicht gleichzeitig auch die Temperatur in den Fernwärmenetzen abgesenkt werden, um die Effektivität zu erhöhen? Und würde das nicht enorme Folgekosten nach sich ziehen?

Gerhardt: Ja und nein. Prinzipiell ist es schon so: Je weiter man die Temperatur absenkt, umso besser ist es. Denn die Effizienz der Wärmepumpe hängt vom Temperaturgefälle ab, das sie überwinden muss. Wenn der Rhein im Winter fünf Grad hat und das Fernwärmenetz 100 Grad braucht, ist die Spreizung schon groß. Aber ein zusätzliches Heizwerk, das zeitweise ein niedrigeres Temperaturniveau der Wärmepumpe hebt, kann hier helfen. Und wenn der Rhein im Sommer 20 Grad hat und das Netz vielleicht 70, sieht es schon ganz anders aus.

Und die Folgekosten?

Gerhardt: In der Regel sind die Anpassungskosten nicht zu hoch. Man muss sich dabei jedoch jedes einzelne Netz genau anschauen und untersuchen, wie weit sich die Temperatur absenken lässt und welche Maßnahmen dafür nötig sind. Generell ist es aber so, dass für ein normales Wohngebäude auch niedrigere Temperaturen kein Problem sind. Allerdings kann es sein, dass man den einen oder anderen Industriekunden dann nicht mehr versorgen kann. Oder dass man eventuell in entfernteren Teilen des Netzes eine zusätzliche Versorgung aufbauen muss, da weniger Leistung durch das Netz transportiert werden kann.

Unser Versorger hier, die MVV Energie, plant die Installation einer Flusswärmepumpe mit einer Leistung von 20 Megawatt. Reicht das Ihrer Einschätzung nach?

Gerhardt: Wir haben in unserer Studie mal als Beispiel die Umstellung des Duisburger Netzes durchgerechnet. Da waren 20 Megawatt die minimale erste Leistung, mit der man reingehen sollte. Für ein einzelnes Projekt ist das eine gute Größe. Aber mittelfristig braucht es dann schon mehrere solcher Projekte - auch wenn ich nicht genau sagen kann, wie viele.

Lässt sich der komplette Fernwärmebedarf so decken?

Gerhardt: Nein, wie gesagt: Man sollte sich auch die Geothermie sehr genau anschauen, weil die Voraussetzungen dafür bei Ihnen am Oberrheingraben exzellent sind. Außerdem kann man bis zu einem gewissen Grad industrielle Abwärme nutzen, wie das mit dem Müllheizkraftwerk ja schon gemacht wird. Und für die Versorgungssicherheit braucht man dann noch ein Heizwerk, das mit Gas, Biomasse oder etwas anderem betrieben wird: Das garantiert hohe Leistungen, die nur sehr selten abgerufen werden. In der meisten Zeit des Jahres kann man die Grund- und Mittellast mit Großwärmepumpen jedoch gut abdecken. Die Wärmepumpe als Technologie wird zukünftig den Riesen-Anteil der Gebäude mit Wärme versorgen - egal, ob dezentral oder in Nah- oder Fernwärmenetzen.

Ist die Fernwärme eigentlich noch zeitgemäß oder wären dezentrale Systeme nicht besser?

Gerhardt: Ganz im Gegenteil, Fernwärme spielt bei der Energiewende eine wichtige Rolle - die zukünftig sogar noch größer werden muss. Ihr entscheidender Vorteil ist, dass man mit einigen wenigen Projekten Tausende Haushalte von fossilen auf erneuerbare Heizungssysteme umstellen kann. Wenn Sie stattdessen jedes Haus einzeln anfassen müssten, würde das viel länger dauern. Darum sind wir in unserer Studie davon ausgegangen, dass die Fernwärme weiter ausgebaut wird. Zurzeit sind etwa elf bis 15 Prozent aller Haushalte in Deutschland an die Netze angeschlossen. Diese Quote sollte in den nächsten zehn Jahren mindestens verdoppelt werden.

Wie soll das gehen?

Gerhardt: Die Politik muss mehr Anreize schaffen, um auch in bestehenden Gebäuden erneuerbare Wärme einzusetzen. Sonst haben Sie gegen eine fossile Versorgung wie etwa den klassischen Gaskessel kaum eine Chance. Möglicherweise muss man auch über einen Anschlusszwang nachdenken. Denn es gibt noch ein großes Verdichtungspotenzial: In vielen Straßen, wo schon Netze liegen, sind gar nicht alle Häuser angeschlossen. Dort könnte man die Fernwärme ausbauen, ohne neue Leitungen zu verlegen.

Kein Wunder, die Fernwärme ist ja auch ziemlich teuer . . .

Gerhardt: Das stimmt gar nicht, im Grunde liegen die Kosten ziemlich nah beieinander. Die Frage ist nur, wie man es berechnet: Der Weiterbetrieb eines bestehenden Gaskessels ist natürlich sehr günstig. Aber sobald der kaputt ist und Sie einen neuen brauchen, ist die Gasheizung auch nicht mehr billiger. Wir haben in unserer Studie ausgerechnet, dass die Fernwärmelösung auch in Zukunft immer leicht günstiger sein wird als eine dezentrale Versorgung.

Wird Biomasse künftig überhaupt noch eine Rolle spielen?

Gerhardt: Schwierige Frage. Aus heutiger Sicht ist es kaum einzuschätzen, ob es neben der vorrangigen stofflichen Nutzung langfristig sinnvoller ist, Biomassenutzung zu vermeiden oder sie in Spitzenlastheizwerken zu verbrennen und - wenn man das CO2 abscheiden und lagern könnte - neben Wärme damit sogar negative Emissionen zu erzeugen. Aber selbst wenn das gelänge, wäre es aus meiner Sicht nicht nachhaltig, sie im Wärmebereich einzusetzen, wo wir auch mit niedrigeren Temperaturen klarkommen. Deshalb denke ich, dass sie hier langfristig keine Rolle spielen wird.

Und Wasserstoff?

Gerhardt: Der konnte sich in unserer Studie nicht durchsetzen - weil er zu teuer war. In den nächsten Jahren ist er ohnehin noch nicht verfügbar. Und wenn die Stromkosten und die Netztemperaturen erst mal unten sind, hat der Wasserstoff gegen die Wärmepumpen keine Chance mehr.

Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

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