Im Interview sprechen Birgit Rechlin, Geschäftsführerin des Hockenheimer Marketing Vereins e.V., und Oliver Engert, Geschäftsführer des Stadtmarketing Schwetzingens e. V., über die vergangenen Pandemie-Jahre und über die Zukunft der beiden attraktiven Städte.
Nach über zwei Jahren Einschränkungen durch die Pandemie – endlich wieder ein Sommer, der an die Normalität erinnert. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Innenstädte aus?
Birgit Rechlin: Die mehr als zwei Jahre Corona-Pandemie haben bei unseren Einzelhändlern, Gastronomen und Dienstleistern auf alle Fälle ihre Spuren hinterlassen und den Strukturwandeln beschleunigt. Im Augenblick ist zwar eine gewisse Normalität in der Innenstadt eingekehrt und wieder etwas Leben auf den Straßen, aber alles doch noch sehr verhalten, da man nicht wirklich weiß, was im kommenden Herbst/Winter für Vorgaben wieder sein werden. Bei unseren großen Stadtfesten, wie dem Hockenheimer Mai hat man aber gemerkt, dass die Leute ausgehungert sind und endlich wieder leben, sich mit Freunden treffen und den Sommer im Freien genießen wollen.
Oliver Engert: Auch wenn es zu Jahresbeginn pandemiebedingt noch etwas schleppend anlief, können wir seit März eine positive Tendenz feststellen. Zwar sind im Durchschnitt über den Tag verteilt noch immer deutlich weniger Menschen in der Innenstadt unterwegs als vor der Pandemie, aber gerade im Rahmen von Aktionen und/oder Events spürt man deutlichen Nachholbedarf und ein erhöhtes Besucheraufkommen.
Noch einmal das Thema Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen. Damals kehrten viele Kunden – auch bedingt durch die Lockdowns – dem Einzelhandel den Rücken und kauften vorrangig online ein. Ist da ein Wandel spürbar? Wie können Sie marketingtechnisch ihren Mitgliedern den Rücken stärken?
Birgit Rechlin: Auch in Hockenheim wurde und wird immer noch viel online gekauft, mittlerweile wird jeder vierte Bekleidungs-Euro in einem Onlineshop ausgegeben. Dies ist zwar praktisch für den Konsumenten, aber häufig passt das Produkt nicht und es muss wieder umgetauscht werden. Dagegen steht ganz klar der stationäre Einzelhandel mit seiner persönlichen Beratung vor Ort sowie ein individuelles Einkaufserlebnis, auf seine Kunden einzugehen, ihnen die Möglichkeit zu geben auch etwas auszuprobieren. Diese Vorteile muss der Einzelhandel sich zunutze machen. Das Geschäft sollte sich aber auch gut präsentieren, das heißt, eine informative und leicht bedienbare Homepage haben, auf Social Media seine Präsenz mit Angeboten, Rabatten und Neuheiten zeigen sowie im Innen- und Schaufensterbereich sich attraktiv präsentieren. Dafür bieten wir unseren Mitgliedern in Kooperation mit der IHK Mannheim im August eine Schaufensterdoktorin, die bezahlbare Tipps dazu gibt, aber auch Impulsvorträge zur Sicherung der Homepage und Nutzung von Social Mediakanälen. Wir haben in der Pandemie 2020 die Rennstadtkarte eingeführt. Eine Gutscheinkarte, die hervorragend angenommen wird. Damit binden wir die Kaufkraft in der Stadt, um unsere Gewerbetreibenden in Hockenheim zu stärken. Diese planen wir auch online, denn die beste Kombination ist die Mischung aus beidem.
Oliver Engert: Der Online-Handel hat schon seit längerem immer mehr an Bedeutung gewonnen. Die Corona Pandemie hat die Situation jedoch noch mal deutlich vorangetrieben. Desto wichtiger ist es nun, dass der stationäre Handel anfängt umzudenken und seine Position an den Punkten stärkt, welcher der Online-Handel nur bedingt oder gar nicht bieten kann: zum Beispiel die Kombination aus Online-Shop und stationärem Handel. Aber auch das ‚Erlebnis’ eines Einkaufsbummels durch die Stadt. Wir vom Stadtmarketing begleiten genau bei diesen Punkten. Angefangen bei der Digitalisierung bis hin zu gemeinsamen regelmäßigen Aktionen um dem Einkauf einen Eventcharakter zu verleihen.
Hockenheim, die Rennstadt und Schwetzingen, die Spargelstadt – womit können beide Städte noch punkten?
Birgit Rechlin: Hockenheim hat einiges zu bieten. Allem voran schon die Bekanntheit des Namens durch den Hockenheimring, den es seit 90 Jahren gibt und der nicht nur für Rennen steht, sondern auch für Lauf-events oder Großkonzerte, wie zum Beispiel im nächsten Jahr Bruce Springsteen. Es gibt aber auch ganz neue Ecken, wie das HÖP und den Bereich der Zehntscheune mit dem renaturierten Kraichbach sowie dem ehemaligen Landesgartenschaupark, die echte Erholungsstreifen in Hockenheim sind und zum Verweilen einladen. Auch architektonisch haben wir einiges zu bieten, neben unserem Wasserturm, haben wir die katholische Kirche St. Georg, die absolut mal einen Besuch wert ist. Nicht nur von außen im Jugendstil gehalten, sondern auch die Ausstattung im Inneren ist vollständig erhalten. Punkten kann Hockenheim aber auch bei den Jugendlichen, die bis Ende des Jahres den neuen Skatepark haben werden.
Oliver Engert: In Schwetzingen treffen nicht nur Lebenslust und Gartenkunst, sondern auch musikalischer und kulinarischer Hochgenuss aufeinander. Herzstück bildet die Sommerresidenz mit ihrem prächtigen Schlossgarten. Nur wenige Schritte vom Schloss entfernt präsentiert sich die Innenstadt Schwetzingens. Hier lässt es sich in den Restaurants und Cafés wunderbar verweilen. Überdies laden viele attraktive Geschäfte zu einem ausgedehnten Einkaufsbummel ein. Des Weiteren bietet Schwetzingen eine sehr hohe Lebensqualität. Gerade für Familien gibt es in den vielen Vereine eine Menge Abwechslung. Ein eigenes Hallen- und Freibad sowie die Alla-Hopp-Anlage runden das vielfältige Angebot ab.
Wie sieht für Sie der ideale Einkaufsbummel in ‚Ihren Städten’ aus?
Birgit Rechlin: Um es kurz zu sagen: Der heutige Kunde möchte, dass die Innenstadt eine Erlebniswelt ist, in der er sich gerne aufhält, denn er kommt nicht mehr primär zum Händler einzukaufen, sondern um seine Freizeit in einem Wohlfühl-Ambiente zu verbringen.
Oliver Engert: Entspanntes Parken mitten in der Innenstadt. Egal ob mit Auto oder Fahrrad. Danach einen leckeren Brunch mitten auf dem Schlossplatz in der Sonne und vor traumhafter Kulisse als Stärkung für den Tag. Anschließend durch die Einkaufsstraßen flanieren und in den vielen abwechslungsreichen Geschäften sich freundlich beraten und inspirieren lassen. Zum Abschluss eines erfolgreichen Einkaufsbummels gibt’s noch ein frühes Abendessen in einem der zahlreichen Restaurants.
Rennstadtkarte und Kurfürstenkarte, wie kommen beide an, wo liegen die Vorteile für Nutzer und Anbieter?
Birgit Rechlin: Die Rennstadtkarte hat sich absolut in Hockenheim etabliert und läuft sehr gut. Es ist ein Gutschein von hier für hier, der in über 70 Akzeptanzstellen eingelöst werden kann, das heißt man verschenkt einen Gutschein nicht nur für ein Geschäft, der vielleicht auch noch zeitlich limitiert ist, sondern der Beschenkte hat eine sehr große Auswahl und kann den Gutschein so lange einlösen, wie es den Hockenheimer Marketing Verein (HMV) gibt. Zur Information haben wir ein Erklärvideo auf unserer Homepage. Für den Anbieter, also die Akzeptanzstelle, ist die Annahme der Rennstadtkarte kostenlos, wie Bargeld. Erst bei der Rückgabe zahlen Nicht-Mitglieder des HMVs fünf Prozent Bearbeitungsgebühr. Auch als steuerfreier Arbeitgebergutschein wird er gerne genommen, der sich ja Anfang des Jahres von 44 auf 50 Euro erhöht hat. Zurzeit arbeiten wir an der Online-Version und hoffen, dass alle Akzeptanzstellen mitmachen. So hätten wir auch hier die hybride Variante: online und immer verfügbar und traditionell als reale Karte, die in einer schönen Verpackung verschenkt werden kann.
Oliver Engert: Die Kurfürstenkarte ist ein sehr beliebtes Produkt mit einer hohen Nachfrage und vielen teilnehmenden Geschäften. Daher werden wir die Kurfürstenkarte voraussichtlich noch in diesem Jahr digitalisieren. Zwar wird es die Karte noch immer im so beliebten Stil geben, jedoch mit vielen zusätzlichen Möglichkeiten: zum Beispiel dem Aufladen eines Wunschbetrages, die Möglichkeit online einen Gutschein zu verschicken, einer Web-Präsentation der Geschäfte samt Einkaufs Möglichkeiten, digitale Arbeitgeber Aufladung und vieles mehr.
Seit über zwei Jahren hat Hockenheim eine Zertifizierung zur Fairtrade-Stadt. Worin liegen da die Vorteile? Strebt diese Zertifizierung auch Schwetzingen an?
Birgit Rechlin: Hockenheim hat sich bewusst entschieden zu ,fair-ändern’. Mittlerweile sind wir schon seit drei Jahren Fairtrade Stadt und befürworten einen fairen Handel, nicht nur bei uns, sondern auch in Entwicklungs- und Schwellenländern. Es sollte bessere Preise für Kleinbauernfamilien, menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Beschäftigte auf Plantagen sowie den Abbau von wirtschaftlichen Ungleichgewichten geben. Für jeden sollte es ein Anliegen sein fair gehandelte Produkte anzubieten und zu kaufen. Und dies fängt bei einem selbst an. Auch der HMV ist aktiv mit dabei und unterstützt dieses Projekt mit Impulsvorträgen oder ganz einfach mit Fairtrade Erzeugnissen, wie Kaffee, Tee, Kekse oder T-Shirts, bis hin zu unseren Schoko-Nikoläusen, die von unserem Christkind zum Hockenheimer Advent verteilt werden.
Oliver Engert: Wir haben uns für das ganzheitliche Konzept von Cittàslow entschieden und sind dort seit 2018 zertifizierter Partner. Hauptziele sind die Verbesserung der Lebensqualität in Städten und das Verhindern der Vereinheitlichung. Im Fokus stehen sieben Themenbereiche: Umweltpolitik, Infrastrukturpolitik, urbane Qualität, Aufwertung der einheimischen Erzeugnisse, Gastfreundschaft, Bewusstsein und landschaftliche Qualität. Der enge Austausch mit den anderen Mitgliedern und der stetige Prozess zur Verbesserung in jedem Teilbereich, bringt uns diesem Ziel näher.
E-Autos sind in aller Munde und sollen in Zukunft das Verkehrsbild bestimmen. Shoppen und in dieser Zeit das Auto aufladen, ist sicher der Traum vieler Konsumenten. Wie sieht es in Hockenheim und Schwetzingen mit E-Ladestellen aus?
Birgit Rechlin: E-Autos sind zwar in aller Munde, aber noch lange nicht vor jeder Haustür! Es gibt definitiv noch zu wenige Ladestationen in der Innenstadt. Wie dies flächendeckend praktiziert werden soll, wird bestimmt noch eine spannende Herausforderung. Am besten wäre es aber, man würde in Hockenheim das Fahrrad nehmen, um in der Innenstadt seinen Einkauf zu tätigen, umweltfreundlicher und kostengünstiger geht es kaum.
Oliver Engert: Bis 2020 haben wir in der Stadt zehn Ladepunkte für Elektrofahrzeuge geschaffen. 2021 kamen noch mal vier weitere hinzu. Aber auch die Nachfrage aus dem Einzelhandel, E-Ladestationen ggf. sogar selbst mitzufinanzieren steigt. Auch in diesem Jahr wird Schwetzingen die Ladestellen nochmals erweitern. Persönlich sehe ich einen nachhaltigen Erfolg der E-Mobilität im Ausbau genau dieser Infrastruktur.
Was sind Ihre Wünsche für die nächsten Monate?
Birgit Rechlin: Normalität und Planungssicherheit bei unseren Veranstaltungen, auch bei den zukünftigen im Herbst und Winter, dass wir nicht wieder Events absagen oder coronabedingt einschränken müssen. Aber auch, dass es bald eine praktikable Lösung für den Innenstadtbereich gibt, damit der Platz um die Zehntscheune mit der Karlsruher Straße wieder ein belebter Wohlfühl-Platz wird und wir dort das ein oder andere Fest feiern können.
Oliver Engert: Mein Wunsch wäre ein schnelles und friedliches Ende des Krieges in der Ukraine. Des Weiteren keine neue Corona-Welle mit Einschränkungen im Winter.
Können Sie uns schon eine Vorschau auf 2023 geben, auf was können sich die Kurpfälzer beim Besuch von Schwetzingen und Hockenheim freuen?
Birgit Rechlin: Wir planen jetzt schon wieder unsere großen Brauchtumsveranstaltungen, angefangen vom Fastnachtszug, dem Sommertagszug, dem Frühlingsfest und der Kerwe mit verkaufsoffenen Sonntagen und natürlich den Hockenheimer Mai und den Hockenheimer Advent sowie kleinere Feste wie Spargelsamstag und Französischer Markt. Es wird auch wieder tolle Aktionen rund um die Rennstadtkarte geben, Historischen Führungen, die seit Anfang 2020 nicht mehr durchgeführt wurden, werden wieder belebt und erweitert. Auch die Palette der Hockenheimer Produkte wird von uns erweitert, damit jeder Kurpfälzer ein Andenken und Mitbringsel von unserer Rennstadt mit nach Hause nehmen kann.
Oliver Engert: Im Rahmen der BUGA 2023 wird Schwetzingen seine Gartenkunst mit vielen verschiedenen Ausstellungen und Veranstaltungen feiern. Zudem wird es 2023 wieder den beliebten Spargelsamstag, den Französischen Markt sowie den Schwetzinger Herbst geben. Des Weiteren ist das Lichterfest, Schloss in Flammen, Musik im Park sowie die Classic Gala (Concours d’Elegance) geplant. Nicht zu vergessen das Schwetzinger Mozartfest und die Fete de la Musique. Sportlich geht es beim Spargellauf zu und als Host Town der Delegation von der Karibikinsel Jamaika (bei den Special Olympics World Games) erwarten wir eine ganz besondere Atmosphäre in der Stadt.
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