Ludwigshafen. Dass es eine sehr ästhetische Angelegenheit wird, war klar. Viele sind genau deshalb gekommen, sind die Arbeiten des französischen Choreographen Angelin Preljocaj doch genau dieser berückenden Schönheit wegen seit Jahrzehnten linksrheinische Publikumsattraktionen. Steigen wir in diesem Jahrtausend ein, werden sich manche vielleicht an „Helikopter“ erinnern, der 2003 - noch unter Intendant Michael Haensel - in Ludwigshafen gastspielweise in Ludwigshafen landete. Dessen Nachfolger Hansgünther Heyme zeigte 2010 „Und dann tausend Jahre Ruhe“, während Intendant Tilman Gersch, seit 2015 im Amt, 2019 „La Fresque“ an den Rhein holte, um nun mit Preljocajs „Mythologies“ nachzulegen.
Durch einen Rückblick auf Gewesenes lässt sich die Arbeits- und Wirkweise des Tanz- und Bilderweltenschöpfers Preljocaj genauer beleuchten. Kooperierte er etwa 2010 in blutig-feurigen Bilder der Johannesoffenbarung mit dem Bolschoi Ballett, tut er es im aktuellen Gastspiel mit Tänzerinnen und Tänzern des National Opera Ballet de l’Opéra National de Bordeaux. 2019 setzte er nicht nur auf imposante Videos mit Schleiern und Wolken, sondern assoziierte mit langhaarigen Tempelpriesterinnen und antikisierenden Gewändern mythologische Urwelten. Eine Welt, die er als grundlegend für unsere kollektive Vorstellungskraft erachtet - und die zudem auch unsere ästhetische Einschätzungen bis heute prägt. Also ab ins alte Latein- und Sagenbuch, hin zu den höchst brutalen mythologischen Geschichten der Antike, die später als „Edle Einfalt, stille Größe“ die Kunst prägen sollten.
Antike und Moderne begegnen sich an zwei Abenden kunstvoll
Das Kunststück Preljocajs besteht darin, diese Sinnbilder menschlicher Urängste effektvoll mit zeitgenössischem Tanz zu verbinden - was folglich Humanisten und Griechischlehrer ebenso entzückt, wie moderne Tanzfreunde auf der Suche nach Ungewöhnlichem. Zwölf Tänzerinnen und acht Tänzer setzen an zwei pausenlosen 90-minütigen Abenden Preljocajs vielseitigen, auf der Neoklassik fußenden Moderne wahrlich brillant um.
Choreograph Angelin Preljocaj
- Angelin Preljocaj wurde 1957 in der Nähe von Paris geboren. Der französische Tänzer und Choreograph albanischer Abstammung studierte Modernen Tanz in der Pariser Schola Cantorum bei Karin Waehner.
- Seine erste Choreographie, das Duo „Aventures coloniales“, zeigte er 1984 als Mitglied der Compagnie von Dominique Bagouet. Schon 1985 gründete Preljocaj seine eigene Tanzcompagnie, das heutige Ballet Preljocaj mit Sitz in Aix-en-Provence.
- Seine Werke haben Eingang ins Repertoire internationaler Ballettcompagnien gefunden. Zudem kooperiert er häufig mit anderen Balletthäusern. rcl
Es wird martialisch-kriegerisch gestampft, weihevoll geschritten und in weiten Arabesken mit offener Armarbeit getanzt, wobei besonders seine choreographischen Einfälle für die kunstvollen Hebefiguren hervorzuheben sind. Deren Schöpfer setzt dabei abwechslungsreich auch auf Bodennähe und Zeitlupe, was durch die exakte Synchronie seiner Aix/Bordeaux-Compagnie zu seiner speziellen Ästhetik führt: Einzelne beginnen, andere steigen ein, der Bewegungsablauf multipliziert sich, bis eine Welle oder ein eindrückliches Tutti entsteht.
Freilich wird dies wirkmächtig unterfüttert, etwa durch ätherisch-antikisierende Kostüme Adeline Andrés oder die beweglichen Bühnenelemente Adrien Chalgards, der uns immer neue Räume vor Augen führt. Apropos Augen, diese „Spiegel der Seele“ nimmt auch die Videoarbeit von Nicolas Clauss eng in den Blick, manchmal gar in ganzer Bühnenbreite, was, wie vieles an diesem mit Beifallsovationen bedachten Abend, seine gewünschte Wirkung erzielt.
Fette Klänge und pantomimische Götter-Begegnungen
Ob die Klänge des - nach dem Aus seines Elektro-Duos Daft Punk - nun Ballettmusik komponierenden Thomas Bangalters nicht ein wenig zu pompös dafür sind, mag jeder für sich entscheiden. Oft schwelgt sich der Cinemascope-Sound behäbig und beliebig in leeren Prunkposen dahin. Dadurch wirken die pantomimischen Begegnungen zwischen Zeus und Danaë, Ares und Aphrodite, das überbebilderte Treiben der Amazonen, die blutigen Geschehnisse im Labyrinth des Minotaurus, oder der flugfreudig-leichtsinnige Ikarus doch stark überfettet. Doch Bäcker wissen: Fettglasuren glänzen. Würde nicht so exzellent getanzt, lägen Worte wie Ästhetizismus, Schwulst oder Kitsch nicht mehr weit entfernt. Zumal hier mit hohepriesterlich gespreizten Armen, Blutbesudelung, wallenden Gewändern und Nebeln - wir erinnern uns an die eingangs erwähnten Vorgänger - ohnehin nah an der Grenze hierzu gearbeitete wurde. Wer Freude an satten Bilderwelten, großen Szenen und Pathos hat, war freilich begeistert. Es waren nicht wenige: Mit rhythmischem Klatschen und herzlichem Applaus brach sich die Begeisterung Bahn.
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