Das Wichtigste in Kürze
- Bruce Springsteen rockt im ausverkauften Deutsche Bank Park in Frankfurt vor 44.500 Fans.
- Das Konzert wird von politischen Botschaften und mitreißender Musik mit Elementen eines Gottesdienstes geprägt.
- Springsteen und die E Street Band begeistern mit einer energiegeladenen Show.
Frankfurt. Zu spät kommt am Samstag nur der Sonnenuntergang. Die E Street Band und Bruce Springsteen starten ihr ausverkauftes Konzert im Deutsche Bank Park in Frankfurt überpünktlich um kurz vor 19.30 Uhr. Das konnten sie guten Gewissens tun, denn die 44.500 Fans waren im 100 Jahre alt gewordenen Waldstadion auf ihren Plätzen – ganz anders als beim ersten Tourabschnitt 2023 auf dem Hockenheimring, als wegen Verkehrsproblemen viele erst zur Zugabe kommen konnten. Das einzig Unerfreuliche an diesem makellosen Ablauf: Die rund dreistündige Show findet komplett im Hellen statt. Das lässt sich bei perfekten Open-Air-Bedingungen verschmerzen, zumal beim Boss und seiner 17-köpfigen Band (Gattin Patti Scialfa spielt auf dieser Tournee nur sporadisch mit) der Fokus voll auf Musik und kaum auf Licht- und Showeffekten liegt.
Der bei aller Wucht äußerst differenzierte, spannend und mit Sinn für Feinheiten arrangierte Sound der E Street Band hätte ein klareres Klangbild verdient gehabt. Hier hatte der Hockenheimring die Nase klar vorn. Dass Springsteen in dieser Tourphase nicht mehr Rekordmassen wie die 80.000 Fans vor den Toren Mannheims anzieht, muss man eigentlich positiv sehen: Im Vorfeld hatte damals der Eindruck geherrscht, dass es Springsteens letzte Live-Auftritte in Europa sein könnten. Das hat der Boss mit permanenter Hochform nachhaltig vom Tisch gewischt. Heute käme niemand im Stadion auf die Idee, dass es seine letzte Show in Frankfurt gewesen sein könnte.
„Guten Abend Frankfurt!“ - und schon folgt „One! Two! Three! Four!“
Bruce Springsteen macht zu Beginn nicht viel Federlesens. In den triumphalen Begrüßungsjubel und die langgezogenen „Bruuuuce“-Rufe ruft er knapp „Guten Abend Frankfurt!“ und schon folgt das charakteristische, hochenergetische Einzählen: „One! Two! Three! Four!“ Beim trotzigen, heute auch politisch zu verstehenden Opener „No Surrender“ rückt die Bildregie auf den Videowänden vor allem Band-Ikonen wie die Gitarristen Little Steven und Nils Lofgren, Drummer Max Weinberg, Pianist Roy Bittan, Bassist Garry Tallent und Saxofonist Jake Clemons, Neffe seines legendären, 2011 verstorbenen Vorgängers Clarence Clemons, ins Bild. Und natürlich Springsteen. Dessen Outfit verblüfft: Bei 28 Grad und anfangs grellem Sonnenschein trägt er über dem Hemd eine Weste und eine eng gebundene Krawatte. Die müsste er bei seiner Art zu singen eigentlich sprengen, als wäre er der Hulk.
Politische Ansprachen und wichtige Songs laufen mit deutschen Untertiteln
Danach folgt dieselbe Ansprache gegen die „korrupte US-Regierung“ unter einem „ungeeigneten Präsidenten“ wie in Manchester. Nahe wortgleich, mit deutschen Untertiteln und abgelesen. Springsteens Kritik hatte im Mai zu weltweiten Schlagzeilen und einer geradezu kindischen Reaktion Donald Trumps geführt. Da das vermutlich alle im Stadion mitbekommen haben und ohnehin derselben Meinung sind, hätte der Boss es auch dabei belassen können. Auch wenn man eigentlich nicht oft genug Position für die bedrohte Demokratie vor allem in den USA und Werte als Schutz vor Autokratie beziehen kann. Aber es passiert zu oft im Konzert. Und die etwas spröde Vortragsform der Kundgebungen fällt gegenüber Springsteens oft glühender Gesangs-Performance zwangsläufig ab.
Das Programm im Deutsche Bank Park
Hauptteil
1. No Surrender (1984)
2. Land Of Hope And Dreams (2009)
3. Death To My Hometown (2009)
4. Lonesome Day (2002)
5. My Love Will Not Let You Down (1998)
6. Rainmaker (2020)
7. Atlantic City (1982)
8. Trapped (Jimmy Cliff, Version von Springsteen 2003)
9. The Promised Land (1978)
10. Hungry Heart (1980)
11. The River (1980)
12. Youngstown (1995)
13. Murder Incorporated (2005)
14. Long Walk Home (2007)
15. House Of A Thousand Guitars (2020)
16. My City Of Ruins (2002)
17. Because The Night (Patti Smith Group, 1986)
18. Wrecking Ball (2009)
19. The Rising (2002)
20. Badlands (1978)
21. Thunder Road (1975)
Zugabe
22. Born In The U.S.A. (1984)
23. Born To Run (1975)
24. Bobby Jean (1984)
25. Dancing In The Dark (1984)
26. Tenth Avenue Freeze-Out (1975)
27. Twist And Shout (The Top Notes, 2019)
29. Chimes Of Freedom (Bob Dylan, 1988)
Zumal die Songs für sich sprechen. Die Setlist ist über weite Teile ein durchkonzipiertes Statement, obwohl in der ersten Hälfte die Lieder im Vergleich zu den vorhergehenden Shows relativ wild durcheinander wirbeln – wohl auch als Reaktion auf die Fan-Kritik, dass die Programme für Springsteen-Verhältnisse etwas zu statisch geworden waren. Es geht – natürlich – um Amerika. Wie es sein soll. Wo die USA in Gefahr ist. Schon im zweiten Lied „Land Of Hope And Dreams“ wird das überdeutlich – mit „People Get Ready“-Zitat und souligem Prediger-Gestus, der sich durchs halbe Konzert zieht. „Death To My Hometown“ bleibt mit wirbelnd angedeutetem Marsch-Rhythmus im (kontrastreichen) Bild. Aber die USA sind nun mal vielfältig – normalerweise.
„Rainmaker“ über die Gefahr durch Scharlatane wie Donald Trump
Wieviel Wert Springsteen darauf legt, dass diese Botschaften verstanden werden, sieht man daran, dass zu solchen Liedern auch deutsche Untertiteln über die Leinwand laufen. Wohl, weil er annimmt, dass die Texte nicht so verinnerlicht sind wie die seines umfangreichen Hit-Kanons. Das ist eine sehr gute Idee und entfaltet vor allem beim „unseren lieben Führer“ gewidmeten „Rainmaker“ enorme Wirkung und bringt den Song zusätzlich zum Glänzen. Denn der Text passt einfach zu gut zu Amerikas selbstgekröntem König ohne Kleider und Krone: „Rainmaker, take everything you have / Sometimes folks need to believe in something / So bad, so bad, so bad / They‘ll hire a rainmaker. / Rainmaker says white‘s black and black‘s white / Says night‘s day and day‘s night“ (Der Regenmacher nimmt alles, was du hast / Manchmal müssen Menschen an etwas glauben / So sehr, so sehr, so sehr / dass sie einen Regenmacher anheuern. / Der Regenmacher sagt: Weiß ist Schwarz und Schwarz ist Weiß / Er sagt: Nacht ist Tag und Tag ist Nacht). Die Botschaft, dass einem die Freiheit leicht durch die Finger rinnen kann, wenn man auf übergriffige, verlogene Scharlatane vertraut, kommt an.
Die klanglich anfangs sehr reduzierte Anmutung von „Rainmaker“ steigert seine Wirkung und die Aufmerksamkeit des Publikums noch, weil zuvor mit „Lonesome Day“ und „My Love Will Not Let You Down“ zwei Nummern ziemlich viel Druck entfaltet haben. Letzteres veredelt der Boss mit seiner neu entdeckten Lust am eigenen Gitarrensolo. Hier mit einem absolut originellen, fast orgelartigen Sound – leider klingt das so grell, dass es fast weh tut.
Der Klassiker „Atlantic City“ ist ein noch größerer Höhepunkt: Mit einfühlsamen Chören verursacht er soulig-sakral Gänsehaut. Klingt feingliedrig und sanft, wirkt aber kraftvoll erhebend und so transzendental wie der Inhalt des Songs. Nach dem sehr überraschenden Jimmy-Cliff-Cover „Trapped“, dem man die Reggae-Herkunft nur von Ferne anhört, wird das Konzert bei „The Promised Land“ endgültig zu einer Art Gottesdienst.
Der Hohepriester des Rock ‚n‘ Roll gern in der Menge
Springsteen heizt die Begeisterung mit der Mundharmonika zusätzlich an, verschenkt sie an ein strahlendes Kind, wandert auf Tuchfühlung die ersten Reihen seiner Gläubigen ab – in dieser Kirche ist das gute Amerika freier Menschen der Gott und das gelobte Land in einem. Hungrige Herzen werden mit „Hungry Heart“ genährt. Dabei singt das Publikum ohne Aufforderung allein, alle Hände im Stadion fliegen hin und her und der Hohepriester des Rock ‚n‘ Roll badet immer noch in der Menge.
Dass der 75-Jährige sich als Sänger auf seine alten Tage und nach seiner jüngsten Soul-Platte immer noch weiter entwickelt, wird bei „The River“ am deutlichsten: Auch hier könnte er die Fans allein singen lassen. Aber am Schluss bannt er sie ganz allein, mit einem kunstvollen Heulen, enorm gefühlvoll und vielsagend, voll Schmerz und Kraft, langgezogen und fast bis auf Countertenor-Höhen hochgezogen. Beeindruckend!
Ab „Youngstown“ und „Murder Incorporate“ wirbeln die drei Gitarristen dominanter. „Long Walk Home“ wird „als Gebet für mein Land“ zu Springsteens persönlicher U2–Nummer. Bei der kämpferischen Solonummer „House Of A Thousand Guitars“ (2020), der jüngsten Nummer im Programm, hätte es die Untertitel wohl nicht gebraucht, um donnernden Szenenapplaus zu bekommen für die Textzeilen: „The criminal clown has stolen the throne / He steals what he can never own / May the truth ring out from every small town bar / We‘ll light up the house of a thousand guitars“ (Der krimnelle Clown hat den Thron gestohlen / Er stiehlt, was er niemals besitzen kann / Möge die Wahrheit aus allen Kleinstadt-Bars erklingen / Wir erleuchten das Haus der tausend Gitarren).
Was könnte amerikanischer sein als dieser Kneipenrocker, der sich zum Musikmillionär hochgeschuftet hat?
Noch einmal liefert Springsteen einen Leitartikel zu Trump, der wie seine Spießgesellen keine Idee davon habe, was Amerika eigentlich sei. Aber es gebe noch genug Humanität, betont der Sänger und ruft buchstäblich zum Gebet auf. Wie recht er mit der Einschätzung dieses Präsidenten hat, sieht man daran, dass Trump kleingeistig genug ist, seinen Kritiker Bruce Springsteen zu verspotten und zu bedrohen – wegen dessen Ausübung von freier Meinungsäußerung und Kunstfreiheit ihm gegenüber. Aber was bitte könnte amerikanischer sein als dieser holländisch-italo-irische Sohn eines Busfahrers aus New Jersey, der sich vom mittellosen Kneipenrocker zum weltweit verehrten Musikmultimillionär hochgeschuftet hat? Vielleicht provoziert er Springsteen sogar zu einer politischen Karriere, so wie es Obama mit einer (zu) witzigen Bankettrede über Trump „gelungen“ ist? In vier Jahren wäre der 75-Jährige dann ja auch im „richtigen“ Alter.
Nach dem wie immer anrührenden „My City Of Ruins“ scheint der Frontmann jedenfalls von Minute zu Minute immer jünger zu werden. Bei Boss, Band und Bilderbuch-Rock gewinnt der Spaßfaktor langsam überhand – mit „Because The Night“, das Springsteen einst Patti Smith überlassen hat, dem trotzigen „Wrecking Ball“ und der unerschütterlich hoffnungsvollen 9/11-Hymne „The Rising“ geht es los. Hier im Waldstadion würde Springsteen jetzt mit nordkoreanischen Prozentzahlen zum Präsidenten der USA gewählt. Zu Hause ist es komplizierter, wie hierzulande ein Wecker oder Niedecken hat auch der Boss einen Teil seiner Gefolgschaft an den Maga-Kult verloren.
„Born In The U.S.A.“ holt er sich rockig zurück
Jetzt gehen die „Klassiker“ wie das mit nicht endendwollenden Publikumschören gefeierte „Badlands“ und das andächtig verfolgte „Thunder Road“ nahtlos ineinander über. Springsteen strahlt, singt ganz entspannt – trotz Krawatte. Nach der Verbeugung der riesigen Band parallel zum offiziellen Sonnenuntergang um 21.38 Uhr erinnert der Boss daran, dass er das 100-jährige Waldstadion „1985 für Rock ‚n‘ Roll geöffnet habe. Die Zugabe zu seinem fünften Auftritt hier erfolgt fast ohne Zäsur – mit d e m Springsteen-Lied „Born In The U.S.A.“ Er spielt es in der normal rockenden, energetischen Version. Es wirkt, als wolle er sich seinen großen, oft missverstanden und politisch missbrauchten Hit zurückholen.
Mit „Born To Run“, „Bobby Jean“, gewaltigen Saxophon-Soli, „Dancing In The Dark“, „Tenth Avenue Freeze-Out“ (jetzt fallen endlich Weste und Krawatte) mit Bildern der bisher verstorbenen Bandmitglieder, einem ungeheuer spaßigen, lateinamerikanisch angehauchten „Twist And Shout“ erreicht die Show ihren Höhepunkt. Es endet wieder mit Untertiteln und politisch: Bob Dylans „Chimes Of Freedom“ bringt diesen Abend zwischen puristischem Rockspektakel, Politkundgebung und Gospel-Gottesdienst auf den Punkt. Verabschiedet werden die Fans mit Handkuss vom Boss und der USA-Hymne der FReiheitsliebenden schlechthin, „This Land Is Your Land“ vom Urvater politischer US-Songwriter: Woody Guthrie aus der Konserve.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/kultur_artikel,-kultur-bruce-springsteen-macht-das-frankfurter-stadion-zur-freiheitskirche-von-amerika-_arid,2311394.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-bruce-springsteen-auf-dem-hockenheimring-der-boss-rockt-spaeter-aber-gewaltig-_arid,2108016.html?&npg
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/leben_artikel,-ansichtssache-trump-oder-springsteen-wer-ist-hier-der-boss-_arid,2306931.html?&npg
Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Zeitzeichen Trump oder Springsteen: Wer ist hier der Boss?