Zeitzeichen Das Glück der Beschränkung

Unser Kolumnist lässt sich von einem Graffiti inspirieren und denkt über gutes Leben nach.

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Thomas Groß
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Für gewisse Einsichten ist es nie zu spät, und alle Orte sind geeignet, um sich solcher Einsichten zu versichern. Aus einem Bus heraus, im „Schienenersatzverkehr“ zwischen Bad Friedrichshall und Heilbronn, ist uns der Graffiti-Schriftzug an einem Brückenpfeiler aufgefallen: „Be happy with what you have“, stand da, aufgetragen offenbar von einer Person, die des Englischen einigermaßen mächtig war und des Deutschen vielleicht weniger und die womöglich auch deshalb das Englische gewählt hatte, weil sie ihre Botschaft für universal hielt. Seid also glücklich mit dem, was ihr habt – oder bemüht euch jedenfalls darum. Und wenn es nicht gleich ein Glück bedeutet, so reicht es ja auch, zufrieden zu sein.

Auch an andere denken, nicht nur an sich

Das lassen wir so stehen. Und lesen es nicht so, dass schlicht alle sich damit begnügen sollten, was sie haben. Denn es gibt ja auch hierzulande Menschen, die so wenig haben, dass sie durchaus nicht zufrieden sein können, erst recht nicht glücklich, und die das auch nicht verschämt verschweigen sollen. Es gibt aber offenbar viele, die viel haben, das aber kaum mehr zu schätzen wissen und für selbstverständlich halten. Und dabei muss man nun nicht etwa nur an gewisse „Influencer“ denken, die mit ihrem etwas seltsamen Gewerbe viel Geld verdienen, aber jedenfalls in einigen Fällen schlicht „vergessen“ haben, dass man hierzulande per Steuerzahlung auch andere an seinen Einnahmen teilhaben lassen sollte, ja gar muss.

Vielleicht muss nicht immer noch mehr dorthin, wo schon viel ist. Vielleicht ist Bescheidenheit tatsächlich eine Tugend, die zeitlos bleibt. Und womöglich ist es eine enorme Bereicherung, wenn man auch kleine Freuden zu schätzen weiß, weil man dann in der Summe schlicht mehr Freude hat. Das Gegenteil wäre ein selbstmitleidiges Jammern auf oft hohem Niveau. Und wenn die Zeiten sich eben ändern, die Taille sich verschlankt und deshalb der Gürtel ein wenig enger geschnallt werden muss, dann haben die Genügsamen damit kein Problem. Manchmal werden sie so ja gar noch beweglicher.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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