Erstmals findet eine Kunstmesse rein virtuell statt. Erfunden und erdacht wurde das Projekt in Mannheim - unter anderem von Galerist Johann Schulz-Sobez. Am 3. und 4. Juli kann man die Artfair direkt digital betreten und mit Menschen sprechen.
Schöne neue Welt: Mit der Artfair Mannheim präsentiert die Mannheimer Prince House GmbH im Internet vielleicht die Zukunft der Kunstmessen. In einer virtuellen Messehalle mit über 50 Ständen, 70 Künstlern und über zehn Galerien, mit Vorträgen, Künstlervideos und einer Filmpremiere bietet die Messe auch Interaktion. Künstler, ihre Werke und Verkäufer - all dem kann man virtuell begegnen und mit den Menschen live ins Gespräch kommen, per Chat oder Video - Johann Schulz-Sobez, einer der Initiatoren, erklärt das Konzept.
Herr Schulz-Sobez, eine Kunstmesse im Netz - bleibt da nicht das für Kunst so wichtige Haptische auf der Strecke?
Johann Schulz-Sobez: Ja, wir sind auch große Befürworter der analogen Erfahrung von Kunst. Genau darum verstehen wir unsere virtuelle Kunstmesse auch nicht als Ersatz einer physischen Messe. Für uns ist das Wunschbild immer ein Hybridformat, also eine Verbindung aus den Möglichkeiten beider Welten.
Aber?
Schulz-Sobez: Dies ist momentan nicht umsetzbar. Deswegen starten wir zunächst digital, auch um Künstlern und Galeristen eine Bühne zu geben. Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass digitale Formate in der Zukunft ohnehin eine viel größere Rolle spielen und die Konventionen des Kunstmarktes aufbrechen werden. Wir können das heute schon am Phänomen Instagram ablesen, wo Abertausende Bilder geliked werden, was nicht unerheblich zur Wertsteigerung beiträgt.
Und Sie wollen Teil davon sein?
Schulz-Sobez: Wir wollen uns den Tendenzen nicht entziehen, sondern die Möglichkeiten mitgestalten und kuratieren. Man hat mehr und mehr Möglichkeiten, hier mitzugestalten. Darum wollen wir mit unserer Kunstmesse auch einen ganz klaren Fokus in Richtung Interaktivität setzen, der dem Besucher ermöglicht, nicht nur anonym durch die digitalen Hallen zu wandeln, sondern auch direkt mit dem Künstler oder Galeristen per Chat oder Video-Call ins Gespräch zu kommen. So lassen sich ganz eigene Wege der Kommunikation und Präsentation finden.
Das heißt, es finden veritable Treffen statt, nur dass die Partner in verschiedenen Räumen sind?
Schulz-Sobez: Genau. Der Besucher kann es sich aussuchen, ob er mit den Künstlern und Galeristen chattet oder sich mit ihm über den Bildschirm unterhält. Er kann auch in die Welten der Künstler und Galeristen schauen, die sich an ganz anderen Orten befinden können, im Atelier, in der Galerie oder einer aktuellen Ausstellung. Man blickt also durch den Messestand in eine andere Welt und hat dabei echten Kontakt zu seinem Gegenüber.
Gibt es andere Kunstmessen, die das praktizieren? Die Art Basel oder die in Miami?
Schulz-Sobez: Soweit ich es überblicke, ist das so bei uns einzigartig. Der Plattformbetreiber, den wir hier ausgewählt haben, ist mit diesem Format in anderen Bereichen auch bereits seit vielen Jahren sehr erfolgreich. Im Kunstbereich scheint das eine Neuheit zu sein.
Das wäre ja eine Pioniertat. Können Sie das schützen lassen und weiterverkaufen?
Schulz-Sobez: Im Moment geht es uns erst einmal nur um die Messe, damit wir schnell etwas für die Künstler und Galeristen anbieten können. Dazu haben wir ja auch die Charity-Aktion für Künstler „Bezahl so viel Du kannst“ ins Leben gerufen. Denn für die Künstler ist es momentan keine leichte Zeit, und hier können wir etwas anbieten.
Ist die Zeit für Galeristen einfacher? Sind Sie von Corona betroffen, oder verkaufen Sie trotzdem?
Schulz-Sobez: Sehr unterschiedlich. Wir als Galerie sehen uns auf jeden Fall in der Verantwortung, unseren Künstlern und auch dem Kunstmarkt Angebote zu machen. Die Artfair ist aus unserer Sicht keine „Corona-Messe“, sondern ein erster kreativer Aufschlag, gemeinsam das Arbeitsfeld zu gestalten. Außerdem haben wir die Kosten für alle Beteiligten so niedrig wie möglich gehalten. Besonders freut uns, welche positive Energie hier, bei Ausstellern, Galerien wie Künstlern, in den letzten Wochen aufgekommen ist.
Führt Ihrer Ansicht nach die Digitalisierung von Kunst und ihrer Vermarktung zu einem Inflationseffekt in der Art: Je verfügbarer und einfacher Kunst zu erleben sein wird, desto weniger Wert wird das einzelne Werk haben - eine Entwicklung, die man auf dem Musikmarkt mit dem Streaming genau beobachten kann …
Schulz-Sobez: Eigentlich glaube ich das nicht, denn Kunst lässt sich eben nicht „streamen“, und es gibt hier den großen Unterschied des Motivs und des Werks. Je mehr Likes und Clicks ein einzelnes Bild etwa bei Instagram erhält, desto größer wird sein symbolischer Wert und umso eher steigt auch der Wert des einzelnen Werkes. Über das Thema, ob die Reproduzierbarkeit von Kunst ein Qualitätsmerkmal ist, wird übrigens auch der Kunsttheoretiker und „Zeit“-Autor Wolfgang Ullrich auf der Messe mit anschließendem Live-Chat sprechen.
Zumindest lässt sich aus der Reproduzierbarkeit schon mal eine Gelddruckmaschine machen …
Schulz-Sobez: … in manchen Fällen bestimmt.
Sie sind ja nicht nur Organisator der Messe, sondern auch Galerist. Versprechen Sie sich also auch, dass Sie durch das Vorhaben den Wert der Kunst aus Ihrer Galerie steigern und dann im Wettbewerb besser bestehen können?
Schulz-Sobez: Für uns ist das Projekt nicht aus einem Wettbewerbsgedanken heraus entstanden, sondern aus dem Impuls, durch Synergien einen Mehrwert für alle zu stiften. Das große Engagement und die Begegnungen, die bis heute durch unsere Initiative entstanden sind, auch mit anderen teilnehmenden Galerien, geben uns hier recht.
Woran messen Sie am Ende den Erfolg?
Schulz-Sobez: Also Besucherzahlen und Verkäufe sind dafür häufig die Kriterien, die zur Bemessung herangezogen werden. Für uns hat der Erfolg allerdings schon mit den Zusagen der ersten Aussteller begonnen. Denn mit einer mikroskopisch kurzen Vorlaufzeit, war von Anfang an klar, dass auch eine gewisse Risikobereitschaft für ein solches Pilotprojekt auf allen Seiten vorhanden sein muss. Jetzt haben wir eine hochwertige Kunstausstellung mit über 70 Künstlern und zehn Galerien verteilt auf mehr als 50 Messestände.
Das reicht für eine Kunstmesse?
Schulz-Sobez: Da würde ich sagen, kommen Sie vorbei und machen Sie sich selbst ein Bild. Meiner Meinung nach: Auf jeden Fall! Und dazu gibt es noch ein schönes Live-Programm an den beiden Event-Tagen. Wie auch Petra Kern, deren neuer Film auf der ARTFAIR übrigens seine Premiere feiern wird, wollten wir den aktuellen Herausforderungen mit Kreativität und Zukunftsgestaltung begegnen. Für uns und für den Kunstbetrieb, der uns Kulturschaffenden allen am Herzen liegt. Was daraus in nur sechs Wochen entstanden ist, darauf sind wir schon sehr stolz und freuen uns nun sehr darauf, dass möglichst viele Menschen vorbeikommen, um die Kunst und die Messe zu genießen.
- Der Mitinitiator: Johann Schulz-Sobez hat in Heidelberg Kunstgeschichte und Philosophie studiert. Nach Lehr- und Forschungstätigkeiten an Universitäten sammelte er Erfahrung im IT-Bereich. Seit 2016 leitet er die Prince House Gallery Mannheim und gründete 2019 mit Laura Sobez und Eva Herzer die Prince House GmbH.
- Die Artfair Mannheim: Die virtuelle Kunstmesse der Metropolregion ist die erste interaktive Online-Kunstmesse Deutschlands. Ausgestellt werden über 800 Exponate. An den Eventtagen 3./4. Juli erwarten Besucher neben Kunst auch Live-Gespräche im virtuellen Auditorium. An den Ständen können die Besucher direkt mit Künstlern und Galeristen via Chat oder Video in Kontakt treten.
- Die Termine: Artfair läuft bis 2.8. kostenfrei (Info: www.artfair-mannheim.de).
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