Kinderbuchdebatte

Dingler: „Was hat das mit einer sexuellen Gefälligkeit zu tun?“

Die Mannheimer Violinistin und Kinderbuchautorin Marie-Luise Dingler wehrt sich gegen die Kritik an ihrem Kinderbuch und aufgezogene Parallelen mit dem Weinstein-Skandal 2017, der den Beginn der großen #metoo-Bewegung mit auslöste.

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Fühlt sich ungerecht rezensiert: Kinderbuchautorin und Geigerin Marie-Luise Dingler. © Christoph Asmus

Mannheim. Sie hat schnell reagiert. Noch am gleichen Tag. Marie-Luise Dingler hat sich gegen die jüngste Kritik an ihrem gerade veröffentlichten Kinderbuch „Trau dich, kleine Maus“ gewehrt. In einer Liveschaltung auf sozialen Kanälen wie Facebook und Instagram wehrte sich die Mannheimer Geigerin der erfolgreichen Klassikformation The Twiolins am Mittwochabend gegen den Vorwurf, mit ihrer Geschichte um die kleine Maus Susi, das Eichhörnchen Fiona und den Igel Toni indoktriniere sie einem Kind „neben heteronormativen Verhaltensweisen Muster der emotionalen Abhängigkeit“. Mit solchen Vorwürfen habe Dingler gerechnet, sagte sie in der Liveschaltung, damit könne sie auch leben, auch wenn das Vorgängerbuch genau umgekehrt ende und dort das weibliche Tier dem männlichen helfe. Das Problem sieht sie indes woanders. Am meisten ärgere Dingler sich an einem Vergleich mit den Anfängen der #metoo-Debatte 2017 mit der sogenannten Weinstein-Affäre. „Das ist mein Problem“, sagte sie, „Weinstein ist gerade vor Gericht und wird von, glaube ich, 100 Frauen angeklagt wegen sexueller Nötigung oder Vergewaltigung. Also ihr seht schon: Das sind zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe.“ Bei ihrer Geschichte sei schließlich niemand bei irgendjemandem angestellt, „die machen das alle freiwillig“. Dingler fragte: „Was hat das mit einer sexuellen Gefälligkeit zu tun, die jemand einfordert, weil der andere sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet?“

Das alles sei ihr „eine Nummer zu hart“. Wenn man als Autor sein Herzblut da reinstecke und auch finanziell in Vorleistung gehe und dann so ein Schmutz da reingebracht werde, der damit nichts zu tun hat, fragt Dingler sich schon, wo da der Beweggrund war. Jetzt bleibe das bei den Leuten hängen, obwohl es hier um eine Kindergeschichte gehe, so Dingler, die betont: „Es sind bei mir auch noch immer Tierfiguren, weil sie neutraler sind als echte Menschen. Ich frage mich, ob die Redaktion da einfach etwas finden wollte.“ Mit dem Vorwurf der heteronormativen Verhaltensweisen hätte sie noch leben können, aber der Sexskandal, „das wollte ich richtigstellen. Es liegt mir sehr fern, die Abhängigkeit junger weiblicher Menschen von älteren männlichen Menschen zu thematisieren.“ Kritik selber sei für sie kein Problem, sagte sie, „ich hatte auch schon schlimmere Kritiken. Über CDs zum Beispiel. Nach 15 Jahren in der Branche kann ich mit Kritik sehr gut umgehen. Aber so eine kleine Kindergeschichte mit einem Sex-Skandal in Verbindung zu bringen, ist schon schwierig, da müsse sie sich äußern. Dingler meinte, da sei vielleicht „zu tief geschürt“ worden und dankte der Redaktion des „Mannheimer Morgen“ für die ansonsten gute Kritik und sonst Unterstützung ihrer Arbeit.

Die Kritik der Redaktion befand, dass „das Bild eines schüchternen Tieres (Maus Susi), das zuerst ein Wesen des anderen Geschlechts braucht (Igel Toni), um aus sich heraus zu kommen und sich anschließend durch körperliche Zuneigung dankbar zeigt“, kein  gutes Vorbild für Kinder sei. Die Kritikerin hatte geschrieben: „Wie seit dem Weinstein-Skandal allgemein bekannt, kam es gerade in der Unterhaltungsbranche immer wieder dazu, dass junge Entertainerinnen sich in Abhängigkeit einer oft männlichen, erfahreneren Person fühlten.“

Für das Buch hatte im Vorfeld laut Lena Kaiser von „BUCH CONTACT“ auch Stargeigerin Anne-Sophie Mutter mit folgenden Worten geworben: “Auch das zweite musikalische Kinderbuch von Marie-Luise Dingler begeistert mich rundum: Erneut wunderschön illustriert und mit viel Liebe zum Detail erzählt. Meinen herzlichen Dank für dieses wundervolle Werk, das nicht nur Musizierende in seinen Bann zieht!“

Marie-Luise Dinglers Kritik an der Kritikerin dieser Redaktion bezieht sich auf folgende Passage:

„Kritisch betrachten könnte man das Ende der Geschichte, in dem Eichhörnchen Fiona Susi erklärt, dass Susi ohne die Hilfe ihres Igel-Freundes Toni dieses Konzert nie hätte spielen können. Vor dem Zubettgehen umarmt die weibliche Maus ihre weibliche Tier-Freundin, Toni hingegen bekommt einen Kuss auf die Stirn. Auf dem letzten Bild kann man sehen, wie der Igel rot anläuft. Diese kindlich verpackte Szene mag auf den ersten Blick harmlos anmuten, indoktriniert einem Kind jedoch neben heteronormativen Verhaltensweisen Muster der emotionalen Abhängigkeit. Das Bild eines ängstlichen kleinen Wesens, also einer Maus, das mit Hilfe seiner Freunde lernt, an den eigenen Unsicherheiten zu arbeiten, ist wertvoll. Das Bild eines schüchternen Tieres, das zuerst ein Wesen des anderen Geschlechts braucht, um aus sich heraus zu kommen und sich anschließend durch körperliche Zuneigung dankbar zeigt, ist kein gutes Vorbild. Wie seit dem Weinstein-Skandal allgemein bekannt, kam es gerade in der Unterhaltungsbranche immer wieder dazu, dass junge Entertainerinnen sich in Abhängigkeit einer oft männlichen, erfahreneren Person fühlten. Wertvoller wäre es, ein Kind von klein auf dazu zu ermutigen, eigene Erfolgserlebnisse festzuhalten und darin zu bestärken, dass körperliche Dankbarkeitsbekundungen nicht erforderlich sind.“

Die ganze Kritik der Redaktion:
mannheimer-morgen.de

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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