Kunst

Ein Pionier für alles: Frankfurter Schirn zeigt Hans Haacke

Die Kunsthalle in der Mainmetropole blättert das vielfältige Werk des Konzeptkünstlers auf. Er war vom Vietnamkrieg und der Ermordung Martin Luther Kings politisiert worden und erregte mit seinen Arbeiten immer wieder Aufsehen

Von 
Christian Huther
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Das Anti-Denkmal: Der „Geschenkte Gaul“ aus Bronze mit Geschenkschleife, auf der die aktuellen Börsenkurse laufen. © Norbert Miguletz/Schirn Kunsthalle Frankfurt

Frankfurt/Main. Nur ein Pferdeskelett ist zu sehen, aber weder Ross noch Reiter. Dafür besteht der 4,50 Meter hohe „Geschenkte Gaul“ aus Bronze und trägt am linken Vorderbein eine Geschenkschleife. Sie zeigt die aktuellen Kurse der Frankfurter Börse an. Geld regiert die Welt, lautet die Botschaft des Anti-Denkmals, der Kapitalismus dominiert Tier und Mensch.

Ein guter Einstieg für die Retrospektive des 88-jährigen Hans Haacke. So kennt ihn jeder Kunstfan: ein kritischer Geist, der alle Ideen ästhetisch verpackt. Das Skelett steht in der Rotunde der Frankfurter Schirn Kunsthalle und ist für alle zugänglich.

Die Retrospektive versammelt alle Hauptwerke seit 1959 bis heute. Im ersten Saal sind Werke aus den 1960ern versammelt, als Haacke noch spielerisch vorging. Er experimentierte mit Spiegelfolie, ähnlich wie andere Kollegen, aber er beobachtete auch die Aggregatzustände von Wasser, das Wachsen von Pflanzen, den Blutkreislauf und die Wege der Ameisen – hier ist eine unbekannte Seite Haackes zu entdecken.

Die Objekte mit Spiegelfolie von 1961 etwa zeigen erst beim Nähertreten ein klares Abbild. So wird man fürs Hinschauen und Ausprobieren sensibilisiert, gleichzeitig auch in diese Kunst involviert – das behält Haacke bis heute bei.

In Kästen aus Plexiglas füllte er Wasser und verschloss sie; rasch kondensierte das Wasser und hinterließ in Form von Rinnsalen oder Tropfen deutliche Spuren. Wer diese Versuchsfelder im Auge behält, wird viele Parallelen zum späteren Wirken sehen.

Absage im Guggenheim-Museum wegen Shapolsky-Recherche

„Alles hängt mit allem zusammen“, betonte Hans Haacke oft. Er bemerkte bei seinen Studien, dass die Biologie, die Physik, aber auch die Gesellschaft denselben Strukturen folgen. Dafür wurde er vom Kunstbetrieb der 1970er mit Ausgrenzung gestraft.

Als er 1971 für seinen Wohnort New York anhand der Grundbücher nachwies, dass die Familie Shapolsky über ein verzweigtes Netz große Teile von zwei Stadtvierteln besaß, wurde seine Retrospektive im Guggenheim-Museum abgesagt – für den 35-Jährigen eine Katastrophe, ein Karriereknick.

Die Shapolsky-Recherche zeigt Haackes neue Arbeitsweise, der vom Vietnamkrieg und der Ermordung Martin Luther Kings politisiert worden war. Fortan stieß der gebürtige Kölner mit seiner Kunst etliche Debatten an. „Er ist ein Pionier für alles“, so Kuratorin Ingrid Pfeiffer, denn das nüchterne Auflisten von Besitz, garniert mit einem Foto des Hauses, war damals neu.

Ein Jahr später sorgte die „Rheinwasseraufbereitungsanlage“ für Furore, nicht nur, weil Haacke schmutziges Rheinwasser ins Krefelder Museum leitete, reinigte und dann in ein Goldfisch-Aquarium pumpte – er listete auch die Firmen auf, die den Rhein belasteten. Wieder war er Pionier, nun für die Ökologie.

Sein wohl versöhnlichstes Projekt startete 2000 im Deutschen Bundestag, gewidmet „Der Bevölkerung“. Jeder Abgeordnete darf einen Sack Erde aus seinem Wahlkreis in einen Riesentrog im Berliner Reichstag füllen.

Seither wächst dort alles kunterbunt durcheinander, und das ganz ohne jeglichen gärtnerischen Eingriff. Ein schönes Beispiel, wie aus einer Gemeinschaft etwas Gutes entsteht.

Freier Autor Als freier Kulturjournalist im Großraum Frankfurt unterwegs; Schwerpunkte sind bildende Kunst und Architektur. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie.

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