Mannheim. Gerade für solche Momente kann man das Mannheimer Musikfestival Planet Ears kaum genug wertschätzen: Die französische Band Laventure hat gerade auf der Bühne der Alten Feuerwache zu spielen begonnen, und man denkt noch, das wird wohl eine recht geradlinig erzählte Soul-Pop-Geschichte. Kurz darauf beginnt sich diese vermeintliche Eindeutigkeit aufzuspalten, und wie in einer Discokugel-Rotation entstehen Lichtblitz-artige assoziative Bilder, die zwischen Prince-Visionen, Post-Punk-Daumenkino, Kaugummi-Blasen oder einem von Regisseur David Lynch inszenierten surrealen High-School-Abschlussball changieren. Zu Letzterem ist dann wieder das feine Mannheimer Akustik-Duo Kalkyl als (Tanz-)Partner eingeladen, das diesen Abend auch musikalisch eröffnet.
Musik aus aller Welt
Das „Residency Concert“-Konzert der beiden Gruppen markiert den Start des 2019 erstmals ausgerichteten Planet-Ears-Festivals, dessen Macherinnen – die Feuerwache und das Kulturamt der Stadt Mannheim - das Publikum dazu einladen wollen, „fernab der Klischees von Weltmusik neue, zeitgenössische Perspektiven auf die weltweite Musikszene zu entdecken“, wie es in der Pressemitteilung dazu heißt. Mit-Programmleiter Ubbo Gronewold freut sich bei der annehmbar besuchten Eröffnung, „dass wir die nächsten neun Tage hier volles Programm präsentieren können, mit Musik aus aller Welt“ - das gehe von Frankreich über Marokko, über Burkina Faso, über Ghana, die Ukraine und Japan bis nach Slowenien und weiter.
Und zum Programm gehört eben auch das Residenz- und Austauschprogramm „From Mannheim to Planet Ears“, im Zuge dessen sich lokale Kunstschaffende internationale Partnerinnen und Partner zur musikalischen Kooperation suchen. Kalkyl und Laventure sind die ersten, die Einblicke in diesen Arbeitsprozess geben; am kommenden Mittwoch folgt der Mannheimer Künstler Persian Empire und seine Mitstreitenden aus verschiedenen Ländern.
Hinter Kalkyl (in Band-eigener Notation groß und mit Yen-Schriftzeichen an zweiter Vokal-Position „KALK¥L“ geschrieben) verbergen sich die beiden Gitarristen und Sänger Phillip Soddemann und Tom Woschitz - Letzterer Absolvent der hiesigen Popakademie. Die beiden gleiten mit gewinnender Kompetenz und Extravaganz durch die Akustik-Pop-Hemisphären, nehmen Country- und Folk-Anleihen, gehen genussvoll ins Soul-Falsett und Soddemann legt allenthalben gehörigen Crooner-Charme an den Tag.
Das Straßburger Projekt Laventure um die namensgebende Sängerin, Songschreiberin und Instrumentalistin Ingrid Laventure ist mittlerweile vom Duo (als solches war es bereits 2020 auf der Sommerbühne der Feuerwache zu Gast gewesen) zum Quartett angewachsen. Von Soul bis Indie- und Noise Pop, von den Noisettes, Cardigans über CocoRosie bis zu Sonic Youth kann hier, wer mag, nach prägenden Einflüssen suchen.
Es gibt fließende Übergänge bei den Auftritten der beiden Formationen, und auch gemeinsam erarbeitetes Songmaterial wird präsentiert. Zum Schluss gibt’s bei einer improvisierten Akustik-Zugabe im Sitzkreis vor der Bühne noch den „Piña Colada Song“ als Schlagobers drauf. Schöne Sache!
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