Oberzent-Finkenbach. Schon die Anfahrt wird in diesem Jahr zum kleinen Abenteuertrip. Und führt uns über extraschmale Odenwälder Passstraßen ins Heddesbacher und danach ins Finkenbacher Tal. Manche Besucherinnen und Besucher haben wegen der nicht enden wollenden Totalsperrung der Hauptzufahrt groteske Umwege in Kauf zu nehmen. Doch sie tun es willig. Finkenbach ist eben Kult, ein legendäres Nischen-Festival. Hier begegnen sich die Veteranen. Auf der Bühne. Aber häufig auch im Publikum.
Bröselmaschine heißt die erste Band am ersten der zwei Finkenbacher Tage (und vor allem Nächte). Immer wieder gern erneuert wird das Narrativ zum Hintergrund der Namensgebung, denn mit der „Maschine“ war ein Cannabis-Zerkleinerungsgerät gemeint. Es mahlte in den Räumen einer Wohngemeinschaft. „Damals hieß das noch ‚Kommune‘“, sagt einer, der dabei war: Peter Bursch, Gründer der Band. Den Hang zur Pädagogik hat er schon länger, man bezeichnet ihn auch als „Gitarrenlehrer der Nation“. Aus seinen hunderttausendfach verkauften Lehrwerken und Grifftabellen schauten sich sogar die Toten Hosen erste Grundkenntnisse im Gebrauch der Instrumente ab.
Stilistische Überraschungen aus der „Bröselmaschine“
Bröselmaschine sind im Ruhrgebiet verwurzelt und bekennen sich in Finkenbach auch ausdrücklich dazu, nicht nur im Lied „Bei uns zuhaus“, in dem von „Regen, Nebel, Smog und Ruß“ die Rede ist. Doch die Musik der Band ist polyglott, zeigt Einflüsse von Country, Folk und Jazz. Auch Weltmusik spielt eine Rolle, insbesondere die indisch inspirierte: Peter Bursch, der große Lehrer, wurde seinerseits im Sitar-Spiel von niemandem Geringeren als Ravi Shankar unterrichtet. Aber mitten in dem Finkenbacher Indien-Trip zitiert der äußerst spielaktive Gitarrist der Band, Michael Dommers, den „Boléro“ von Maurice Ravel. Bröselmaschine lieben eben durchaus Überraschungen. Zu denen zählt auch Stella Tonon, eine recht junge Sängerin mit italienisch-portugiesischen Familienwurzeln. Ihre exaltierte Kopfstimme im Blues „I’d Rather Go Blind“ hat ein ganz eigenes und faszinierendes Gepräge.
Letzteres fehlt Epitaph gelegentlich. Auch diese Band ist über 50 Jahre alt, hat viele Auflösungen, Krisen, Häutungen und Neuanläufe mitgemacht. Oder durchlitten. Doch noch immer sind Cliff Jackson und Bernd Kolbe mit an Bord. Einzig vom Psychedelic Rock der Anfangsjahre ist nicht mehr viel übrig. Die Musik kommt schnurgerade von der Rampe, druckvoll, eingängig, kompakt.
Odenwälder Krautrock-Kult zum 40.
- Alles fing 1976 an, als Guru Guru für ein Fest der Finkenbacher Feuerwehr verpflichtet wurden. Schon im Jahr darauf gab es das erste reguläre Festival in diesem kleinen Odenwälder Ort, zehn Kilometer hinter Hirschhorn.
- Fortan spielten hier die etablierten Krautrocker wie Amon Düül II, Birth Control und Kraan, aber auch internationale Prominenz wie Louisiana Red, die Pretty Things und Arthur Brown. Mehrfach war die Festivalgeschichte unterbrochen: einmal, weil das Event den Ort zu überrollen drohte; dann, weil Besucher wegen exzessiver Polizeikontrollen ausblieben; und zuletzt wegen Corona.
- Die 40. Ausgabe soll auf „zufriedenstellenden“ Besuch getroffen sein. Das klingt verhalten. Genaue Zahlen bleiben neuerdings Finkenbacher Staatsgeheimnis. HGF
Aber auch recht vorhersehbar. Sie könnte in den nicht so inspirierten Abschnitten fast von den Scorpions stammen, mag die Formulierung auch ein wenig hart sein. Doch in Sachen Handwerk lässt sich wenig aussetzen, und nicht allein im „Villanova Junction Blues“, den Jimi Hendrix einst in Woodstock spielte, zeigt der Gitarrist Heinz Glass beträchtliches Format.
Ein Hendrix-Stück taucht auch am zweiten Finkenbacher Abend im Programm auf – bei der Hamburg Blues Band. Es ist „Foxy Lady“, das Gitarrensolo klingt hier fast ein bisschen nach den Warntönen beim Notfalleinsatz eines Krankenwagens. Aber nichts für ungut: An der Blues Band überzeugt die knackige Direktheit, viele ihrer Riffs besitzen etwas Körperhaftes, Wühlendes und Mahlendes. Und etwa in der Mitte ihres Sets wird sie verstärkt, von einer lebenden Legende, einem dieser großen alten Männer, die das Festival gelegentlich hervorzaubert. Es ist Chris Farlowe, Jahrgang 1940, der vor 58 Jahren einen Nummer-eins-Hit hatte (mit dem Rolling-Stones-Song „Out of Time“) und später für die Gruppen Colosseum und Atomic Rooster sang. Er galt als Bluesrock-Pavarotti. Heute trifft er nicht mehr alle Töne, doch das Feeling der von ihm gewählten Klassiker trifft er genau. Sogar im „Stormy Monday Blues“.
Dann kommen Kraan. Wie oft die wohl in Finkenbach gespielt haben? Wir fragen nach, doch sogar Hellmut Hattler, der am E-Bass immer noch Gesicht und Attraktion der Band ist, weiß es nicht mehr. Eines freilich weiß er genau: Kraan seien keine dieser „Zombie Bands“, sondern stattdessen eine, die noch immer in der originalen Kernbesetzung spiele.
Finkenbach-Festival 2025 ist bereits geplant
Das sind Hattler und die Brüder Peter und Jan Fride Wolbrandt an der E-Gitarre und am Schlagzeug. Einen noch recht Neuen gibt es freilich: Martin Kasper, Gast-Keyboarder, war bereits im letzten Jahr dabei. Es gibt auch neue Stücke – die ein bisschen flächiger geworden sind. Gelegentlich fast Soundscape-artig. Das eröffnet neue Spielräume und kreative Potenziale. Hattler freut sich, dass das Publikum das „mit einem gewissen Wohlwollen“ quittiert. Und viele alte Hits gibt’s obendrein. Meist ohne Martin Kasper.
Ohne Guru Guru wird das Festival dagegen nicht mehr leben müssen, alle Missverständnisse der letzten Jahre sind wohl ausgeräumt. Den ersten Schritt zur „Aussöhnung“ – falls eine solche nötig war – soll Mani Neumeier getan haben, der Chef und Schlagzeuger der Band. 2025 sollen Guru Guru also wieder auftreten, das Festival ist für den 8. und 9. August geplant.
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