Kunst

Frankfurts Städel präsentiert Tübkes zeichnerisches Werk

Das Städel in Frankfurt zeigt erstmals seine Sammlung von Werner Tübkes Zeichnungen. Der 2004 gestorbene Maler offenbart darin sein Faible für das Abgründige.

Von 
Christian Huther
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Blick in die Ausstellung „Werner Tübke. Metamorphosen“ im Frankfurter Städel. Zu sehen ist „Der Tod des Zauberers“ von 1984, Pinsel auf rotbraun gestrichenem Velinpapier. © Städel Museum – Norbert Miguletz

Frankfurt. Aus dem Morgenmantel, der an der Wäscheleine zum Trocknen hängt, grinst ein Skelett hervor. Doch daneben, in der zweiten Hälfte der kleinen Bleistiftskizze, ist eine friedliche Landschaft mit Fluss, Brücke, Berg und Häusern zu sehen. Der Künstler erzählte dazu, dass er seinen Morgenmantel im Garten flattern sah und auf die Idee kam, dass darin auch ein Skelett stecken könnte. Um die Vision nicht gar zu gruselig zu machen, fügte er noch die Landschaft hinzu. Dieses humoristische Blatt aus dem Jahr 2000 ist sehr ungewöhnlich für Werner Tübke (1929-2004), einen der wichtigsten Väter der Leipziger Malerschule.

Ausstellungsansicht „Werner Tübke. Metamorphosen“. © Städel Museum/Norbert Miguletz

Tübke hatte zwar ein Faible für Absurdes und Abgründiges, aber dabei interessierte ihn immer der Mensch als leidendes Wesen. Er ergriff Partei für die Verlierer der Geschichte und für die Außenseiter der Gesellschaft, für Schicksalsgeprägte, Schwerkranke oder gebrochene Helden wie den erst fliegenden und dann voller Übermut abgestürzten Ikarus.

Das Unsichtbare aufspüren: Werker Tübke im Städel



„Zeichnen und malen heißt nicht erzählen, schwätzen“, notierte Werner Tübke schon 1954 in sein Tagebuch. „Poetisch ist die Koordination von Vergangenheit und Zukunft im so erfüllten Moment der Gegenwart“, schrieb er weiter. Folglich ging es dem Künstler weder um die Nachahmung der Natur noch um eine abbildhafte Wiedergabe der Realität. Viel wichtiger war ihm das Aufspüren von Sichtbarem und Unsichtbarem, um eine Deutung des Seins. „Es bleibt alles so, wie es niemals war“, lautete sein paradoxes Fazit des Lebens.

Die Ausstellung ist im Städel in Frankfurt, Schaumainkai 63, bis 28. September zu sehen, und zwar Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr. Der Katalog kostet 25,50 Euro. Hier gibt es mehr Informationen zu der Ausstellung.

Jetzt zeigt das Frankfurter Städel neben dem Morgenmantel-Skelett noch 45 weitere Zeichnungen und Aquarelle von Tübke. Sie entstanden mit Feder, Pinsel, Blei- oder Rötelstift zwischen 1957 und 2000. So umfasst diese kleine, feine Sammlung fast Tübkes gesamte Schaffenszeit. Sie ist erstmals zu sehen, kam aber bereits vor anderthalb Jahren ins Städel als Schenkung des ehemaligen F.A.Z.-Kritikers Eduard Beaucamp, der sich früh für die DDR-Kunst engagierte. Die Sammlung ist ein Gewinn fürs Städel, da Tübkes Werk viel zu wenig in westdeutschen Museen vertreten ist, merkt Städel-Chef Philipp Demandt an.

So trickste der virtuose Zeichner die DDR-Propaganda aus

Freilich ist der Künstler eher als Maler berühmt. Sein bekanntestes Gemälde ist das 123 Meter lange und 14 Meter hohe Panoramabild über den Bauernkrieg, das er 1989 im thüringischen Bad Frankenhausen vollendete, nach 13-jähriger Arbeit. Doch die Zeichnungen stehen im Zentrum seiner Kunst, sie bilden auch „rein zahlenmäßig den Schwerpunkt seines Œuvres“, sagt Regina Freyberger, die Kuratorin der neuen Städel-Schau. Diese Blätter sind keine Entwürfe für Gemälde, sie sind eigenständige Überlegungen, autonom und in sich abgeschlossen. „Zeichnen ist elementares Bedürfnis, alles andere kommt dann“, meinte Tübke dazu.

„Harlekin am Strand“ von 1965, Grafit auf Velinpapier. © VG Bild-Kunst, Bonn, 2025

Im Städel ist also ein Künstler ganz in seinem Element zu entdecken, voller sprudelnder Fantasien. Werner Tübke zeigt sich in den Zeichnungen viel freier als auf der Leinwand, er erprobte vieles oder verwarf es, nahm auch Motive von früheren Gemälden wieder auf, um sie abzuwandeln. Er war ein virtuoser Zeichner, der sein Handwerk beherrschte. Dass er in der DDR ab den 1970er Jahren einigermaßen unbehelligt arbeiten konnte, verdankt sich seinem Trick, seine Bildtitel zwar dem Sozialistischen Realismus anzupassen, in den Motiven aber anderes zu zeigen, vor allem Bedrohungen und Weltuntergänge.

Harlekin, Gaukler oder Zauberer waren seine wichtigsten Motive – oft Selbstdarstellungen, aber ohne Ähnlichkeiten mit Tübke. Es sind alles Figuren, die nicht ernst genommen werden. Das waren gute Alter Egos für den Künstler, der nichts für Politik übrig hatte. Ein Blatt von 1965 zeigt ihn als Harlekin mit Spitzhut, Halskrause und Maske am Strand liegend, aber bedeckt mit Ästen, daneben ein Tierschädel, Muscheln und Schnecken. Kann er sich selbst aus dieser Lage befreien oder braucht er Hilfe? Solche vieldeutigen Motive liebte Tübke.

Ein verrätseltes Werk über die Wiederkehr des immer Gleichen

Zuallererst war er Figurenmaler und Porträtist. Aber es gibt kaum ein Motiv, das er nicht für sich vereinnahmt und verwandelt hat. Auch wenn er sich gerne aus dem Formenvorrat von der Spätgotik bis zur Renaissance bediente, waren seine Werke mehr als nur altmeisterliche Fingerübungen. Ohnehin wirken seine Zeichnungen von ferne wie Wimmelbilder, aber beim Nähertreten entdeckt man zahllose winzige Szenen. Doch deren Bedeutung entschlüsselt sich nicht unmittelbar.

Dieses verrätselte Werk hat der Sammler Eduard Beaucamp durch zahllose Beiträge verständlicher gemacht. So sollte man wissen, dass Tübke bald von der DDR desillusioniert war. Er glaubte nicht an Revolutionen oder Neuanfänge. „Es gibt nur wenige Fabeln, Grundkonflikte des Menschen – und die stehen alle im Alten Testament“, erklärte er. „Liebe, Tod, Verzweiflung: Viel mehr gibt es nicht. Sie haben sich durch Jahrhunderte säkularisiert und abgewandelt, sie färben sich entsprechend den Zeitläuften. Aber was den Menschen bewegt, bleibt stets dasselbe.“ Tübke zeigt also die Wiederkehr des immer Gleichen. Seine Menschen sind Engel oder Gefolterte, Verhüllte oder Maskierte.

Freier Autor Als freier Kulturjournalist im Großraum Frankfurt unterwegs; Schwerpunkte sind bildende Kunst und Architektur. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie.

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