Heidelberg. Jazz ist ein Lebensgefühl. Und überhaupt - ist nicht alles Jazz? Diese ganze verrückte Welt, das Ungeregelte und Unerwartete? Helge Schneider sieht das jedenfalls so, hockt sich an den Flügel und klimpert ein paar Takte.
Es klingt improvisiert - vielleicht nicht die schlechteste Art und Weise, das alltägliche Chaos zu bezwingen. Und tatsächlich hat der „Quatschmacher“, als den sich Helge Schneider selber sieht, im Jazz eine Strategie im Umgang mit Lebensdingen gefunden, nämlich die „totale Improvisation“.
Helge Schneider ist im ausverkauften Heidelberger Karlstorbahnhof zu Gast
Auf der Bühne des ausverkauften Heidelberger Karlstorbahnhofs, wo das Enjoy-Jazz-Festival gastiert, hat man ein schnuckliges Wohnzimmer eingerichtet: Sessel, Sofa, Teppich und ein paar altmodische Lampenschirme mit Fransen. Deutsches Biedermeier, das Helge Schneider mit gewohnt linkischen Gesten und einem schrill karierten Anti-Sakko betritt.
Dass der Quatschmacher als Jazzmusiker ernst zu nehmen ist, hat sich längst herumgesprochen. Dass er sich auch am Flügel oder mit Saxofon und Trompete als die Karikatur seiner selbst inszeniert, verschafft ihm mindestens eine doppelte, wenn nicht unberechenbare Identität.
Doch im Gespräch mit dem Publizisten und Hörfunkredakteur Peter Kemper, der dem Comedian und Musiker eine Biographie gewidmet hat, gibt sich Helge Schneider erstaunlich seriös. Kempers Fragen, die er als Interviewer und Moderator an diesem Abend stellt - alles ist angeblich improvisiert und unabgesprochen -, kreisen um die Liebe zum Jazz und zur Musik als solcher. Und so bekennt Schneider, dass er bereits als Kind mit dem Jazz in Berührung gekommen sei - dank eines kleinen Transistorradios, dem er verbotener Weise des Nachts „unter der Bettdecke“ gelauscht habe.
Peter Kemper zu Helge Schneider: „Virtuosität des gekonnten Misslingens“
Spricht’s, stolziert ein wenig hüft-steif ans Klavier, dreht endlos den Schemel höher und spielt etwas auf dem Klavier, das ein wenig klingt wie Duke Ellingtons „Sophisticated Lady“. Inklusive dissonante Streifschüsse und rhythmische Schleifer. Wobei nicht auszumachen ist, ob es sich hierbei eindeutig um Fehler handelt, oder um beabsichtigte Störer, damit das Ganze nicht zu glatt und zu professionell klingt. Doch solche Fehler, so erklärt Schneider anschließend mit doppelbödigem Understatement, baue er durchaus „nicht extra“ ein. Peter Kemper unterstellt ihm in wohlgesetzten Worten eine „Virtuosität des gekonnten Misslingens“.
An persönlichen Vorbildern wie Thelonious Monk, Bill Evans oder Charlie Parker möchte Schneider denn auch nicht gemessen werden, auch wenn er einen Bebop in die Tasten haut, der Letzterem alle Ehre machen könnte. Mit sechs Jahren den ersten Klavierunterricht bekommen, hat Helge Schneider die übliche Musikausbildung durchlaufen. Bis ihm die Präludien und Fugen von Bach zu eng wurden - wie überhaupt die Jugendjahre offenbar eine Zeit der Rebellion gegen die Erwachsenenwelt gewesen sein müssen.
Mit 13 habe er angefangen zu kiffen, gesteht Schneider, und es scheint kein Witz zu sein. Ebensowenig seine Erinnerungen an die Schulzeit, die er nicht mit der Gloriole eines ehemaligen Musterschülers versieht. Es war die Zeit der langen Haare und der Revolte, und sei es als Mitglied in einer lauten Schülerband. Diesen unbändigen Freiheitsdrang scheint sich der Künstler bewahrt zu haben, auch wenn er an diesem Abend leider meistens brav im Sessel sitzen bleibt.
Helge Schneider sieht im Jazz dasselbe Potenzial wie in der Comedy
Und da Jazz ja eigentlich alles ist, kann man ihn natürlich auch wissenschaftlich, etwa unter soziologischen Aspekten betrachten. Im Jazz sieht Helge Schneider dasselbe Potenzial wie in der Comedy: Beide brächten Menschen zusammen und entwickelten eine verbindende Kraft. „Das nennt man auch Kultur“, sagt Helge Schneider und meint es damit offenbar ernst.
Das Gespräch mit Peter Kemper, der seinem Interviewpartner mit wohlwollender Empathie auf den Zahn fühlt, trödelt bisweilen ein wenig vor sich hin. Manche Pointe verpasst der Moderator, manche Frage wird doppelt gestellt, und gerne würde man inmitten dieses höflichen Geplauders den Quatschmacher häufiger in Aktion sehen.
Immerhin verknüpft Helge Schneider seine Lebensbeichte mit einem Rundgang durch die Jazzgeschichte der letzten Jahrzehnte. Dass er neben dem Klavier auch Saxofon und Trompete beherrscht, hat er unter anderen Sonny Rollins und Miles Davis zu verdanken, den er, während er mit dem Trompetentrichter den Teppich abzusuchen scheint, sogleich imitiert. Auch will er eine Platte von Rollins auflegen, doch die ist gerade nicht da.
Ziemlich gut sind Helge Schneiders Karikaturen populärer Jazzpianisten. Keith Jarrett ahmt er, tief über die Tastatur gebeugt und mit einem stöhnenden Raunen begleitend, ebenso nach wie Errol Garner, den er, auf völlig übertriebener Sitzhöhe, als Gegentypus porträtiert. Auch Trompeter Wynton Marsalis kommt an die Reihe, während er bei John Coltrane passt: „Coltrane kann ich nicht. Man muss nicht alles können.“
Dagegen ist Helge Schneider mit „Willie The Pimp“ von Frank Zappa wieder in seinem Element. Den alten Filmklassiker „I Wonder, Who’s Kissing Her Now“ dichtet er mit sardonischer Mimik fort: „Is It The Neigbour Or Is It A Cow?“ Kein Wunder, dass der Quatschmacher beim Jazz gelandet ist ...
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