Filmfestival

IFFMH: Es droht der „Body Horror“

Die Retrospektive des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg (IFFMH) widmet sich mit einem guten Dutzend Beiträgen dem Thema „Körper“. Zwischen Körperkult und Ekel-Potenzial ist so ziemlich alles dabei

Von 
Dr. Hans-Guenter Fischer
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Der Body-Horror-Thriller „Videodrome“ (1983) von David Cronenberg landete in Deutschland für lange Zeit auf dem Index. © Park Circus/Universal

Mannheim/Heidelberg. Heute dürfte man so einen Film natürlich nicht mehr drehen. Doch auch 1932 war es für das Publikum ein Schock, als diese „Freaks“ auftauchten, die es allenfalls als Jahrmarktsattraktionen und aus „Sideshows“ kannte: etwa Menschen ohne Arme oder Beine und die Frau mit Bart. In „Freaks“ sind dennoch eher die Normalos das Problem: Trapezschönheit Cleopatra liebt zwar den Schwerathleten Hercules, aber sie heiratet den kleinwüchsigen Hans – weil der doch immerhin mit Geld gesegnet ist.

Die Filme zum Thema "Körper" beim IFFMH

  • „Steamboat Bill, jr.“ (1928) von Buster Keaton
  • „Freaks“ (1932) von Tod Browning
  • „Die roten Schuhe“ (1948) von Michael Powell und Emeric Pressburger
  • „Das Haus ist schwarz“ (1962) von Forough Farrokhzad
  • „Black Girl“ (1966) von Ousmane Sembène
  • „Videodrome“ (1983) von David Cronenberg
  • Terminator 2“ (1991) von James Cameron
  • „The Watermelon Woman“ (1996) von Cheryl Dunye
  • „Audition“ (1999) von Takashi Miike
  • „Meine Schwester“ (2001) von Catherine Breillat
  • „In The Cut“ (2003) von Jane Campion
  • „Hunger“ (2008) von Steve McQueen
  • „The Raid“ (2011) von Gareth Evans

Unter www.iffmh.de gibt es die Aufführungstermine.

Natürlich will sie ihn so schnell wie möglich auf verbrecherische Weise wieder loswerden. Die „Freaks“ freilich schlagen zurück, und auf dem Höhepunkt des Dramas kriechen, hüpfen, schleichen sie herbei, das Biest Cleopatra zu strafen. Das erinnert an Visionen, die den Maler Bosch im frühen 16. Jahrhundert überfielen. Lallend und verstümmelt bleibt Cleopatra zurück.

„Freaks“ als Meisterwerk des Avantgarde-Horrors auf dem IFFMH gefeiert

Tod Brownings Film kam damals auf den Index, jedenfalls in manchen Ländern – Großbritannien etwa hielt das Aufführungsverbot gut drei Jahrzehnte aufrecht. Aber mittlerweile wird „Freaks“ längst als Meisterwerk des Avantgarde-Horrors gefeiert. Jetzt auch auf dem Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg, wo es in der Retrospektive läuft, die sich mit einem guten Dutzend Schlüsselwerken mit dem Phänomen „Körper im Film“ befasst. Die Genres könnten dabei unterschiedlicher nicht sein. Und die Entstehungsdaten der aus dem Archiv geholten Klassiker genauso wenig.

„Freaks“ steht chronologisch nicht einmal am Anfang dieser Reihe. Das tut das schon 1928 abgedrehte Meisterwerk „Steamboat Bill, jr.“, Buster Keatons letzter unabhängig produzierter Film. Der Held ist hier ein schmales Hemd mit Baskenmütze, seine Muskeln sind noch kleiner als die Ukulele, die er mit sich führt. Und doch: Der Nicht-Athlet rettet nach Ausbruch eines Wirbelsturms die halbe Stadt (und seine Angebetete selbstredend auch). Er zeigt dabei einen der größten Stunts der frühen Filmgeschichte: Die Fassade eines Hauses prasselt auf ihn nieder, doch er steht zum Glück genau in einer Fensteröffnung. Dieses Glück benötigte er ziemlich dringend – Keaton spielte auch die Stuntszene höchst selbst. Und zeigte somit echtes Heldentum.

Das Körper-Kino und seine Verführungskraft schlossen sich oft an alte Traditionen an, wie sie etwa die Disziplinen Akrobatik, Tanz und Kampfkunst ausgebildet hatten. Einige der auf dem Mannheim-Heidelberger Festival gezeigten Filme demonstrieren das auch ganz direkt – wie eben „Freaks“ mit seiner heiklen Anknüpfung an Jahrmarktsattraktionen und Zurschaustellung von „Missgestalteten“ und Ausgegrenzten. Körper werden ins Kuriositätenkabinett gestellt.

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Aber es gibt auch eine „hohe“ Sphäre, wie „Die roten Schuhe“ aus dem Jahre 1948 zeigt. Es ist ein „klassischer“ Ballettfilm – und doch sehr viel mehr: Die Kamerabewegung folgt den rhythmischen Gesetzen, die der Tanz vorgibt. Die Inszenierung wird nicht einfach abgefilmt.

Vom Menschenkörper zur erschreckenden Transformation

In späteren Jahrzehnten wird der Körper selbst zum Teil der Inszenierung. Nicht allein im Bodybuilder-Kino mit Schwarzenegger und Stallone, das mit „Terminator 2“ auch in der Mannheim-Heidelberger Werkschau auftaucht: Arnold Schwarzenegger trifft hier auf das Topmodell T-1000, das aus flüssigem Metall gefertigt ist und deshalb Form und Aussehen beliebig variieren kann. Dieser mit digitalen Hilfsmitteln erzeugte Spezialeffekt des „Morphings“ war vor 30 Jahren eine Sensation.

Dem Trend, den irgendwie doch arg beengten Menschenkörper zu verändern, aufzurüsten oder sogar hinter sich zu lassen, folgt das Kino schon seit langem. Mit zum Teil erschreckenden Ergebnissen. Zum Großmeister des „Body Horror“ wurde David Cronenberg – auch wenn er sich von diesem Genre mittlerweile losgesagt hat. 1983 aber, als der Regisseur aus Kanada mit „Videodrome“ schockierte, hatte er es eben erst kreiert: Ein Fernsehproduzent (James Woods) findet einen Piratensender, der Reality-TV mit echten Toten anbietet. Sein „Videodrome“-Signal regt Halluzinationen und Gehirntumore an. Zudem scheint sich am Bauch des Produzenten eine Einlassspalte aufzutun.

Manche Spezialeffekte dieses Films besitzen heute noch ein hohes Ekel-Potenzial, und auch der Trash-Faktor ist kein geringer. Man betrachtet ihn etwas ernüchtert, fast erheitert – unfreiwillig komisch ist er eben manchmal auch. Zugleich aber prophetisch: Sätze wie „Realität ist weniger real als Fernsehen“ (beziehungsweise Internet) werden gesprochen. Überstramme selbsternannte Patrioten prangern an, dass „Nordamerika verweichlicht“ sei. Und handeln.

Freier Autor In Heidelberg geboren. Studium (unter anderem) der Germanistik. Promotion über Rainer Maria Rilke. Texte zu Literatur, Musik und Film.

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