Burgfestspiele - Wolfram Apprich inszeniert das Traditionsstück von Goethe unkonventionell

In Jagsthausen ist Götz kein Rebell

Von 
Dieter Schnabel
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Goethes „Götz von Berlichingen“ war 1950 das erste Theaterstück, das bei den damaligen Götzfestspielen in Jagsthausen gespielt wurde. Seither ist das Sturm-und-Drang-Stück das alljährlich gezeigte Traditionsstück der Burgfestspiele, dem erst 20 Jahre später ein zweites Stück zur Seite gestellt wurde. 1980 gab es zum ersten Mal ein Kinderstück und nach

weiteren zehn Jahren das erste Musical zu sehen.

Doch mit der Tradition ist es so eine Sache. Das zeigt in diesem Jahr Wolfram Apprich mit

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seiner „Götz“-Inszenierung, die in erste Linie unkonventionell ist.

Eine neben dem berühmten Götz-Zitat wohl bekannteste Sentenz des Stücks, mit der der Titelheld seinen gefangenen Widersacher Weislingen einlädt: „Kommt, setzt Euch, tut, als wenn Ihr zu Hause wärt! Denkt, Ihr seid einmal wieder beim Götz“, kommt in der knapp zweistündigen Aufführung überhaupt nicht vor. Und sie wäre auch unangebracht gewesen, denn vom

Gedanken einmal wieder beim Götz zu sein, kann kaum die Rede sein. Ist

doch alles in erster Linie anders als gewohnt, deshalb aber nicht besser.

Zu Beginn posiert das gesamte Ensemble minutenlang für ein Gruppenfoto. Dann drängt sich der Titelheld mit einem alten Bürostuhl von heute in den Vordergrund, behauptet mehrmals: „Ich bin kein Rebell“, fragt: „Wo meine Knechte bleiben?“ und betont: „Es lebe die Freiheit“.

Danach geht es dann kreuz und quer durch den von Goethe geschriebenen Text und die von ihm mehrfach geänderte Szenenfolge. Dabei kann man feststellen, dass nicht wenige Bilder ganz fehlen und über die Hälfte des Personals dem Rotstift zum Opfer gefallen ist. So gibt es keine Bauernhochzeit, keine Feme, zu Heilbronn keinen Turm, kein Rathaus und kein Wirtshaus sowie keine Bauernkriegsszene. Bruder Martin tritt ebenso wenig auf wie Liebetraut, der Abt von Fulda, Olearius, Hans von Selbitz und Lerse, um nur einige zu nennen, selbstverständlich auch keine Richter des heimlichen Gerichts oder Ratsherren und Bürger von Heilbronn. Den roten Faden der Handlung vermisst man weitgehend, die Dramaturgie zeichnet sich durch Beliebigkeit aus.

Der Boden ist rot, ebenso wie das Tor vor dem Spitzbogen in der Mitte.

Auf der linken Seite steht ein grünes Bäumchen, auf der rechten führt eine Treppe zum Wehrgang nach oben, bei dem die hölzerne Brüstung fehlt und der lediglich durch ein Seil gesichert ist. Die Götzenburg steht

wohl da wie immer, wird aber nicht ins Spiel einbezogen, sieht man von

einem künstlichen Vorbau ab. Und dann stehen da noch Bänke an der

rechten Seite unter dem Wehrgang.

Die Akteure sind stil- und zeitlos

gekleidet. Die Laienschauspieler, die von zwei Ausnahmen abgesehen – ein Mann darf sich schwäbisch äußern, eine Frau ihr Baby verteidigen – zu Statisten degradiert sind, tragen graue Decken als Kleidung. Das ist die Ausstattung, für die Mirjam Benkner und Beate Faßnacht verantwortlich zeichnen.

Der Regisseur Wolfram Apprich lässt die Schauspieler, die sich ständig im Burghof aufhalten, auch wenn sie nichts zu sagen haben, dort

herumstehen und -gehen oder auf dem Boden liegen oder auf den Bänken sitzen. Sie gehen vielfach nebeneinanderher, spielen aber nur wenig

miteinander, blicken vielmehr nur vor sich hin.

Stephan Szász ist der Götz, der lediglich eine eiserne Hand trägt – die silberne Ritterrüstung ist seinem Söhnchen Karl vorbehalten, der dem Trend unserer Zeit folgend mit Rosa Kronmüller weiblich besetzt ist. Dieser Götz gibt sich einmal weinerlich, ist aber auch wütend, schreit und fällt in Ohnmacht, als sich Weislingen zu Adelheid von Walldorf begibt und bleibt dann längere Zeit auf dem Boden liegen. Dirk Emmert als Adalbert von Weislingen tritt barfuß, mit offenem Hemd, in weißer Unterhose auf. Später schultert er den in eine rote Daunendecke gehüllten Kaiser des Björn Luithardt. Karlheinz Schmitt als Bischof trägt eine goldene Daunendecke und wartet mit einer heiseren Stimme auf.

Lina Hoppe ist eine blonde, blasse Adelheid von Walldorf, die in ihren Bewegungen und ihrer Erscheinung an Kunigunde im „Käthchen von Heilbronn“ erinnert. Gegen Ende wird sie von der damenhaft gekleideten Maria von Berlichingen der Bernadette Hug erstochen, die zuvor unvermittelt mit Weislingen geknutscht hat.

Sarah Katthi als Elisabeth von Berlichingen stiert oft regungslos vor sich hin oder ins Publikum, nachdem sie zu Beginn ein Messer in den Boden gerammt hat. Von der politischen Komplexität des Stoffes ist nichts zu sehen oder zu hören, wenn es auch im Programmheft heißt: „2022 Drohende ökologische Apokalypse in einer komplexen, unbeständigen, unsicheren Welt. ‘Zeitenwende’! Krieg im Herzen Europas“.

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