Thelonious Monks vertracktes „Work“ als erste von zwei Zugaben: Das macht Sinn. Denn trotz aller klassischen Einflüsse ist Brad Mehldau ein Jazzpianist durch und durch. Und wie Monk ein Einzelgänger, der seine Musik nach ganz eigenen Prinzipien konzipiert.
Kaum variiert er seinen Anschlag, bewegt sich auf engem tonalen Raum, beim Enjoy-Jazz-Konzert mit seinem Trio in Ludwigshafen bleibt die oberste Oktave auf dem Flügel nahezu unberührt. Es gibt keine großen dynamischen oder emotionalen Amplituden.
Beifallsstürme im ausverkauften Pfalzbau in Ludwigshafen
Dennoch schafft er es, das Publikum im ausverkauften Pfalzbau zu Beifallsstürmen hinzureißen. Weil alle spüren, dass seine Musik auf das Wesentliche konzentriert ist. Mehldau verzichtet auf das, was die Altsaxofon-Ikone Lee Konitz als „Füllmaterial“ bezeichnet hat: Automatismen, meist Tempo-Linien, die viele Jazzinstrumentalisten in ihre Soli einbauen - als Sprungbrett oder Antriebshilfe, um so zündende Motivfolgen zu erfinden.
Mehldau dagegen, dessen Phrasen meist nur aus vier, fünf Noten bestehen, versucht nicht mehr, als in jeder Improvisation genuine Ideen zu kreieren. So wie dies einst das Credo von Konitz und Lennie Tristanos Cool-Jazz-Schule war. An diesem Abend ist also reine Musik zu erleben: ohne Firlefanz, Affekte und Effekte. Faszinierend allein durch ihre außerordentliche Gestaltungskraft.
Jedes Solo Mehldaus wird da zu einem Abenteuer - weil er nicht den Konventionen von Bassbegleitung und Diskantmelodien folgt. Alle taktlang passiert bei ihm Unvorhergesehenes. In seinem ausgeprägt beidhändigen Spiel sind Bass und Mittellage minutenlang in eng gewebten Texturen oder dichten Parallel-Läufen miteinander verflochten.
Tempovariationen und rhythmische Verlagerungen bei Enjoy Jazz
Doch urplötzlich können kontrapunktische Kontraste aufklaffen, in spannungsvoll gegeneinander gesetzten Läufen, bei denen der Improvisationsfluss gleichzeitig in verschiedene Richtungen drängt. Hochvirtuos spielt er auch mit harmonischen Anziehungs- und Abstoßungskräften, Tempovariationen, rhythmischen Verlagerungen.
Mehldau präsentiert sein „neues“ Trio, das zwar seit vier Jahren schon besteht, von dem es aber noch keine Tonträger gibt. Wer wegen des Ausscheidens von Jeff Ballard, einem sehr körperlichen Drummer, Bedenken hatte: Jorge Rossy zerstreut sie nach wenigen Sekunden.
Spektakuläre Soli und funkensprühendes Hin und Her
Der Spanier, einst Mitglied der Ursprungsbesetzung, vermag sein Schlagzeug buchstäblich mit dem subtilen Anschlag eines klassischen Pianisten zu bedienen. Wo der Besen in den Händen anderer Trommler mitunter wie ein Handfeger wirken mag, wird er bei diesem Filigrantechniker zu einem feinen Pinsel, mit dem er seinem Instrumentarium kleinste klangliche Valeurs zwischen Zischeln, Streicheln, Verwischen entlockt. Rossy, alles andere als ein simpler Taktgeber, agiert dabei auf spektakuläre Weise reaktionsschnell, ideenreich und traumwandlerisch sicher in permanentem Austausch mit dem Bandleader.
Der Rapport zwischen beiden ist schlichtweg frappierend. So eng ist die Verbindung mit dem Youngster der Band, Felix Moseholm am Bass, noch nicht ganz. Aber der Däne, der im funkensprühenden Hin und Her zwischen Klavier und Schlagzeug das Trio in einer eher traditionellen Rolle zu erden hat, besticht vor allem in lyrischen Momenten durch die Art, wie er zu einer komplementären Instrumentalstimme findet.
Spektakulär sind seine Soli, bei denen er - ohne jegliche Pausen zu setzen - in atemberaubenden Endlos-Linien immer neue Ideen ins Spiel bringt. Wie er dabei seine Tonfolgen abwägt, sie wendet, umformuliert, zu neuen Motiven findet, sich vom gezupften Single-Notes zu schrammelnden Akkordfolgen voran bewegt, das beweist große Klasse und erinnert in seinem Drive an den jungen Dave Holland.
Mit diesen Ausnahme-Musikern spielt Mehldau vor allem neue eigene Stücke. Darunter ein mitreißender Blues, der jegliche Konventionen meidet (auch eine eingängige Melodie), eine Art Choral, die klingt wie eine Invention von Bach oder ein Stück mit einem reizvollen spieluhrartigen Ostinato.
Zu einem Kabinettstückchen gerät der Cole-Porter-Standard „It’s All Right With Me“, in dem Mehldau in - für seine Verhältnisse - fast frivoler Manier swingt, furios aufs Tempo drückt und pure Lebensfreude vermittelt. Der Feingeist ist eben doch ein wahrer Jazzer.
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