Was man von der Künstlerin Anna Uddenberg bisher in Mannheim zu sehen bekam, erinnerte irgendwie an einen Pferdesattel, an ein Korsett oder einen (versehrten) weiblichen Körper, und es konnte durchaus auch anzügliche Assoziationen wecken. „Cozy Stabilization Unit“ hieß Uddenbergs Skulptur, welche die Kunsthalle vor anderthalb Jahren zeigte, als der Künstlerin der Hector-Kunstpreis zuerkannt worden war.
Nun erst folgt die mit der Auszeichnung verbundene Einzelausstellung der in Berlin lebenden gebürtigen Schwedin. Und auch für diese gilt ein Leitsatz, den Uddenberg bei der Preisverleihung im Vorjahr auf die Frage nach einer Interpretation ihrer Arbeiten äußerte: „Trust your own experience“ - Vertrauen Sie Ihrer eigenen Erfahrung und Ihren Sinneseindrücken.
Umklammerung lösen
Denn bei allem, was man hier nun an skulpturalen Arbeiten vor sich hat, sieht man nicht wirklich klar, hat erst recht keinen Leitfaden bei der Hand, um die eigenwilligen Arbeiten einzuordnen. Man ist vielmehr aufgefordert, sich allmählich sein eigenes Bild zu machen und ein Verständnis zu entwickeln. Ein Kontext, ein Rahmen immerhin ist durch den Ausstellungstitel „Premium Economy“ angerissen, und das Werkensemble, das acht eigens für die Schau gefertigte Arbeiten umfasst, wirkt maschinenartig, erinnert an Motoren und andere industrielle Produkte oder Herstellungsgeräte, denen allesamt die Suggestion eines Umfassenden, dabei aber weniger Bergenden als vielmehr Umklammernden innewohnt. Faszination und Befremden liegen da nah beieinander.
Die Schau der Hectorpreisträgerin
- Anna Uddenberg, 1982 in Stockholm geboren und heute in Berlin lebend, studierte unter anderem an der Frankfurter Städelschule.
- Sie stellt auch international aus.
- Der Hectorpreis der Kunsthalle Mannheim und der Hector Stiftung wird seit 1997 alle drei Jahre vergeben. Er ist mit 20 000 Euro dotiert. Zu den früheren Preisträgern zählen Tobias Rehberger, Alicja Kwade oder Hiwa K.
- Die Ausstellung im Obergeschoss des Kunsthallenneubaus wird am Donnnerstag, 28. September, 19 Uhr eröffnet; dabei ist auch eine Performance zu erleben. Die Schau läuft dann bis 21. 4. 2024.
- Öffnungszeiten: Di, Do - So 10 - 18 Uhr, Mi bis 20 Uhr. Ein Katalog ist in Vorbereitung.
Angeordnet sind die mit Hilfe eines 3D-Druckers aus Materialien wie Epoxidharz, Leder, Glas, Beton sowie aus fertigen Komponenten wie Haltegriffen oder Heizpilzen produzierten Gebilde in einer Art Büro- oder Wartebereich, wie man ihn von Behörden und besonders Flughäfen her kennt. An letztere erinnern zudem die flexiblen Absperrbänder, die der Anordnung eine zusätzliche Struktur verleihen. Wieder lassen die Formen auch an Reitsattel denken sowie an darauf kauernde Personen, und es hat den Anschein, als ob man sich in die eine oder andere Arbeit hineinsetzen oder eher noch -zwängen könnte.
Zudem hat die Künstlerin eine Performance arrangiert, die auch bei der Ausstellungseröffnung an diesem Donnerstag zu sehen sein soll. Eine weitere Bedeutungsbrechung ist so gesetzt, ein neuer Kontext und eine neue Perspektive eröffnet, zu der es dann ebenfalls gilt, ein eigenes Verhältnis zu entwickeln. Das Werkarrangement mitsamt den darin agierenden Performerinnen dient Uddenberg außerdem als Ausgangspunkt einer filmischen Aufarbeitung ihrer künstlerischen Auseinandersetzung. So gesehen ist das vom Publikum während der Laufzeit der Ausstellung zu betrachtende pure Skulpturenarrangement lediglich ein Teil von Uddenbergs Arbeit.
Die Nüchternheit, ja der beklemmende Eindruck, den das Ganze macht, spricht aber durchaus schon für sich. Verstärkt wird er durch die niedrige Decke, die verhängten Fenster, durch die kein Licht dringt, und den schmucklos-grauen Teppichboden. Atmosphärisch erinnert das Ganze, zumal durch die ein wenig auch roboterartig wirkenden Skulpturen, an maßstäbliche Science-Fiction- und Horrorfilme wie etwa Ridley Scotts „Alien“-Original. Unter einem menschenfreundlichen Ambiente stellt man sich anderes vor. Aber Ordnungssystemen und -zwängen unterliegen wir schließlich immerzu. Das ist der Grundzusammenhang, der durch Anna Uddenbergs Arbeiten aufgerufen wird. Der Blick der Künstlerin richtet sich auf die kühle bis kalte Arbeits- und Warenwelt, in der wir alle leben (müssen). Erst wir als Betrachtende bringen Leben in die Sache, setzen sie so in Bewegung und vermögen sie entsprechend auch an unsere Vorstellungen anzupassen.
Sprödigkeit überwinden
In Anna Uddenbergs künstlerischer Welt findet sich die Ermunterung, fest gefügte Ordnungen aufzulösen und zu verändern, ja überhaupt Stillstand zu überwinden. Insofern ist Uddenbergs Kunstverständnis auch traditionell; sie übersteigt dasjenige, was sie realiter zeigt, und ermuntert ihr Publikum dazu, es ihr gleichzutun, indem es seiner eigenen Erfahrung und allem, was daraus folgt, vertraut. Dass Anna Uddenbergs Kunst eine „aufregende, anspruchsvolle und auch polarisierende Sicht auf Körperlichkeit, Geschlecht und Warenästhetik präsentiert“, wie Hectorpreis-Jurymitglied Sebastian Baden zur Begründung der Preisvergabe sagte, wird sich in der Performance weiter konkretisieren.
Das skulpturale Arrangement allein und an sich wirkt allgemeiner noch, und das muss man keineswegs als einen Nachteil empfinden. Wo die Performance per se die Sprödigkeit ein Stück weit überwinden kann, bleibt dies in der Schau allein den Betrachtern überlassen.
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