Literatur verfremde, meint die Kuratorin dieses Festivals in der Alten Feuerwache, sie verfremde, „um sichtbar zu machen, was übersehen oder noch nie zur Sprache und unter die Leute gebracht wurde“. Insa Wilke spricht da wohl absichtlich ein wenig in Rätseln. Sie fügt hinzu: „Wie einsam wäre das Unverständliche ohne das Spiel der Entschlüsselung!“
Mit dem Spiel der Entschlüsselung meint Wilke natürlich, wie könnte es anders sein, ihr Festival Lesen.Hören, das im kommenden Jahr bereits zum 17. Mal stattfinden soll. Die in Frankfurt lebende Programmleiterin verspricht, es werde frei und freudig und manchmal auch frivol zugehen, wenn Mannheim von 24. Februar bis 12. März versucht, zur Literaturstadt zu werden. In insgesamt 14 Veranstaltungen wird gelesen, diskutiert, sowohl etablierte Größen der deutschen Gegenwartsliteratur wie Arno Geiger (6. 3.) oder Judith Hermann (12. 3.) als auch neu denkende Nachwuchsautorinnen und -autoren wie Helene Hegemann (27. 2.) oder die diesjährige Buchpreistragende Kim de l’Horizon (7. 3.) werden die Bühne der Alten Feuerwache betreten und Romane, Sachbücher, Gedicht- und Textsammlungen vorstellen.
Ein Jahr nach Kriegsbeginn
Los geht es am 24. Februar aber zunächst mit einem „Fest für die Ukraine“ – exakt ein Jahr nach Beginn der Invasion von Putins Truppen ins Nachbarland. Tanja Maljartschuk werde Gedichte, Erzählungen, Essays und Reden mitbringen, die für sie zu den schönsten, schillerndsten, wichtigsten Schätzen der ukrainischen Kultur gehörten. Interpretin Birgitta Assheuer bringe die Übersetzungen zu Gehör. Die Sängerin, Pianistin und Komponistin Ganna Gryniva verbindet diese Inseln musikalisch zu, wie es im Programmheft heißt, „einem leuchtenden Teppich“, der den Bogen von literarischer Sprachkraft und Fiktion bis hin zu wichtigen politischen und sozialen Fragen unserer Zeit schlage.
In den Festivaltagen danach sprechen dann Dinçer Güçyeter und Marc Sinan anhand ihrer neusten Werke über deutsch-türkisch-armenische Geschichte, Angela Steidele nimmt die Helden der Aufklärung unter die Lupe und Klaus-Peter Wolf in alter Ostfriesenkrimi-Manier die Verbrechen der norddeutschen Provinz. „Um die schwelenden Fragen unserer Zeit wird es gehen“, so eine Pressemitteilung vom Montag, wenn Golineh Atai, Shole Pakravan und Olaf Kühl über die unterschiedlichen Protestformen im Iran und in Russland diskutierten, Marlene Engelhorn und Francis Seeck über Geld, Erbe und Umverteilung sprechen, und Buchpreisträger:in Kim de l’Horizon die Grenzen von Identität und Geschlecht zerfließen lasse.
„Gemeinsam mit unserer großartigen Programmleiterin Insa Wilke haben wir ein vielfältiges Veranstaltungsangebot auf die Beine gestellt“, sagt der neue Alte-Feuerwache-Geschäftsführer Christian Handrich laut Mitteilung. Es lade „zum Lauschen, Diskutieren, Nach- und Weiterdenken“ ein – aber auch zum Amüsieren und Mitfiebern.
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