Ihre Stücke tragen Titel wie „und am beispiel der butter“, „dosenfleisch“ oder „herzerlfresser“, Ihr Künstlername lautet Ferdinand Schmalz - Vegetarier sind Sie nicht, oder?
Ferdinand Schmalz: Nein, das wahrlich nicht. Das hat aber schon auch etwas mit Inhalten zu tun, ich habe viel über Lebensmittel gearbeitet - zudem verwende ich fette Metaphern und trage sprachlich gerne mal dick auf. Auch Schmalziges liegt mir insofern, als mir der Genre-Humor gefällt. Dennoch bin ich eher zufällig zu diesem Pseudonym gekommen: Ein Freund hat mich als Walross karikiert und schrieb „Schmalz!“ darunter.
Charmant, nette Freunde!
Schmalz: Nicht wahr? Die Karikatur hing lange bei uns daheim in der Küche und wurde so zu einem Spitznamen von mir.
Nehmen Sie mit ihrem Pseudonym nicht auch Kritikern den Wind aus den Segeln, die ihnen gelegentlich vorwerfen, die Kunst des Wortspiels zu übertreiben?
Schmalz: Man muss in die Vollen gehen, dazu stehe ich. Es ist schon eine gewisse Strategie, dass man über diese Metaphorik und sprachliche Haptik leichter an Leute herankommt. Und trotzdem transportieren ja meine Stücke immer auch Philosophisches. Mit dem Satz „die butter schmeckt nicht mehr wie früher!“ spart man sich viel Theorie, da schwingt natürlich Soziales und Politisches greifbar mit. René Pollesch sagte mal, dass seine Stücke auf drei Ebenen funktionieren müssen: Für die Leute, die Theorie mögen. Für die, die den Boulevard mögen, und für die, die beides mögen. So ähnlich arbeite ich auch.
Ferdinand Schmalz
- Schmalz wurde 1985 als Matthias Schweiger in der Obersteiermark geboren und studierte Philosophie und Theaterwissenschaft in Wien. Er war Regieassistent, reüssierte aber schnell als Dramatiker.
- 2014 wurde er Nachwuchsdramatiker der Kritikerumfrage der Zeitschrift „theater heute“, 2017 gewann er den Ingeborg-Bachmann-Preis, 2018 den Nestroy-Theaterpreis.
- Sein Stück wird am Freitag, 15. Juli, 20.30 Uhr, vor dem Wormser Dom uraufgeführt und ist bis 31. Juli dort zu sehen. Karten (29-139 Euro) gibt es unter 01805/33 71 71.
Sie haben bisher vorwiegend skurrile, konsumkritische Alltagsgeschichten und auch Kriminalfälle mit philosophischem Hintergrund erzählt. Wie kamen Sie zum Epos?
Schmalz: Ich habe ja auch schon den „Jedermann“ fürs Burgtheater bearbeitet, bin dabei weit hinter Hugo Hofmannsthal gedrungen - und habe Spaß gefunden am Mittelalter. Da war es ein schöner Zufall, dass Thomas Laue in dem Moment mit dem Vorschlag auf mich zukam, das Nibelungenlied zu bearbeiten.
Haben Sie gezögert?
Schmalz: Ich habe schon überlegt, wie man sich dem - wie Heiner Müller mal sagte - „deutschesten aller deutschen Stoffe“ als Österreicher nähern kann. Aber ich mag diese Herausforderung, einen Stoff darauf abzuklopfen, was daran heute noch interessant ist. Der Nibelungenstoff macht natürlich einen Riesenhorizont auf, allein schon entstehungs- und rezeptionsgeschichtlich. Man kommt irgendwann an den Punkt, an dem man erkennt: Man kann nicht alles darüber wissen - und muss irgendwann seinen eigenen Weg finden.
Ihre Lust am Wortspiel erinnert nicht selten an Elfriede Jelinek...
Schmalz: Jelinek ist natürlich eine Säulenheilige der österreichischen Literatur, man muss aber sagen, dass auch sie sich mit dem Wortspielerischen in eine Tradition einordnet, die ihre Wurzeln bei Johann Nestroy, Karl Kraus oder Ferdinand Raimund hat. Was die Konstruktion der Stücke anbelangt, gehen Jelinek und ich relativ weit auseinander. Sie ist Meisterin der polyphonen Textklangflächen, bei mir herrscht eher ein dramatischer Bau der Stücke vor. Ich glaube, dass Jelinek oder auch Werner Schwab den Begriff des Postdramtischen noch stärker als Kampfbegriff verstanden haben, um Strukturen aufzubrechen. Wir Jüngeren wie etwa Ewald Palmetshofer, Thomas Köck oder Teresa Dopler arbeiten wieder mehr dialogisch, denken über Figuren nach.
Abschied vom Postdramatischen?
Schmalz: Nein, natürlich nicht, es gibt aber mittlerweile ein breiteres Spektrum an Ausdrucksformen.
Ein Coup ist Ihnen mit dem Titel „hildensaga. ein königinnendrama“ gelungen. Wie lange haben Sie gefeilt?
Schmalz: Diesmal gar nicht so lang, er stand recht schnell fest. Für mich war auffallend, dass im Vergleich zu anderen mittelalterlichen Epen die Frauen im Nibelungenlied handlungsentscheidend sind. Kriemhild greift in die Handlung ein. Ferner fiel mir auf, dass Brünhild, die eine wahnsinnig starke Figur ist, im Original so merkwürdig verschwindet und nicht zu Ende erzählt wird. Mir war klar: Wenn ich einen Nibelungentext schreibe, dann muss er für mich aus deren Perspektive erzählt werden.
Sie haben das Personal um Wotan und die Nornen erweitert, wozu?
Schmalz: Mit den transzendentalen Figuren kann man das Gedanken-feld weiter aufmachen. Man hat im Kleinen diesen menschlichen Konflikt und kann es dann auf eine allgemeine Ebene ziehen, einen philosophischen Kosmos. Diese mythischen Figuren wirken wie ein Vergrößerungsglas, das zeigt, worin dieser Konflikt eigentlich besteht.
Die Nornen haben dabei den größten Textanteil - auch weil sie mühelos in Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart blicken können?
Schmalz: Ja, weil sie leicht erzählende und erzählungsgestaltende Figuren sind, die immer wieder eingreifen und auch in die Handlung hineingezogen werden. Es zeigt auch, was das Erzählen mit einem selbst macht. Es ist ein Fehlglaube der westlichen Denkweise, dass es einen objektiven Betrachterstandpunkt von außen gibt, an dem man mit dem Geschehen nichts zu tun habe.
Apropos Erzählen - kommt es an seine Grenzen? An einer Stelle heißt es „geschichten wissen nichts, wissen nichts vom schwefeldunst, verkohltem menschenfleisch, rauchschwaden, die die luft dir nehmen...“
Schmalz: Natürlich geht es gerade in diesen Zeiten auch um die Frage, was kann uns Literatur von solchen Dingen erzählen? Warum hat uns die Literatur nicht erretten können? Kommt man da durch Sprache ran? Aber wenn man den Gedanken ganz aufgibt, dann ist man ebenso zum Scheitern verurteilt, ein Dilemma.
Sie beginnen direkt mit dem berühmten Königinnenstreit vor dem Dom. Wer darf zuerst rein?
Schmalz: Über diese aus heutiger Sicht lächerliche Zänkerei, die mit Blick auf die mittelalterliche Hofstruktur freilich nachvollziehbar ist, habe ich mich im Vorfeld immer wieder geärgert. Dass die beiden über Eitelkeiten stolpern und diese Rachemechanik in Gang setzen. Die Frage, was wäre, wenn hier etwas anderes beginnen würde, etwas Gemeinsames. Eigentlich könnten Kriemhild und Brünhild nämlich Komplizinnen sein...
Aber die Nornen spielen nicht mit. Sind die „hilden“ an Schicksalsfäden geführte Puppen?
Schmalz: Das ist nicht so einfach zu beantworten, daran ist der ganze Konflikt aufgehängt. Die Nornen spielen selbst mit dem Schicksal und verantworten den ganzen Schlamassel mit.
Und dann pfuscht noch Wotan als alter weißer Mann mit seinen autoritären Anweisungen hinein ...
Schmalz: Ja, als krasser Disziplinator, aber die Nornen spielen dennoch ihr eigenes Spielchen. Das macht es komplex. Ich habe es so wahrgenommen, dass „toxische Männlichkeit“ am Hofe herrscht, auch wenn die Männerriege hier eine ziemliche Versagertruppe ist, was zu überspielen versucht. Sie könne nicht sehen, dass man auch anders handeln könnte. Das ist die Crux: Sie sehen alle ihr Versagen und machen dennoch weiter. Die Frage ist: An welchem Punkt kann man es sich nicht mehr schönreden? Wann kapiert man, wie marode die Strukturen sind? Und diese Erkenntnis liegt eben hier ganz stark bei den Frauen.
Der Text endet bereits mit Siegfrieds Tod - und einem großen Fragenzeichen. Bis zu den Hunnen und dem blutigen Finale gehen Sie nicht. Es ist also bereits Teil II in Planung ?
Schmalz: An die Donau habe ich mich als Österreicher noch nicht rangetraut, die liegt mir zu nahe. Feridun Zaimoglu ist ja 2018 in seiner Fassung „Siegfrieds Erben“ sehr intensiv bei den Ungarn gewesen. Ich dachte, die Leute wollen diesmal vielleicht etwas anderes, aus dem vorderen Teil der Nibelungen sehen ...
Da haben Sie sich diplomatisch aus der Affäre gezogen. Ich glaube an einen Schmalz Teil II.
Schmalz: Diplomatie ist immer gut.
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