Die 65-jährige Betty Hasler hat recht genaue Vorstellungen von ihrem Lebensende: „Ein plötzlicher Tod mag etwas Schönes sein. Aber es kommt schon darauf an, wann genau plötzlich. Man lässt nicht gerne etwas unerledigt zurück.“ Natürlich wird es Tote geben im neuen Roman „Wut und Liebe“ des Schweizer Bestsellerautors Martin Suter. Es gibt sie, weil der Tod zum Leben gehört und nicht, weil das Buch ein Krimi wäre. Zwar wird mit den Elementen des Genres gespielt, doch nur um sie schließlich kokett zu anderen Zwecken in Stellung gebracht zu haben. Der vorgesehene Tatort zum Beispiel wird so oft begangen, begutachtet, geprüft, infrage gestellt, doch wieder priorisiert und aus diversen Perspektiven bei unterschiedlichem Wetter beschrieben, bis selbst der unbedarfteste Leser ahnt, dass hier nichts passieren wird. Und dann liegt da doch ein Toter. Doch der ist nicht Opfer eines Verbrechens, was wir auch wieder erst später erfahren.
Martin Suter
Martin Suter wurde 1948 in Zürich geboren. Seine Romane (darunter „Melody“und „Der letzte Weynfeldt“) und die „Business-Class“-Geschichten sind auch international große Erfolge.
Seit 2011 löst außerdem der Gentleman-Gauner Allmen in einer eigenen Krimiserie seine Fälle, derzeit liegen sieben Bände vor.
Natürlich ist Martin Suter ein Profi auf dem weiten Feld der menschlichen Leidenschaften, vor allem wenn sie wirklich Leiden schaffen und ins Verwerfliche münden. Das ist auch diesmal nicht anders und wird die Gemeinde eines der bestgekleideten Schweizer mindestens bei der Stange halten. Man liest das Buch am besten in einem Ritt, schließt manchen seiner Protagonisten ins Herz, so sehr, dass man ihm oder ihr immer wieder helfend zur Seite springen möchte, wenn ihr Wollen mit dem der vermeintlich Bösen von der anderen Seite kollidiert. Die stammen gern aus der gehobenen Klasse, die in der Schweiz noch etwas gehobener ist.
Sie haben etwas mit Wirtschaft oder zumindest mit Verkaufen zu tun hat. Gerne beraten sie auch nur dabei, wozu sie mit Begriffen wie Geldwäsche, doppelter Buchführung oder Pseudokunden jonglieren, was zu dubiosen Honoraren führt. Dabei müssen sie in guten Restaurants sehr gut essen und erstaunliche Mengen von Alkohol so vertragen, dass ihr konspiratives Tun darunter nicht leidet. Darin sind sie ihren Klienten überlegen, die sich manchmal nicht mehr an Abmachungen erinnern können. Mitunter sind auch Frauen im Spiel, die dann gern auf ihre entscheidenden Attribute reduziert werden, worauf sie zumeist in der Waagerechten landen. Nur die guten geraten in die verborgenen Archive, wo sie dann etwas finden.
Erfolgsrezept: das Verwirrspiel mit dem Leser
Auch solche Menschen lernt man bei Martin Suter besser kennen und begreift, dass die Wahrheit zumeist irgendwo in der Mitte liegt. Diese Mitte dann präpariert der Roman heraus, wobei man manches ahnte, mit manchem aber auch daneben lag. Eigentlich ist in diesem Verwirrspiel mit den systematisch umgeleiteten Leservermutungen eines der Erfolgsrezepte des so erfolgreichen Martin Suter begründet. Und darin, dass er seine Leser in Kreise führt, wohin sie sonst nicht kommen.
Betty Hasler hat also etwas zu erledigen. Sie ist ein bisschen lebensmüde, seit ihr geliebter Pat gestorben ist. Weil sie seinem Kompagnon Pete die Schuld daran gibt, will sie nicht vor ihm diese Welt verlassen. Sie sitzt in einer Bar, in die es aus vergleichbaren Gründen auch den halb so alten Noah verschlagen hat: der gleiche Drink, der gleiche Kummer. Seine Freundin Camilla begehrt ihn zwar wie eh und je, weswegen sie gleich zu Beginn des Buches nackt im Bett liegen (und am Ende wieder), nur will sie so nicht mehr leben, weil sie den erfolgreichen Künstler mit einem hassenswerten Job durchfüttern muss. Dabei stehen Camilla alle Türen offen, denn selbst ungewaschen ist sie „schön wie die Venus von Botticelli“, was also in einem Suter-Roman durchaus steigerbar ist. Nun aber macht Betty Hasler diesem Noah ein unmoralisches Angebot, und es verwundert nicht, dass Camilla im Fortgang der immer wieder gewendeten Ereignisse auch welche bekommen wird. Sätze wie „Sie ist beim anderen ausgezogen“ klingen dann mindestens doppeldeutig.
Viel Wut – und als ihr Gegenmittel die Liebe
Immer wieder legt Martin Suter falsche Fährten. Es gibt viel Wut und als ihr Gegenmittel die Liebe. Es gibt als Hintergrundgeräusche neckischen Freundinnentalk, Zirkelschlüsse, Verführungsgeplänkel, fröhliche Enden, Kneipengespräche, Einblicke in die Kunstszene und in die Berufsgruppen, die von den Galeristen umworben werden. Ein solcher fragt dann den immer wieder anders und schöner scheiternden Noah auf dessen erster Vernissage: „Wo haben Sie das Brötchen her?“ Nicht alle Fragen im neuen Buch eines der großartigsten Unterhaltungsschriftsteller unserer Tage sind so einfach zu beantworten, nicht alle Deals so simpel. Deswegen braucht es dreihundert Seiten und durch die rast man gern. Schon, um sich dem Tempo der Ereignisse anzupassen.
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