Die neuseeländische Popsängerin hat lange nichts von sich hören lassen. Doch auf ihrem vierten Album „Virgin“ unterstreicht Lorde (28) ein weiteres Mal, warum es stets ein Großvergnügen ist, wenn sie sich dann doch mal wieder meldet.
Lorde, als Ella Yelich-O‘Connor geboren und großgeworden in einem Vorort von Auckland in Neuseeland, war noch knapp 16, als im Frühherbst 2013 ihr Debütalbum „Pure Heroine“ auf der Erde einschlug wie ein Komet. „Royals“ und „Tennis Court“ hießen die beiden größten Hits der Platte, man hört sie bis heute unvermindert gern, die Songs waren cool, entspannt, nicht abgehoben, die junge Lorde selbst gab sich introvertiert, aber nicht ohne Selbstbewusstsein und gesegnet mit einer ausdrucksstarken Stimme.
Wie eine 16-Jährige wirkte sie nicht, manche zweifelten damals gar an ihrem Alter, was ihr verständlicherweise missfiel. In der Öffentlichkeit und ihren Videos sah Lorde in der Regel aus, als käme sie gerade vom Sport, trug Wohlfühlklamotten und entzog sich der sexualisierten Exposition ihres Körpers komplett. Mit ihrem ganzen Lorde-sein ist Ella Vorbild gewesen für eine Generation von weiblichen Popstars. Billie Eilish war ein knappes Jahr älter als Lorde, als sie 2019 ihr erstes Album „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ rausbrachte, auch Gracie Abrams, Chappell Roan oder Olivia Rodrigo – alle nur ein paar Jahre jünger - beziehen sich auf Lorde als einen ihrer heiligsten Inspirationsgrale.
Lorde: Selbstverordneter Rückzug aus dem Promizirkus
Ella selbst hatte mit dem recht plötzlichen Gezerre von allen Seiten zu kämpfen, zumal sie sich erstmal selbst finden wollte, sie legte 2017 noch das formidable und damals unterschätzte Album „Melodrama“ vor, und dann igelte sie sich ziemlich ein. Gesundheitlich gebeutelt von einer heftigen Bühnenangst, einer Essstörung sowie gynäkologischen Unregelmäßigkeiten zog sie sich in ihre Heimat zurück, warf sinnbildlich das Handy weg, legte sich an den Strand und überraschte 2021 mit dem Album „Solar Power“, das ganz hübsch, friedlich, still, akustisch und liebevoll gemacht, vielen aber zu dröge, zu esoterisch und zu weltverbessernd war.
Wieder vier Jahre später. Lorde hat ein paar Mal tief Luft geholt. Sie hat sich von ihrem Langzeitfreund getrennt. Sie ist wieder nach New York gezogen. Und sie hat mit „Virgin“ ein massiv anregendes Album gemacht, das abenteuer- und fleischeslustig klingt und das jede Menge scharfer Kanten hat, an denen man beim Hören bereitwillig hängenbleibt. „What Was That“ zum Beispiel, die erste Single, die Lorde im April mittels eines vielbeachteten Flash Mobs im Washington Square Park in Manhattan uraufführte, ist eine Partynummer, aber eine unorthodoxe.
Lorde liefert Musik zum spontanen Verlieben
Der Song wird von Synthesizern vorangetrieben und entwickelt sich im Verlauf immer festlicher, am Schluss ist er richtig euphorisch, Lorde singt sehr dynamisch vom Spontanverlieben unter dem hormonfördernden Einfluss von Drogen und Kippen („MDMA in the back garden, this is the best cigarette of my life“). Die Trennungstrauer verzieht sich hier wie ein Sprühnebel, es dominiert der Spaß am Neustart sowie eine ganz generelle Freude über die zig Möglichkeiten, die so ein Lorde-Leben als junge, freie Frau in den Zwanzigern in der Großstadt, bietet.
Die Tour zum Album „Virgin“
- Die Künstlerin: Lorde (bürgerlich Ella Marija Lani Yelich-O‘Connor) ist eine neuseeländische Sängerin und Songwriterin, geboren am 7. November 1996 in Auckland.
- Die Entwicklung: Bereits mit 16 Jahren gelang ihr 2013 der internationale Durchbruch mit ihrem Debüt „Royals“ und dem Album „Pure Heroine“. Für ihre Musik – eine Mischung aus Indie-Pop, Elektropop und Alternative – wurde sie unter anderem mit zwei Grammy Awards ausgezeichnet.
- Weitere Alben: Zu ihren weiteren bekannten Veröffentlichungen zählen die Alben „Melodrama“ (2017) und „Solar Power“ (2021). Lorde ist für ihre tiefgründigen Songtexte und ihre einzigartige künstlerische Ästhetik international bekannt.
- Das Album: „Virgin“ (Universal).
- Die Tour: 9. November, Rockhal, Esch-sur-Alzette , Luxemburg, 30. November, Halle 622, Zürich , Schweiz, 1. Dezember, Zenith, München, 3. Dezember, Palladium, Köln, 5. Dezember, Max-Schmeling-Halle, Berlin.
- Tickets: Karten für die Tournee sind derzeit nur noch über die Warteliste zu bekommen.
„Hammer“ ist mindestens ebenso lustig. Hier artet die anfängliche Zurückhaltung in eine Art Rave aus, die Nummer ist sehr flirrend, sehr schnell, sehr clubtauglich, man kommt bei den ganzen Wendungen, die „Hammer“ in 193 Sekunden nimmt, ganz aus der Puste. Zusammengearbeitet hat Lorde hier wie bei den meisten der „Virgin“-Songs mit Jim-E Stack, den man von seinem Wirken an der Seite von Bon Iver kennt. Auch Dan Nigro (Olivia Rodrigo) ist mit von der Partie, während der bisherige Stammkollaborateur Jack Antonoff (am bekanntesten durch seine Arbeit mit Taylor Swift) vollständig fehlt, denn „ich wollte frische Impulse“, so Lorde.
Vergangenes Jahr machte Lorde auf dem Remix von Charli XCX‘ „Girl, So Confusing“ mit, und so ein konstanter „Brat“-Luftzug, so ein Geist der görenhaften, kessen aber auch nie zu fiesen Aufmüpfigkeit durchweht auch „Virgin“. Mit 28 ist Lorde eine erwachsene Frau, die sich übrigens an manchen Tagen mehr wie ein Mann fühle, wie sie auf „Hammer“ singt, und doch besitzt „Virgin“ so einen starken, ewigmädchenhaften Sog.
Lorde ist älter geworden, die Fans sind älter geworden, aber so richtig „grown up“ sein, nee, das ist dann doch ganz schön doof. Im melodiösen „GRWM“ sehnt sich die Künstlerin danach, einfach von Stein zu Stein durch den Fluss zu hüpfen.
Mit den Fans etwas älter geworden
Ein, zwei ruhige Stücke gibt es auch, etwa das Acapella-Lied „Clearblue“, manchmal drehen die Synthies fast bedrohlich ins Dunkle ab, so wie in „Shapeshifter“, einem Lied über die Vor- und Nachteile von One-Night-Stands im Sprechgesangkostüm der mittelspäten Madonna. Manchmal wird ein Refrain auch unterbrochen, abgebrochen oder neu gestartet, was dem Unterfangen so eine dezente Björkhaftigkeit verleiht. „Virgin“ ist ein Album für den großen, breiten, globalen Popmarkt, doch es ist so kompromisslos, charaktervoll und klanglandschaftlich unvorhersehbar wie kaum ein anderes in diesem Jahr.
Und wer auf die Schnelle nur Zeit für ein einziges Lied hat, möge sich für „Man Of The Year“ entscheiden. Beginnt vulnerabel, niedergeschlagen, mit Streichern und beinahe wie „Nothing Compares 2 U“. Nach der Hälfte springt es einen auf mal an wie der Kater die Maus, die Drums fangen wie wild an zu scheppern und man kriegt bis zum Schluss das Grinsen einfach nicht mehr aus dem Gesicht.
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