Literatur

Neues Buch von T. C. Boyle: Es gibt kein Zurück

In „No Way Home“ erzählt der US-amerikanische Autor T. C. Boyle gewohnt fulminant von zwei Männern und ihrer obsessiven Liebe zu einer Frau.

Von 
Ulrich Steinmetzger
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Sein neuer Roman handelt von einer Dreiecksgeschichte: der amerikanische Bestseller-Autor T. C. Boyle. © Axel Heimken/dpa

Jesse hatte ihn schon bei der ersten Begegnung gewarnt: „Sie ist Gift … du wirst es bald rausfinden.“ Die Warnung war nicht so ganz uneigennützig, denn Jesse war noch nicht fertig mit seiner Ex. Und Terry hatte gerade erst angefangen. Eigentlich wollte er sowieso nicht nach Boulder City. Das Kaff liegt in Nevada fünfzig Kilometer hinter Las Vegas und viereinhalb Stunden von Los Angeles, wo er als Dr. Terrence Tully als Assistenzarzt auf seine Zulassung zum Internisten hinarbeitet. Der Vegetarier hatte noch nie eine längere Beziehung und ist ein bisschen linkisch. Einunddreißig ist er, als seine Mutter stirbt. Weil es nun einiges zu regeln gibt, muss er mit seinem abgehalfterten Audi nach Boulder City.

Zwei Männer konkurrieren um dieselbe Frau

Ein Kollege hatte ihm zugeraten. Mit dem Verkauf des elterlichen Hauses könne er seinen Studienkredit zurückzahlen und sich einen Sportwagen leisten. Der Kollege konnte nicht wissen, dass immer weitere Kosten auf Terry zukommen werden. Das hat auch und vor allem mit Bethany Begany zu tun. Die ist vierundzwanzig und acht Zentimeter kleiner als er, ihm aber sonst in allen Belangen überlegen. „Wahrscheinlich bist du ein Glückspilz“, sagt sie am ersten Abend in der Bar und meint vor allem seinen Erstkontakt mit ihr.

Umgehend mündete die Zufallsbegegnung in einen Engtanz: „Er spürte ihren Bauch, ihre Brüste, ihr Becken, und das machte ihm auf elementare Weise einiges klar.“ Die Honigblonde im türkisen Minikleid hat fortan ein Ziel vor Augen. Gerade ist sie aus ihrer Wohnung geflogen und hat sich von Jesse getrennt. Mit ihrem Bachelor in Literaturwissenschaft kann sie in dieser Gegend nicht viel anfangen, weswegen sie am Empfang des Krankenhauses arbeitet, wo die Ärzte sie anbaggern. Terry ist anders und nun an ihrer Angel. Ein Haus hat er auch. Und schon zwei Tage, nachdem seine Mutter gestorben ist, liegt sie mit ihm in deren Bett.

T.C. Boyle

Tom Coraghessan Boyle wurde als Thomas John Boyle am 2. Dezember 1948 in Peekskill, N.Y., geboren. Den Namen Coraghessan gab er sich selbst nach einem irischen Vorfahren.

Der Autor von zahlreichen Romanen und Erzählungen lehrte bis 2012 Creative Writing an der University of Southern California in Los Angeles.

In Deutschland hat der Autor seit Jahren eine große Leserschaft und will das Buch bei einer Lesereise im Spätherbst in fünf deutschen Städten von Hamburg bis Düsseldorf vorstellen.

Bei Hanser erschienen zuletzt „Sind wir nicht Menschen“ (Stories, 2020), „Sprich mit mir“ (Roman, 2021), „Blue Skies“ (Roman, 2023) sowie „I Walk Between the Raindrops“ (Stories, 2024).

Auch der neue Roman „No Way Home“ des in Kalifornien lebenden Großautors T. C. Boyle beginnt mit einem Turbostart, wie nur er ihn hinkriegt. Sein überforderter Antiheld steht vom Start weg in einem feminin grundierten Ereignisgewitter, das auch deswegen immer stärker grollt, weil der verflossene Jesse einfach keine Ruhe gibt. Und Bethany hält seinen letzten Funken Hoffnung so geschickt wie hinterhältig am Glimmen.

Da hilft es gar nichts, dass Terry im Job gelernt hat, emotionale Reaktionen auszuschalten und sich dem vorliegenden Problem zu widmen. T. C. Boyle ist ein Meister im Anhäufen von Problemen, und sowieso hat die greise Nachbarin Margaret gleich gewusst, dass alleinstehende Frauen die größte Gefahr für die Ruhe in der Siedlung sind. Sie ziehen Männer an, was knatternde Motorräder und zugeworfene Autotüren zu jeder Tageszeit bedeutet.

Deutsche Ausgabe erscheint sechs Monate früher als das Original

Besonders am neuen Roman ist, dass die deutsche Ausgabe ein halbes Jahr vor der Originalausgabe erscheint und der Hanser Verlag dann die europaweiten Vertriebsrechte für seine englische Ausgabe hat. Fast möchte man meinen, die Temposchärfe des Textes habe dazu geführt, dass der Übersetzer schneller fertig war als der Autor. Auch wenn die Kuriositäten so weit nicht führen: Dirk van Gunsteren hat wieder eine exzellente Arbeit gemacht. Formulierungen wie „Pupillen, die aussahen wie Bohrlöcher“ oder „Der Rest des Tages lag vor ihm wie eine Gefängnisstrafe“ müssen einem erst einmal einfallen.

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dpa
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Immer wieder geht es in diesem Buch voller sich überstürzender Ereignisse um die US-Provinz. Boyles „durch und durch amerikanische Kleinstadt“ von 15 000 Einwohnern war in den 30er Jahren als Arbeitersiedlung gegründet worden. Immer noch gibt es sechs bis sieben Lokale, manche mit Country Musik und Kolossen von Barmännern „mit Armen wie sacht schwingende Rinderhälften“. Alkohol wird immerfort getrunken im ländlichen Nevada, mitunter gekoppelt an Tabletten.

Das wirkt bei der jüngeren Generation als Enthemmer, Ereignisbeschleuniger und Aphrodisiakum ein paar Stunden vor den Kopfschmerzen am nächsten Morgen. Das wirkt bei Terry und Bethany, aber eben auch bei Bethany und Jesse. Das wirkt so zuverlässig, dass sich Boyles furioser Roman vor dem Hitzeflimmern der Wüste und dem Grundrauschen rechtslastiger Radio-Talkshows aufschwingt zum brutal ausgetragenen Dreieckskonflikt. Derweil hält „ein warmer Herbstwind … den Abfall auf dem Boden in Bewegung“ und auf dem Highway zeigen überholende Gerechtigkeitsfanatiker unverhältnismäßig lange den Mittelfinger.

Im Zentrum der sich überschlagenden Ereignisse steht die Immobilie, von der Bethany Besitz ergriffen hat. Ihre Ortsbeschreibung „so tot wie nur was“ wird bald nicht mehr gelten. Irgendwann sitzt Terry erschöpft im Rollstuhl und kann nur stöhnen: „Es war kompliziert. Und Bethany ebenfalls.“ Keine Zukunftsvisionen und keine Herkunftshistorien diesmal, stattdessen dreht und wendet Boyle seine amerikanische Gegenwart zu immer neuen Steigerungen, denen man mit Freude folgt.

T. C. Boyle: No Way Home. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser. 382 Seiten. 28 Euro.

Freier Autor Ulrich Steinmetzger geboren 1958 in Gera, Abitur, Pädagogikstudium in Halle (Saale), Lehrer, Promotion zum Dr. phil., seit 1987 Arbeit als Lektor (Mitteldeutscher Verlag, Deutsche Verlags-Anstalt, Verlag Janos Stekovics, Wallstein Verlag, Verlag Hermann Schmidt, jazzwerkstatt, Osburg Verlag …) und Herausgeber („Die unter 30“, mit Bernd Dreiocker und Matthias Eisel, „Was wird aus uns?“, „Michel ohne Mütze“ mit Hinrich Matthiesen, „Berlin | Berlin“, mit Ulli Blobel, „Sonne, Mond und Sterne. Über Literatur und Musik“, mit Jürgen Krätzer und Benedikt Viertelhaus), von 1997 bis 2002 Marketing- und Werbekoordinator in einem Industrieunternehmen, seit 2002 freiberuflicher Lektor, Publizist und Journalist, Literatur-, Musik-, Kultur-, CD- und Konzertkritiken für eine Reihe von Zeitungen und Zeitschriften, Vorträge, Linernotes, Presse- und Programmtexte für diverse Labels, Künstler und Veranstalter. Lebt in Halle (Saale).

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