Sie ist seit vielen Jahren ein Star der internationalen Literatur. Die Bücher von Isabel Allende, die 1982 mit „Das Geisterhaus“ ein fulminantes Debüt feierte, haben Bestseller-Garantie und sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. Ihr neuer Roman, „Mein Name ist Emilia del Valle“, erscheint in einer Startauflage von 100.000 Exemplaren.
Erzählerin Emilia ist die Tochter einer bibelfesten Irin, die sich auf das Leben als Nonne vorbereitet, dann aber den erotischen Avancen eines chilenischen Aristokraten aus dem Hause del Valle erliegt: ein Luftikus und Lebemann, der sein Erbe in den Bordellen und an den Spieltischen der Welt wegwirft und sich aus dem Staube macht, wenn es Probleme gibt. Emilia muss mit dem Zorn ihrer Mutter auf den faulen und feigen Erzeuger leben, aber in ihrem Stiefvater, der sich ihrer annimmt, findet sie einen weisen Ratgeber, der sie stets ermutigt, ihren eigenen Weg zu gehen.
Sie macht Karriere mit Groschenromanen, in denen starke Frauen sich an erbärmlichen Männern rächen. Als Star-Reporterin erkundet sie die Welt und setzt alles daran, die Geheimnisse ihrer Familiengeschichte zu lüften, um ihre wahre Identität und eigentliche Heimat zu finden: eine spannende Mischung aus Abenteuer- und Emanzipations-Roman und ein Buch über entfesselten Bruderhass und sinnloses Töten. Auf der Suche nach ihren familiären Wurzeln reist sie als Kriegsreporterin in das von politischen Unruhen und sozialen Missständen erschütterte Chile, erlebt einen Alptraum aus Bürgerkrieg und Blutrache, gerät zwischen die Fronten, wird verletzt und gefoltert, muss mit ansehen, wie die siegreiche Partei, die angeblich die Demokratie retten und das Land modernisieren will, zum mordenden und brandschatzen Mob mutiert.
Ein Kampf um Freiheit und Anerkennung
Es ist die Geschichte einer Frau, die sich von Konventionen befreit und gegen die gesellschaftlichen Vorurteile und beruflichen Widerstände rebelliert, sich gegen die Konkurrenz männlicher Kollegen behauptet, sich sexuell freizügige Liebesabenteuer gönnt und es mit den Mächtigen aus Medien und Politik aufnimmt. Den Leser überraschen dürfte, dass Isabel Allende das, was so zeitgeistig anmutet, in eine über 100 Jahre zurückliegende Vergangenheit transferiert: in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und in eine Epoche des sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Umbruchs.
Der Goldrausch ist vorbei, bittere Armut herrscht in San Francisco, als Emilia 1866 dort zur Welt kommt. Aber früh entdeckt sie ihr Schreibtalent und erstreitet sich, erst noch unter männlichem Pseudonym, später unter ihrem richtigen Namen, ihren Platz in der von Männern beherrschten Welt von Literatur und Journalismus. Isabel Allende schildert diesen Kampf um berufliche Anerkennung und individuelle Freiheit mit aufrüttelnder Klarheit. Wenn es aber um die erotischen Obsessionen von Emilia oder um ihre Exkursion in die chilenische Wildnis geht, wo sie in absoluter Einsamkeit auf den Grund ihrer verletzten Seele schauen will, erhält der Roman eine Schlagseite ins Kitschige und Banale.
Raffinierte Erzählstrukturen und unerwartete Verbindungen
Zum Glück hat die Autorin überraschende Momente und raffinierte Varianten in ihrem Literatur-Köcher: Immer wieder würfelt sie geschickt die Zeit- und Erzähl-Ebenen durcheinander, spult vor und zurück, vervielfacht die Fiktion, indem sie den Gang der Handlung mit Zeitungsartikeln aus der Feder von Emilia collagiert, schließlich noch Briefe von Emilias Bekanntschaften und Liebhabern einstreut.
Isabel Allende
- Geboren wird Isabel Allende 1942 in Lima als Tochter eines chilenischen Diplomaten.
- Weitläufig verwandt ist die Autorin mit dem von der faschistischen Militär-Junta 1973 gestürzten chilenischen Präsidenten Salvador Allende. Ihr Roman-Debüt „Das Geisterhaus“ wurde vom dänischen Regisseur Bille August 1993 erfolgreich verfilmt.
- Für ihr umfangreiches Werk und ihre sozialkritischen und feministischen Anliegen erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen . FD
Fast vergisst man, dass hier eine durch Zeit und Raum geisternde Stimme am Werk ist, die es den Lesern überlässt, ob sie merken, dass man ihren Bericht auch als Epilog zum „Geisterhaus“ lesen kann. Hatte doch Isabel Allende darin die Geschichte der Familie del Valle vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Zeit der faschistischen Pinochet-Diktatur ausgebreitet und auf der Folie der literarischen Fiktion Momente ihrer eigenen Familiengeschichte berührt.
Emilia gibt keinen Hinweis auf die Zukunft, die sie nicht kennen kann, sich aber im „Geisterhaus“ offenbaren wird. Dass der Verlag die Verwandtschaft der beiden Romane im Klappentext und in der Werbung verschweigt, ist allerdings etwas seltsam und schwer verständlich.
Isabel Allende: „Mein Name ist Emilia del Valle“. Roman. Aus dem Spanischen von Svenja Becker, Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 359 S., 28 Euro.
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