Sportliche zehn Minuten gewährt Lizzo für das Gespräch über ihre neuen, gitarrenrockigen Songs „Love In Real Life“ (so wird auch das demnächst folgende Album heißen) und „Still Bad“. Aber die 37-jährige Soul-Pop-Superstar-Sängerin spricht, im Wohnzimmer in Los Angeles sitzend, echt schnell – und praktisch jeder Satz sitzt. Mit Hits wie „Juice“, „Truth Hurts“ und „About Damn Time“ ist Lizzo, die ihre Musikkarriere als Querflötistin begann, eine Größe im Geschäft, im Schrank stehen allein vier Grammy-Awards. Doch die vergangenen zwei Jahre verliefen holprig. Mehrere Tänzerinnen äußerten Vorwürfe gegen ihre Ex-Chefin und haben sie verklagt. Lizzo soll sie etwa wegen ihres Gewichts gemobbt haben. Auch ein vermeintlicher Vorfall in einem Amsterdamer Stripclub, in dem sexuelle Nötigung und eine Banane eine Rolle spielen sollen, ist Teil der gerichtlichen Auseinandersetzungen, zu denen Lizzo im Gespräch nichts sagen mag.
Lizzo, hinter Ihnen steht eine elektrische Gitarre. Spielen Sie zwischendurch ein bisschen zur Entspannung?
Lizzo: Eine schöne Vorstellung, aber bis jetzt hatte ich noch keine Minute Zeit. Mal gucken, was nachher ist, mein Ziel sind mindestens fünfzehn Minuten am Tag. Ich versuche gerade, Hornhäute an meinen Fingern durch das viele Spielen aufzubauen, und es funktioniert recht gut. Die Finger werden immer rauer. Ich meine, ich liebe meine weichen Babyhändchen, aber für meine Kunst bin ich immer bereit, mich zu quälen (lacht).
Sie werden jetzt die Hauptrolle in einem Biopic über die Blues-, Gospel- und Jazzpionierin Rosetta Tharpe übernehmen.
Lizzo: Ich freue mich so sehr darauf. Rosetta war eine begnadete Gitarristin. Sie ist ein wichtiges Vorbild für mich, wir kommen beide aus eher kirchlichen Familien. Wir haben beide irgendwann dagegen rebelliert, was die Gesellschaft für uns vorgesehen hat. Ich fühle mich Rosetta wirklich extrem verbunden.
Auch in Ihren neuen Songs „Love In Real Life“ und „Still Bad“ spielt die Gitarre eine prägende Rolle.
Lizzo: So ist es. Aber so ganz neu ist die Gitarre für mich nicht. Sie hätten mal die erste Band hören sollen, in der ich gesungen habe. Ich war 19, und wir klangen wie The Mars Volta. Wir spielten Progressive Rock. Ich sang, rappte und spielte die Flöte. Ich studierte zu der Zeit Klassische Musik an der Uni in Houston. Wir nannten uns Ellypseas.
Entdecken Sie die 19-jährige Lizzo wieder, wenn Sie die neuen Songs spielen?
Lizzo: Total. Als wir die Stücke für das Album erarbeiteten, fühlte ich mich extrem an unseren alten Probenraum im Südosten von Houston erinnert und daran, wie wir seinerzeit einfach frisch und sorglos drauflos spielten. Das war eine magische, eine ekstatische, eine elektrisch aufgeladene Zeit.
Lizzo - Leben, Werden und Erfolg
- Lizzo , geboren als Melissa Viviane Jefferson 1988 in Detroit, Michigan, ist eine gefeierte Popsängerin, Rapperin und Songwriterin, die für energetische Auftritte und ihre Botschaft von Selbstliebe und Akzeptanz bekannt ist.
- Ihre Familie zog nach Houston, als sie zehn war. Lizzo erlangte erst in Minneapolis Aufmerksamkeit, wurde dann international bekannt. Ihr drittes Album „Cuz I Love You“, das 2019 veröffentlicht wurde, brachte ihr weltweiten Ruhm und Anerkennung ein.
- Außerdem setzt sich Lizzo aktiv für Body Positivity und Diversität ein und inspiriert Menschen mit ihrer authentischen, erfrischenden Persönlichkeit.
Ist „Love In Real Life“ ein Wohlfühlalbum?
Lizzo: Ja, voll und ganz. So gesehen denke ich, dass alle meine Alben bislang Wohlfühlalben sind. Ich möchte mit meiner Musik den Moment zelebrieren, das Hier und Jetzt genießen, die Ängste und Unsicherheiten, die uns alle plagen, mal außen vor lassen.
Sie haben ein paar nicht so einfache Jahre hinter sich. Wie gelingt es Ihnen selbst, die Sorgen zu vergessen?
Lizzo: Ich bemühe mich, komplett im Moment zu bleiben und wirklich jeden Augenblick bewusst zu erleben und zu genießen. Es war immer schon eine meiner Stärken, Streitigkeiten und Rückschläge zu überwinden und am Ende zu triumphieren. Wenn wir wegrennen vor unseren Problemen, dann werden sie uns ohnehin früher oder später einholen. Mein Album dreht sich darum, dass ich nicht die Absicht habe, in der Dunkelheit zu verschwinden, sondern mich der wirklichen Welt stelle.
Halten Sie sich für einen besonders widerstandsfähigen Menschen?
Lizzo: Ja, ich bin seit meiner Kindheit eine Expertin im Umgang mit Gegenwind. Ich war immer geschickt darin, aus Zitronen leckere Limonade zu machen und habe mit den Jahren in der Öffentlichkeit gelernt, meinen Schmerz in Erfolg zu verwandeln. Viele meiner Songs beinhalten diesen Silberstreif am Horizont, an dessen Existenz ich wirklich glaube. Ich bin keine Zweckoptimistin, sondern eine aus Überzeugung. Songs wie „Still Bad“ zu schreiben, war für mich die perfekte Therapie – und ein geradezu rebellischer Akt der Freude.
Was hat Sie so resilient gemacht?
Lizzo: Das Leben. Es gibt so viele Gründe. Ich lebe in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich bin schwarz. Ich bin eine Frau. Ich bin fett. Ich kam in Detroit zur Welt und wuchs in Houston auf. Die Wettquoten, was meinen Werdegang und meine Erfolgsaussichten im Leben angeht, standen lange Zeit alles andere als günstig. Aber ich habe einen Weg herausgefunden aus dem Schlamm. Und nun, da mir so vieles gelungen ist – wird alles noch viel schlimmer (lacht).
Sie sprechen die aktuellen Herausforderungen in Ihrer Karriere an?
Lizzo: Ja, auch. Und über die Herausforderungen, denen wir gerade als Nation gegenüberstehen. Aber wissen Sie, was ich denke?
Was denn?
Lizzo: Ich werde überleben. Wir alle werden überleben. Ich habe schon wirklich übler in den Seilen gehangen als momentan. Mich zu Beginn meiner Karriere durchzusetzen war weitaus härter, als mit dem Hollywood-Scheiß umzugehen, der mir gerade ins Gesicht gepustet wird.
„I don’t need him, I need a drink“, singen Sie in „Still Bad“ über eine verflossene Romanze. „Ich brauche nicht ihn, ich brauche einen Drink“. Und Sie sagen, Sie wollen den Schmerz in Champagner verwandeln.
Lizzo: In der Nummer steckt ganz schön viel Frust. Als ich im Studio war, ging es mir nicht so gut. Ich wollte einen Song schreiben, in dem ich mich sozusagen von der ganzen Welt trenne. Ursprünglich ging das Stück noch mehr in Richtung Countrymusik, da passte dieses „Ich brauche dich nicht, ich brauche einen Drink“ besonders gut.
Ist Alkohol denn eine Lösung, Lizzo?
Lizzo: (lacht) Nun ja, vor allem ist das eine lustige Aussage. Aber manchmal hilft einfach nichts so gut wie ein Drink (lacht). Ich selbst trinke mittlerweile jedoch nicht mehr so viel wie früher.
Haben Sie Ihre Ernährung verändert?
Lizzo: Das habe ich, und zwar gründlich. Ich befinde mich auf einem sehr positiven Weg in Richtung einer verbesserten Gesundheit. Ich habe meine gesamten Lebensgewohnheiten auf den Prüfstand und größtenteils auf den Kopf gestellt. Das heißt: Ich stopfe keinen Mist mehr in mich hinein. Ich ernähre mich mit gesunden Lebensmitteln. Ich mache eine Menge Sport. Ich trinke viel Wasser. Ich achte darauf, was ich mir im Internet angucke, um mein Gehirn nicht so voll zu müllen. Ich lebe einfach viel bewusster als früher.
Merken Sie einen Unterschied?
Lizzo: Oh ja, und wie. Ich bin geduldiger geworden. Insgesamt bewege ich mich langsamer und achtsamer durchs Leben. Ich fühle mich fantastisch. Und mal ehrlich, sehe ich nicht auch super aus? (lacht)
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