Schauspiel

Sarah Bernhardt: Kameliendame und Pop-Diva von Weltformat

Vor 100 Jahren, am 26. März 1923, stirbt in Paris die erste Schauspielerin mit internationaler Karriere: Sarah Bernhardt. Verewigt ist die Pop-Pioniern in der Bildenden Kunst und auch als literarische Figur

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Zeigt „La Bernhardt“ als Versuchung mit charakteristischer S-Linie: das Ölgemälde von Georges Clairin (1843-1919, Ausschnitt). © Büste/Museum Wiesbaden/Bernd Fickert

Paris. Die Frau hatte den Bogen raus: Als Schauspielerin und Schöpferin der eigenen Legende wusste sie um die Bedeutung von Leerstellen. Spannenden Gewissheitslücken für Interpretationen, Spekulationen, Fantasieentfaltung und Mythen. Mit dem Geburtsjahr geht es los. Jedes der fünf Jahre zwischen 1841 und 1845 ist in Selbstaussage belegt.

Weiter geht es mit dem Geburtsort. Gleich vier Pariser Adressen wetteifern bis heute um die Gunst, als Wiegenstandort des Weltstars zu gelten. Gewiss ist nur, der Tod ist verlässlich, dass Sarah Bernhardt am 26. März 1923 in Paris starb.

Mit Rebellion zum Weltstar

Das Leben der französischen Schauspielerin, die Theatergeschichte geschrieben hat, ist ebenso faszinierend wie ihre Karriere, rebellierte sie doch künstlerisch wie privat gegen die Zwänge ihrer Zeit, kämpfte medienwirksam für ihren Traum und wurde so zu einem der ersten Weltstars - wenn man will zur ersten Pop-Diva der Moderne.

Legendäre Exzentrikerin und Volksheldin: Sarah Bernhardt 1893 in Paris. © epd

Eine Frauenbüste aus vergoldeter und versilberter Bronze erregte 1899 im Schaufenster eines Pariser Juweliers das Missfallen der örtlichen Damenwelt, die sich damals gegen die unerreichbar schöne „Natur“-Allegorie von Alphonse Mucha wehrte - eine Art früher Revolte gegen sexistische Körperbilder.

Der steinige Weg zur Ikone

Doch längst ist die Skulptur - oder ihre Nachahmungen - Glanzpunkt jeder Jugendstil-Ausstellung. Abgebildet ist Sarah Bernhardt: Ikonisch, stil-, geschmacks- und epochenprägend - und der spiralförmige Sockel verweist auf den Fluss des Lebens. Die heute im Museum Wiesbaden als Juwel der Sammlung Neess befindliche Büste steht laut Künstler Mucha, der die Schönheit auch auf unzähligen Plakaten als Massenmotiv berühmt machte, für die Einheit von Natur und Kultur, eine typische Kunstforderung jener Jahre.

Der Weg zur Berühmtheit, neudeutsch „fame“, das weiß man nicht erst seit Youtube- und Insta-Kanälen oder Dschungelcamps, ist steinig und war Marie Henriette Rosine Bernardt, wie sie bei Geburt hieß, nicht vorgezeichnet. Eine lebensfrohe holländische Putzmacherin namens Judith van Hard zog in jungen Jahren nach Paris, wo sie als Geliebte reicher Männer Fuß fasste und bald von einer Tochter entbunden wurde. Ob der Jurastudent Edouard Bernard wirklich Sarahs Vater war, ist ungewiss, er zahlte aber die Alimente.

Mit 14 Jahren beginnt die Schauspielausbildung

Sie wird einer Amme überlassen, kommt mit acht Jahren in ein Pensionat in Auteuil, später auf Empfehlung eines noblen Liebhabers ihrer Mutter, immerhin ein Halbbruder Napoléons III., auf die angesehene Klosterschule Grandchamps in Versailles. Auch damals galt: Bildung heißt Aufstieg. Jener Duc de Morny begeistert Sarah für den Schauspielberuf, bei einer Aufführung des „Britannicus“ von Racine in der Comédie-Française springt der Funke über. Mit 14 spricht sie dort vor und beginnt eine Schauspielausbildung und debütiert 1862 als Sarah Bernhardt, wie sie sich schon jetzt nennt, mit der Titelrolle in Racines „Iphigenie“.

Was perfekt scheint, geht nicht lange gut: Der Wildfang hat Temperament - und prügelt sich mit einer Kollegin in den Kulissen. Bereits nach einem Vierteljahr scheint der Traum mit der Entlassung zu Ende, es folgen kleine Rollen und eine Schwangerschaft, für die Frau Mama trotz des eigenen Lebenswandels wenig übrig hat, Sarah fliegt auch zuhause raus. 1864 bringt sie ihr einziges Kind zur Welt: Maurice. Und hat ähnliches Glück im Unglück wir ihre Mutter.

Oscar Wilde, Marcel Proust und Edmond Rostand widmeten SarahFiguren. © dpa

Der Belgier Henri de Ligne stellt sich der Vaterschaft, will sie gar ehelichen, doch die Familie des Fürsten droht epochenüblich mit Enterbung. Dieses „Familienleben“ ist dennoch für etwas gut: „Die Kameliendame“ des jungen Alexandre Dumas’, die später zu Verdis noch berühmteren „La Traviata“ werden soll, wird eine ihrer Paraderollen im Welttournee-Format.

Tournee in "Lucky Luke"-Comis verarbeitet

Den Durchbruch schafft sie aber schon mit „Kean“ von Alexandre Dumas (Vater) im berühmten Pariser „Odéon“. Das Interesse an ihr zieht mächtig an und sie kann in den Kriegsjahren 1870/71 sogar wieder in der Académie française Fuß fassen. Amerika ruft - die Weltkarriere beginnt. 1880 tourt sie von New York aus durch über 50 Städte.

Die berühmte Tournee wird noch 100 Jahre später zum „Lucky Luke“-Comic verarbeitet. Europa wird eifersüchtig und überbietet sich mit lukrativen Gastspielangeboten, die sie mit Tourneen von Südfrankreich bis Russland, über Italien, Griechenland, Ungarn, die Schweiz, Belgien und Holland führen. Sie spielt groß und auch Hosenrollen: Phädra, Medea, Cleopatra, Fédora, Hamlet. Edmond Rostand schreibt eigens für sie „L’Aiglon“, Oscar Wilde dichtet ihr seine berühmte „Salomé“ auf den Leib, den sie wie ein Fragezeichen charakteristisch verdrehen kann: die Geburt eines Markenzeichens, weitere sollten folgen.

Im puritanisch-viktorianischen London spielt sie vor Königin Victoria die Prostituierte „Kameliendame“ und in St. Petersburg vor Zar Alexander III. Dort lernt sie den elf Jahre jüngeren griechischen Attaché Jacques Damala kennen, der für sie entflammt und selbst Schauspieler sowie 1882 auch ihr Ehemann wird. Längst hat Bernhardt da ihr eigenes Pariser Theater - und ein Schlagzeilen-Leben zwischen „Gala“ und „Bild“-Zeitung.

Sohn Maurice macht Spielschulden, der Gatte ist morphinsüchtig, das Theater bankrott. Wenn sie Geld braucht, geht sie auf Tour. Auf einer solchen kommt sie 1903 (mit knapp 60) auch als „Kameliendame“ nach Mannheim.

Markenzeichen und Starallüren

Die Aktrice mit Begabung für Exzentrik und Marketing hat nun Weltruf. Wer heute Tondokumente ihrer jammernd-schnarrenden, ja leiernden Deklamationsstimme hört, kann es nicht fassen. Doch sie ist „fame“ - und tut einiges dafür. Sie reist zu horrenden Gagen unter pompösem Aufwand - mit Heißluftballons, lebendigem Alligator und dem eigenen Sarg an, in dem sie sich schlafend oder textlernend szenisch wirksam fotografieren lässt. Anekdoten, Zickenkriege und Divengehabe schaffen jenes Bild einer „Sensation“, die man gesehen haben musste. Sie ist nun die finstere Göttin mit morbider Aura, Femme fatale, die als Phänomen einer sich über Plakate, Stummfilm, Tonaufnahmen bahnbrechenden Medienwelt immer für eine Meldung gut ist.

Marcel Proust verewigt sie in seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ als Figur der Schauspielerin La Berma. Im Ersten Weltkrieg zeigt sie sich als Patriotin, spielt trotz Beinamputation 70-jährig vor französischen Truppen in Feldlazaretten. In Frankreich wird der Weltkulturexportartikel nun auch zur Volksheldin. Als sie 1923 im Sterben liegt, stehen Massen stumm vor ihrem Fenster; als sie stirbt, steht Paris still. Theater senken die Vorhänge. Drei Tage defilieren Hunderttausende an eben jenem vielgereisten Sarg vorbei. Eine Million Menschen folgt dem Trauerzug zum Friedhof Père-Lachaise, wo heute ganz sicher Kamelien liegen werden

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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