Schlosstheater

Schwetzinger Festspiele eröffnen mit einem "Doppelgänger"

Zur Eröffnung der Schwetzinger SWR Festspiele weht Lucia Ronchettis Uraufführung von „Der Doppelgänger“ kurz und kompakt im Schlosstheater vorüber - dass die Uraufführung spannend bleibt, ist dem Team von Regisseur David Hermann zu verdanken

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Gefangen im Horrorkabinett eines Setzkastens: die Protagonisten in Lucia Ronchettis und Katja Petrowskajas Oper „Der Doppelgänger“ nach Dostojewski. © Elmar Witt

Schwetzingen. Wann gab es so etwas zuletzt! Einundzwanzig Takte dasselbe rhythmische Schema. Kurz-lang. Kurz-lang. Noch länger. Lang. Noch länger. Lang. Kontrabass. Harfe. Trommel. Ein echter Groove, zu dem ein ängstlich in einem Kasten liegender Mann atmet. In der gehobenen Pop- oder Jazzkultur mag so etwas normal sein. Aber nicht hier, nicht im zeitgenössischen Musiktheater, wo zuletzt vielleicht Philip Glass sich traute, ostentativ auf pure Periodizität zu setzen. In minimalistischer Manier.

Schwetzingen 2024. Eröffnung der Festspiele. Lucia Ronchettis Oper „Der Doppelgänger“ nach Dostojewski liegt auf den Notenpulten im Schlosstheater. Und Erwartung in der Luft. Es braucht eine ganze Weile, bis der Mann, Goljadkin heißt er, anfängt zu stöhnen, immer wieder ruft er ein „Ah“ aus und windet sich. Er leidet. Schon bevor jener in Goljadkins Leben tritt, der sein Leben zerstören wird, spaltet sich etwas in ihm ab, zerfällt das Ich dieses Kleinbürgers, der verzweifelt einen Platz in der Gesellschaft sucht. Der, der sein Leben ruinieren und ihn in die Psychiatrie bringen wird, ist er selbst, „Der Doppelgänger“, eine optimierte Form Goljadkins, vielleicht so etwas wie sein Selbst-Ideal, das er freilich nie erreichen kann. Er sieht zwar gleich aus, aber er arbeitet besser, ist strukturierter, liebt besser und bleibt final mit Goljadkins Liebe zurück, als ihn 70 Minuten später ein Doktor Rutenspitz abholt, um ihn ins Irrenhaus einzuweisen. Das ist die Story.

"Der Doppelgänger" klingt bei den Schwetzinger Festspielen auch mal gellend wie Alfred Hitchcocks "Psycho"

Ronchetti und Librettistin Katja Petrowskaja erzählen das fragmentiert. Wie durch ein Schlüsselloch beobachtet man kurze Situationen in Goljadkins Leben. Die Musik springt wild zwischen den Stilen. Ansätze der Popkultur, russische Folklore, Neue Musik und gellende Geigenschrubber wie in Hitchcocks „Psycho“ wechseln sich ab, gesungen wird eher ansatzweise, Melodien wie das schlagerartige „So weiterleben kann ich nicht“ von Goljadkins Freundin Olsufjewna klingen wie im Traum - ein Mosaik, das alles nebeneinander stehen lässt und gar nicht versucht, Bögen zu spannen zwischen Dingen, die ohnehin nicht zusammenpassen. Vielleicht zerfällt Ronchettis Musik ja auch wie die Psyche des Goljadkin.

Er und er selbst: Peter Schöne (Goljadkin, links) und sein (psychologischer) Doppelgänger (Christian Tschelebiew). © Elmar Witt

Die Bühne in Schwetzingen gleicht einem Horrorkabinett der Paranoia und Metamorphosen

Dass der Abend spannend bleibt, ist eher das Verdienst von Regisseur David Hermanns Team (Bettina Meyer, Bühne, You-Jin Seo, Kostüme, Clemens Gorzella, Licht). Wie in einem großen, neunteiligen Setzkasten lässt es die Szenerie spuken, in den wandelbaren psychologischen Räumen herrscht nichts als Klaustrophobie und Seelenmarter. Ein Horrorkabinett der Paranoia und Metamorphosen. Das führt zu einer ungeheuren Konzentration aufs Wort und den Klang, die dazu führt, dass man die knapp Eineinviertel Stunden dicht dran bleibt am Geschehen.

Zumal die Ensembles unter Tito Ceccherini bestens spielen und singen - allen voran Peter Schöne als Goljadkin. Sein Doppelgänger (Christian Tschelebiew) bleibt dagegen etwas matt, er ist eben nur ein Schatten. Olivia Stahn (Olsufjewna), Robert Maszl (Rutenspitz), der tolle Countertenor Zvi Emanuel-Marial (Diener), Vladyslav Tlushch (Filippowitsch) und das Vokalquartett aus dem Off machen ihre Sache so gut wie das SWR Symphonieorchester.

Kampf um einen Platz in der Gesellschaft: Peter Schöne (Goljadkin, rechts unten) wird ihn nicht gewinnen, bleibt Außenseiter und geht an dieser Rolle zugrunde. © Elmar Witt.

Therapeutisch hat Ronchetti in der Pressekonferenz die Arbeit an dem Werk genannt. Wer sich noch therapieren lassen will, muss jetzt nach Luzern fahren, wo die Produktion leider nur noch zu sehen sein wird.

Am Sonntag, 28. April, wird das Stück aber nochmal in Schwetzingen gespielt.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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