Schwetzingen. Gibt es jemanden, der ihm das heutzutage nachmacht? Francois-Xavier Roth ist es gelungen, Marksteinen des Standardrepertoires wie Beethovens „Eroica“ und Mahlers erster Sinfonie neue Facetten abzuringen. Sie noch einmal ganz neu auszuhören - durch einen mit Instrumenten aus der Zeit, in der die Werke komponiert wurden, entwickelten Orchesterklang (auch wenn der Ausdruck „Originalklang“ nach wie vor mit spitzen Fingern anzufassen ist).
Zu diesem Zweck hat Roth Les Siècles („Die Jahrhunderte“) gegründet, vor gut zwei Jahrzehnten. Bei den SWR-Festspielen nehmen Dirigent und Klangkörper, von prominenten, ähnlich denkenden Solisten unterstützt, zwei Komponisten ins Visier, die zeitlich und stilistisch eine ganze Menge trennt: Mozart und Ligeti. Mit je vier Schlüsselwerken an zwei üppig langen Abenden.
Die Stücke Ligetis werden jeweils zuerst gespielt, die Gründe hierfür sind gewiss auch taktischer Natur: Die Leute sollen dableiben. Bereuen müssen sie es nicht, Roth und Les Siècles demonstrieren an den beiden Komponisten ihre Kunst der Differenz.
Es unterscheiden sich: die Instrumente selbst, ihr Stimmton und die Klangvorstellungen, die daraus resultieren. Vierter Faktor ist die Sitzordnung, in Schwetzingen wird sie sogar besonders wichtig. Roth will ausdrücklich das Rokokotheater mit seiner speziellen, tendenziell seziererischen, knochentrockenen Akustik einbeziehen und versucht, am zweiten Abend noch einmal aus den Erfahrungen des ersten Rückschlüsse zu ziehen.
Aber schon in Mozarts 23. Klavierkonzert in A-Dur holt er die Les-Siècles-Bläser weit nach vorne, die Flötistin sogar an den Rand der Bühne. So viel Timbre hört man selten. Während Alexander Melnikov den Solo-Part in einen Hammerflügel eingibt und dabei Intimstes preiszugeben scheint. Mit manchmal stockender Phrasierung. Geigerin Isabelle Faust begibt sich dafür im G-Dur-Konzert für Violine und Orchester eher auf eine Gesellschaft, tritt in Dialoge mit ihren Begleitern ein und treibt im letzten Satz ein unernst-schönes Spiel mit den Erwartungshaltungen und Tonfällen.
Klaviersoli mit Anleihen aus dem Modern Jazz
Der „großen“ g-Moll- und der „Haffner“-Sinfonie entlocken Roth und das Orchester viele stimmige Nuancen, insbesondere die tiefen Streicher treten dabei manchmal deutlicher hervor als sonst und setzen kleine Widerhaken. Herrlich auch der extratrocken ausgeschenkte Paukendonner im finalen „Haffner“-Satz. Doch die Effekte machen sich nie selbstständig.
Bei Ligeti erlebten die Besucherinnen und Besucher einen Komponisten, der in seinen späten Jahren noch einmal ein anderer geworden sei, sagt Roth in einer kleinen Ansprache: zunächst den Folkloristen, dann den mikropolyphonen Klangästheten - und zuletzt den Schöpfer „flamboyanter, radikaler Werke“ wie des Violinkonzerts mit seiner unreinen Harmonik (Ligeti spricht von „Morast“). Isabelle Faust jedoch hält die Kontrolle bravourös.
Die Soli im Klavierkonzert klingen zum Teil wie eine Mischung aus Thelonious Monk und Cecil Taylor. Modern Jazz war Ligeti durchaus vertraut. In Schwetzingen spielt Jean-Frédéric Neuburger mit aller wünschenswerten Vehemenz. Der Name spreche sich auf gut Französisch „Nöbürscheh“, sagt Francois-Xavier Roth. Das ist für ihn entscheidend: dass die Namen richtig ausgesprochen werden. Und die Töne.
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