Interview

Stadt.Wand.Kunst in Mannheim: „Wir haben eine Pole Position“

Seit über zehn Jahren gibt es das Street-Art-Projekt „Stadt.Wand.Kunst“. Die sogenannte Mural Map des Open Urban Art Museum Mannheim umfasst derzeit weit über 40 Werke - ein Gespräch mit Kurator Sören Gerhold

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Neuester Baustein des Open Urban Art Museums „Stadt.Wand.Kunst“: Georgia Hills Mural „Come Close To Me“ in D4, 15. © Alexander Krziwanie / STADT.WAND.KUNST

Mannheim. Seit mehr als zehn Jahren gibt es das Projekt „Stadt.Wand.Kunst“ schon - und es wächst und wächst. Die sogenannte „Mural Map“ des Open Urban Art Museum Mannheim umfasst derzeit weit über 40 Werke teils international renommierter Künstlerinnen und Künstler - etwa Georgie Hill, deren Mural „Come Close To Me“ aktuell in D4, 15 entstanden ist.

Herr Gerhold, Ihre Murals haben sich schon auf 50 vermehrt. Wohin soll das noch führen?

Sören Gerhold: Wir haben mit „Stadt.Wand.Kunst“ mittlerweile eine Art „Pole Position“ in der Street Art Szene in Deutschland und sind auch international sehr gefragt. Das gilt es zu erhalten und auszubauen. Es gibt noch sehr viele Fassaden hier in Mannheim, die gut geeignet sind für Kunst im öffentlichen Raum. Und es passiert immer mal wieder, dass einige Murals verschwinden wegen Abriss oder Sanierung - somit ist die Anzahl der Murals eh eine variable Zahl.

Die Resonanz aus der Stadtbevölkerung ist nach wie vor fantastisch. Wir bekommen viele Anfragen von Privateigentürmer*innen, Firmen, Vereinen et cetera, die sich mehr Kunstwerke in den Stadtteilen außerhalb der Innenstadt wünschen. Deshalb werden sicher noch viele Murals dazukommen. Wohin das führt? Vielleicht wirklich zur „Best Street Art Destination in Europe“.

Sören Gerhold

  • Sören Gerhold wurde 1983 in Speyer geboren. Künstlerisch agierte er zunächst in der Mannheimer Hip-Hop-Szene. Er war auch im Künstlernetzwerk Addictz international aktiv.
  • Schon 2004 begann Gerhold, in der Alten Feuerwache (AFW) im Eventmanagement zu arbeiten und absolvierte dort eine Lehre zum Veranstaltungskaufmann. 2009 übernahm er noch unter Egbert Rühl die stellvertretende Geschäftsleitung des Mannheimer Kulturzentrums.
  • Von 1. Dezember 2012 bis Ende 2022 war Gerhold Geschäftsführer der Alten Feuerwache. Zuletzt half er seinem Nachfolger Christian Handrich (32) beim Einfinden. Das von ihm initiierte Alte-Feuerwachen-Projekt „Stadt.Wand.Kunst“ mit internationaler Street Art kuratiert Gerhold nach wie vor und vernetzt auch Künstler weltweit.

Haben Sie denn noch den Überblick?

Gerhold: Na, klar. Zu allen Kunstwerken könnte ich eine Geschichte erzählen, die besonders in Erinnerung geblieben ist.

Ich fürchte, das würde zu lang dauern …

Gerhold: … das stimmt wahrscheinlich. Viele der Geschichten rund um die Murals haben wir 2021 in einem Buch veröffentlicht. Die Nachfrage war so groß, dass es mittlerweile ausverkauft ist. Wir denken bereits über eine Neuauflage nach.

© Privat

Wohin geht der nächste Vorstoß? Es gibt doch Stadtteile, die überhaupt noch nicht betroffen sind von dem Virus, oder?

Gerhold: Auf der Rheinau beispielsweise sind bislang noch keine Murals entstanden. Dort starten wir in den nächsten Tagen ein besonderes Projekt mit dem Mannheimer Street Art Duo „Sourati“ mit Christina Laube und Mehrdad Zaeri. Die beiden werden dort über einen längeren Zeitraum mehrere Murals malen.

Zaeri ist doch schon Teil des Projekts. Warum jetzt noch mehr. Sie setzen insgesamt doch sehr auf Internationalität, wodurch Mannheim ja auch weltweit, so weit ich sehe, geschätzt wird.

Gerhold: Die Internationalität ist nur ein Teil von „Stadt.Wand.Kunst“. Es geht auch darum, die lokalen Künstler*innen zu fördern und zu zeigen. Das Duo Sourati ist sozusagen ein Eigengewächs. Wir haben ihm zu Beginn erstmalig die Möglichkeit gegeben, auf Wände zu malen. Seitdem hat sich das Duo immer weiter entwickelt und ist extrem gefragt in ganz Deutschland, aber auch im Ausland. Deshalb sind wir sehr froh, dass wir sie überhaupt noch für dieses Projekt gewinnen konnten.

Wissen Sie schon, wie die Rheinauer da reagieren? Überhaupt: Was sagen die Architekten, Stadtbauer und Anwohner, wenn Häuser künstlerisch umgestaltet werden?

Gerhold: Das wissen wir natürlich noch nicht, aber ich denke, gut. Es gab schon im Vorfeld den Wunsch aus Rheinau, dort Murals entstehen zu lassen. Das Quartierbüro, das Quartiermanagement und auch die VR Bank hatten uns unabhängig voneinander angefragt, ob wir nicht ein Mural in Rheinau machen können.

Da erlebt man aus allen Ecken einen großen Enthusiasmus, den wir natürlich teilen. Generell muss man sagen, dass die Reaktionen fast immer großartig sind bei allen Beteiligten.

Jetzt verbinden wir all diese Ideen und haben gleichzeitig tolle Partner und Förderer gewonnen. Die GBG und der Gemeinnützige Verein sind von dem Projekt auch begeistert, das Kulturamt und die Mannheimer Runde unterstützen uns zusätzlich. Da erlebt man aus allen Ecken einen großen Enthusiasmus, den wir natürlich teilen. Generell muss man sagen, dass die Reaktionen fast immer großartig sind bei allen Beteiligten.

Ist Urheberrecht da ein Thema - sowohl seitens der Architekten als auch der Streetart-Künstler?

Gerhold: Seitens der Architekten gab es da noch nie ein Problem. Denkmalschutz ist manchmal ein Thema, aber auch da haben wir immer eine Lösung gefunden. Bei den Street Artists spielt das Urheberrecht eine viel größere Rolle. Oft werden Fotos der Kunstwerke kommerziell genutzt, veröffentlicht, sogar als Drucke und in Büchern verkauft, ohne dass vorher Rücksprache mit den Künstlern gehalten wird.

Es hat sogar mal jemand in Eigenregie ein Stadt-Wand- Kunst-Buch herausgebracht und verkauft, ohne mit uns oder den Künstlern zu sprechen. Nicht böswillig, der fand einfach das Projekt toll… Aber auch das Fan-Sein hat seine Grenzen.

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Das bringt uns direkt zu der Frage: Hat die Street Art Probleme, als vollwertige Kunst anerkannt zu werden?

Gerhold: Nein, definitiv nicht, wenn es um die Kunst an sich geht. Sie ist ein wichtiger Bestandteil aller Großstädte. Wenn es um die Förderung geht, hat sie aber ein Problem. Das hat vielleicht damit zu tun, dass es etwa in Ministerien oder Stiftungen noch wenig Expertise in diesem Genre gibt. Das wird sich hoffentlich mit der Zeit ändern. Leider geben viele Festivals auf, weil es an Förderung fehlt. Andere sind auf Sponsoren angewiesen, die ihre Logos in den Kunstwerken sehen wollen.

Wenn das weiter zunimmt, verliert die Street Art natürlich ihre Kredibilität. Das Team der Alten Feuerwache hat letztes Jahr einen Kongress für internationale Street-Art-Festivals veranstaltet, wo es auch um dieses Problem ging. Die meisten Projekte sind schlecht finanziert, außer in Holland oder nordeuropäischen Ländern. Da wurde schon früh der Mehrwert erkannt und entsprechend öffentlich gefördert. Der finnische Graffiti- und Street-Art-Künstler EGS hatte bereits 2018 eine Solo-Ausstellung in der Kunsthalle Helsinki und ihm wurde eine Briefmarke gewidmet.

Ist es denn am Ende nicht ein Widerspruch: Street Art in einer Kunsthalle?

Gerhold: Viele Street Artists haben ihre Wurzeln im Graffiti, und das war schon Anfang der 80er sehr schnell auch in den angesagten New Yorker Galerien zu finden. Die meisten Künstler*innen, mit denen wir arbeiten, haben ihren Stil und ihre Technik auf der Straße entwickelt, arbeiten aber nicht nur im öffentlichen Raum. Für sie ist es auch interessant, Werke in Form von Skulpturen oder Leinwänden in Galerien zu zeigen.

Bei anderen ist es andersrum, und sie bringen ihre akademische Kunst aus den Kunsthäusern in den öffentlichen Raum. Irgendwo muss aber eben auch Geld verdient werden. Das funktioniert bei vielen nur über den Verkauf von Leinwänden und Drucken und dafür sind Kanäle wie Galerien natürlich wichtig.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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