Mannheim. Ist Xavier Naidoo durch den Ukraine-Krieg aufgewacht? Auf jeden Fall hat der Mannheimer Sänger, in einem am Dienstagabend auf YouTube, Facebook , Instagram und Telegram veröffentlichten Video den Anschein erweckt, als ob er erkannt habe, dass viele der teilweise antisemitisch und fremdenfeindlich eingestuften Verschwörungsfantasien, deretwegen er quasi seine Mainstreampop-Karriere aufgegeben hat, nicht von dieser Welt sind. „Die Welt scheint wie auf den Kopf gestellt. Und ich habe mich gefragt, wie es so weit kommen konnte.“ Hierzu habe er viel mit Betroffenen und Freunden gesprochen „und musste mich auch kritischen Fragen zu Äußerungen von mir in der Vergangenheit stellen“. Das sei für ihn ein Grund gewesen sich kritisch zu hinterfragen: „Mir ist bewusst geworden, wie wichtig es ist, sich selbst zu reflektieren. Ich habe erkannt, auf welchen Irrwegen, ich mich teilweise befunden habe und dass ich in den letzten Jahren viele Fehler gemacht habe.“ Ihm sei bewusst geworden, dass er seine Familie, Freunde, Fans, Menschen, die ihn verteidigt hätten, „mit verstörenden Äußerungen irritiert und provoziert habe, für die ich mich entschuldigen möchte.“

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Ein zentraler Punkt seines Charakters sei die Suche nach Wahrheit. „Hierbei habe ich mich letztlich verrannt. Ich habe mich Theorien, Sichtweisen und teilweise auch Gruppierungen geöffnet, von denen ich mich ohne Wenn und Aber distanziere und lossage, erklärt Naidoo. "Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet und habe sie nicht genug hinterfragt, habe mich zum Teil instrumentalisieren lassen." Er sei bei der Wahrheitssuche "wie in einer Blase" gewesen und habe sich manchmal vom Bezug zur Realität entfernt. „Das habe ich leider jetzt erst erkannt. Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue. Mir ist es deshalb wichtig, zu sagen, dass ich mich von allen Extremen distanziere", betonte der 50-Jährige und spezifizierte: „Insbesondere und vor allem auch von rechten und verschwörerischen Gruppen." Er stehe für Toleranz, Vielfalt und ein friedliches Miteinander. Nationalismus, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus seien mit seinen Werten nicht vereinbar und er verurteile sie aufs Schärfste. Er bitte um Verzeihung, dass er Menschen vor den Kopf gestoßen und verletzt habe, sagte er zum Schluss des 3:14 Minuten langen Videos.
Entschuldigung kam bisher öffentlich nie vor
Das ist insofern neu, als dass Naidoo nach all den Negativschlagzeilen seit seinen Demo-Auftritten vor teilweise rechtsextremem Publikum 2014 in Berlin nur gelegentlich versucht hat, sein Verhalten zu erklären. Dass er Fehler eingesteht und sich entschuldigt, kam bisher – zumindest öffentlich - nie vor. Der Grund für diese Verhaltensänderung scheint ein Realitätsschock zu sein: Er sei bestürzt durch die „brutale russische Invasion in die Ukraine. Die Gewalt, die Menschenverachtung, die Tatsache eines Krieges, der gar nicht so weit von uns entfernt ist, haben mich schockiert und aufgerüttelt.“ Dazu muss man wissen, dass seine Ehefrau aus der Ukraine kommt. Naidoo hat aber schon zu Gerhard Schröders Zeiten als Bundeskanzler von einer deutsch-russischen Achse geschwärmt. Letzteres ist offenbar Vergangenheit: „Auch ich bin öfter in der Ukraine und aus diesem wunderschönen Land musste ich jetzt Familie und Freunde rausholen, weil dort Angst und Schrecken herrschen.“

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Michael Herberger, Naidoos langjähriger Freund, Musik- und Geschäftspartner, zeigte sich im Gespräch mit dieser Redaktion erleicht über diese Wendung: "Auf diesen ,Irrwegen' war auch unsere Zusammenarbeit auf der Strecke geblieben. Da konnte und wollte ich nicht mitgehen. Umso mehr freue ich mich über dieses Statement und alles was diese neue Entwicklung in der Zukunft vorantreibt. Das würde mich für ihn freuen."
Bis zum Mittwochvormittag gab es auf Facebook rund 17000 Kommentare. Das Spektrum der Reaktionen reicht von Respektbekundungen über Enttäuschung bis zu misstrauischen Fragen, ob die Aussagen kommerziell motiviert sein könnten. Extremismusforscher Josef Holnburger, der den lange unter Naidoos Namen geführten Telegram-Kanal systematisch analysiert, zeigte sich auf Nachfrage dieser Redaktion in der Nacht zum Mittwoch spontan erstaunt über Naidoos Aussagen. Er hoffe aber, "dass da noch mehr kommt als die Distanzierung von unbenannten Gruppen. Das wird die Szene trotzdem aufwühlen."
Der Weg von „Rock gegen rechte Gewalt“ zum „Compact“-Titel
- Skurrile Äußerungen („Mannheim ist das neue Jerusalem“) kamen von Xavier Naidoo seit seinem Durchbruch 1997/98 regelmäßig.
- Während er 2001 noch an der Seite Udo Lindenbergs mit der „Rock gegen rechte Gewalt“-Tournee durch Ostdeutschland reiste und den Refrain des antirassistischen Brothers-Keepers-Hits „Adriano (Letzte Warnung)“ sang, mehren sich seit 2009 problematische Liedzeilen und Äußerungen.
- Am Tag der Deutschen Einheit 2014 sprach er in Berlin bei Demonstrationen u.a. von Reichsbürgern und anderen staats- und demokratiefeindlichen Personen.
- Hinter der Bühne knüpfte Naidoo Kontakte u.a. zu Jürgen Elsässer, Chefredakteur des vom Verfassungsschutz 2021 als gesichert rechtsextrem eingestuften Magazins „Compact“. Auf dessen Titelseite landete der Mannheimer erstmals 2017. Im selben Jahr sorgte der politikerfeindliche Söhne-Mannheims-Song „Marionetten“ bundesweit für Empörung.
- 2020 nahm RTL Naidoo aus der Jury der Sendung „Deutschland sucht den Superstar“. Zuvor war ein Naidoo-Video veröffentlicht worden, das überwiegend rassistisch verstanden wurde. Nach einem gescheiterten Rechtfertigungsversuch beendete Naidoo seine Mainstream-Popkarriere und verstörte im Verlauf der Pandemie durch verschwörerische Videos und Lieder.
Viele Reaktionen in den sozialen Medien unterstreichen das. Dem Politikwissenschaftler Holnburger, der beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) in sozialen Netzwerken Radikalisierung und die Verbreitung von Verschwörungserzählungen erforscht, reicht Naidoos Stellungnahme nicht aus : "Wenn er sich jetzt tatsächlich distanzieren will, braucht es mehr als ein vages Distanzieren von unbenannten Gruppen und Sichtweisen." Es brauche eine möglicherweise juristische Konfrontation und Aufarbeitung. "Der von ihm verbreitete Antisemitismus ist nicht mit einem Videostatement weg." Naidoo sage, dass er sich "zum Teil instrumentalisieren" lassen habe. "Aber er hat selbst rechtsterroristische Kanäle auf Telegram verbreitet. Er hat selbst auch die antisemitischen "Protokolle der Weisen von Zion" dort hochgeladen. Mit seinem Account", insistiert der Cemas-Geschäftsführer. Der Antisemitismus werde damit immer wieder zum Problem der anderen: "Andere haben ihn instrumentalisiert. Wer die anderen sind, sagt er aber auch nicht: Er distanziert sich aufs schärfste von Gruppen. Sagt aber nicht, welche", twitterte Holnburger am Mittwoch.
Ebenfalls auf Twitter bilanzierte der Publizist Max Czollek twitterte: "Am Ende ist es mir egal, ob #XavierNaidoo durch Geldmangel, öffentlichen Druck oder echte Einsicht zur Erkenntnis gekommen ist, dass sein menschenverachtendes Verschwörungszeug Unsinn ist. Die Szene hat ihre prominenteste Stimme verloren. Und das ist ein Grund zum Feiern."

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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Xavier Naidoos Kehrtwende sendet ein wertvolles Signal in die Gesellschaft