Mannheim. Herr Elia, Sie haben Ihr Werk „Philia“, was so furios anfängt wie ein Orkan, für die EYOA erleichtert und gekürzt. Können die begabtesten jungen Musikerinnen und Musiker Europas nicht das Original spielen?
Marios Joannou Elia: Jede Musik spiegelt seine zeitlichen und kulturellen Kontexte wider, was seinem Fundament, Inhalt und Ästhetik einen unvergleichlichen Wert verleiht. „Philia - Ode zur Freundschaft“ wurde im Kontext der Europawahl 2024 und als Hommage an die 200-jährige Premiere von Beethovens „Neunter“ komponiert. Ursprünglich wollte ich eine Besetzung mit vier Gesangssolisten, gemischtem Chor und großem Orchester. Es wurde schnell klar, dass das parallel zu den Proben mit Beethovens Werk für die Beteiligten nicht leistbar war. Deshalb habe ich das Werk auf ein 20-minütiges Konzert für Sopran und großes Orchester reduziert. Die European Youth Orchestra Academy wird das Werk in neuem Licht präsentieren.
Sie komponierten ursprünglich ja auch für Straßburg …
Elia: Ja, der Plenarsaal des Europäischen Parlaments war vorgesehen. Der wird aber renoviert, und das große Foyer ist aus Sicherheits- und technischen Gründen auch nicht möglich. Deswegen spielen wir jetzt in Mannheim, dem Sitz der EYOA.
Elia: Der Komponist und das Konzert
- Der Komponist: Marios Joannou Elia, 1978 in Pafos, Zypern, geboren, ist ein Komponist, der sich auf Monumentales spezialisiert hat. So etwa ist er Schöpfer der Open-Air-Multimedia-Symphonie „Autosymponic“ in Mannheim, 2011. Für sein Werk hat Elia Auszeichnungen erhalten wie den Musikpreis der Akademie von Athen oder den „Goldene Apfel“ für das beste Kulturevent in Deutschland. Der Komponist Elia, der in Salzburg und Wien studierte, ist ebenfalls Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.
- Das Europa Konzert: 1. Juni, 20 Uhr, Rosengarten (Mozartsaal) mit der EYOA, dem NTM-Extra-Chor, Estelle Kruger, Jelena Kordic, Christopher Diffey, Thomas Jesatko, Rebecca Blanz, Alistair Lilley (Chor), Jan-Paul Reinke (Dirigent).
- Das Programm: Beethovens Neunte, Eislers „Gegen den Krieg“, Elias „Philia - Ode to friendship“.
- Tickets: Vorverkauf ab 1. März. Mannheimer Morgen Ticketshop (10 Prozent Ermäßigung für Morgencard Inhaber), www.eventim.de und Telefon: 0621/3 36 73 33.
Das Werk beginnt mit vier rhythmischen instrumentalen Tönen, die eine Anspielung auf die vier Silben E-U-RO-PA darstellen - auf Gis. Warum ein Gis?
Elia: Dieses monophone und homorhythmische Motiv kann als einigendes Signal interpretiert werden. Das wird jetzt ganz schön theoretisch: Betrachtet man Gis als Grundton von Gis-Dur, so hat es ungebräuchlich acht Vorzeichen, weshalb man gemeinhin lieber As-Dur nimmt. Diese Konstellation verweist auf das Motto der Europäischen Union „In Vielfalt geeint“. Die Vielfalt wird aber auch in den kontrastierend komplexen, polyrhythmischen und polyphonen Strukturen widergespiegelt. Auch der Text ist mehrsprachig - und die Musik sowieso. „Philia“ bildet zusammen mit „Gaia“ übrigens ein Diptychon. „Gaia“ haben wir bei der Buga 23 uraufgeführt. Hier geht es mit dem Des, das auch ein Cis ist, um den Schlüsselton der Erde.
Die Erde hat einen Schlüsselton?
Elia: Ja, Hans Cousto (Autor von „Die Kosmische Oktave“, d. Red.) nutzte Mathematik, Astronomie und Musik, um ein grundlegendes Maßsystem zu finden, mit dem es möglich ist, die Bewegungen der Planeten in Klänge umzuwandeln. Gemäß seinen Berechnungen entspricht die Frequenz eines Erdjahres 136,1 Hertz. In unserem Tonsystem entspricht die Frequenz einem Cis.
Und Sie glauben, die Leute nehmen das unbewusst wahr?
Elia: Die Kompositionsästhetik ist ein methodologischer Rahmen für den Schaffensprozess. Sie betont die Relevanz des gestalterischen Verfahrens. Im Gegensatz dazu fokussiert die Rezeptionsästhetik die facettenreiche Wahrnehmung und Interpretation seitens des Hörers.
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Und wie sieht die für Sie aus?
Elia: Die Rezeption von Musik ist ein dynamischer Prozess. Der Hörer konstruiert im interaktiven Dialog mit dem Werk sein Verständnis fortwährend. Während das Werk an sich unverändert ist, unterliegt die Wahrnehmung des Hörers einem zeitlichen Prozess der Variation. Infolgedessen besteht die Möglichkeit, dass Hörerinnen und Hörer unbewusst spezifische Aspekte der Musik registrieren, die durch subjektive Interpretation und kulturelle Prägung geformt sind.
Das war jetzt ein Ja, oder?
Elia: Bei einer Uraufführung erwarte ich nicht, dass Menschen das unbewusst wahrnehmen.
Okay. Was ist Ihre Intention? Was wollen Sie mit Ihrer Musik bei den Menschen erreichen?
Elia: In den letzten Jahren haben mich thematische Schwerpunkte beschäftigt, die sich um Frieden, Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit sowie die Achtung der Menschenrechte drehen - wie etwa die Sinfonie „Liberty“ und die beiden Oratorien „Weeping Madonnas“ und „The bells will ring again“.
Gehört „Philia“ in diese Reihe?
Elia: Ja, „Philia“ überwindet sprachliche Grenzen, um das universelle Thema der Freundschaft zu feiern. Die Komposition verwebt Texte und Gedichte in verschiedenen Sprachen und aus unterschiedlichen Epochen zu einem zusammenhängenden Geflecht kultureller Vielfalt. Die Einbeziehung des Wortes „Freunde“ in einer Vielzahl europäischer Sprachen und sogar Sprachen aus Regionen, die derzeit im Konflikt stehen, fügt eine tiefgreifende Bedeutungsebene hinzu.
Können Sie ein Beispiel geben?
Elia: Die Zeile „Freunde, verschiedene Zungen senden dieselbe Botschaft“ (friends, different tongues, the same message sends) unterstreicht die Tatsache, dass Freundschaft, ähnlich wie Musik, keine sprachlichen Barrieren kennt. Sie dient als Erinnerung daran, dass trotz Unterschieden in Sprache und kulturellem Hintergrund die Essenz der Freundschaft eine gemeinsame und vereinende Kraft bleibt und lobt die inhärente Bedeutung, die sie für die Menschheit hat.
Das sind ganz schön hohe Ansprüche an Musik und Kunst…
Elia: Stimmt, Kunst und Musik mit derart hohen Ansprüchen ist eine Herausforderung. Doch das transzendiert die rein ästhetische Dimension und führt zu einer tief sitzenden Verantwortung für unser Dasein - und umgekehrt. Es entsteht eine humanistische Notwendigkeit, eine moralische Pflicht, sich mit zeitlosen und aktuellen Themen auseinanderzusetzen.
Also Kunst als Spiegelbild der Realität, die sagt: Sieh mich an?
Elia: Sie dient nicht nur als Spiegelbild, sondern auch als kritische Stimme, die zum Nachdenken und Handeln anregt. In einer Welt, geprägt von Konflikten, Ungerechtigkeit und Spaltung, bieten Kunst und Musik einen Raum für Reflexion, Hoffnung und Inspiration. Diese Verbindung ist für mich eng mit dem Anlass der Realisation des Werks verbunden, wie etwa der „Liberty“-Sinfonie im Jahr 2021, die die 200 Jahre seit dem Beginn der Revolution im Jahr 1821 feierte und somit 200 Jahre Freiheit und Unabhängigkeit für den griechischen Staat würdigte.
Was wünschen Sie sich für die Europawahl?
Elia: Der erste Satz der Sopranistin in „Philia“ ist Victor Hugos „Wisst Ihr, was Freundschaft ist?“ aus seinem Roman „Notre-Dame de Paris“. Im Jahr 1849, ein Vierteljahrhundert nach der Uraufführung von Beethovens „Neunter“, hielt Hugo eine Rede, in der er seine Vision für die „Vereinigten Staaten von Europa“ skizzierte. Als Präsident des Pariser Friedenskongresses betrat er die Bühne und entwarf ein ehrgeiziges Bild von Frieden, Demokratie und Einheit in Vielfalt. Die Werte Europas umfassen grundlegende Prinzipien wie Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Toleranz und Solidarität. Diese Werte bilden das Fundament der Europäischen Union und sind in den Verträgen verankert. Sie repräsentieren die gemeinsamen Überzeugungen und Ziele der europäischen Staaten und ihrer Bürgerinnen und Bürger und dienen als Leitfaden für politische Entscheidungen und Handlungen auf europäischer Ebene. Ich wünsche mir, dass die Anwendung dieser Prinzipien ausnahmslos für alle Bürgerinnen und Bürger als Ergebnis der Europawahl gilt.
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