Geburtstag

Weinheimer Autorin Ingrid Noll wird 90 Jahre alt

Warum sie schreibt und welche Themen ihr am Herzen liegen: Die Weinheimer Erfolgsautorin spricht über sich sowie ihre Bücher und blickt auf ihren Ehrentag.

Von 
Thomas Groß
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Bücher sagen viel über ihre Schöpfer aus: Ingrid Noll hat Sinn für hintergründigen Humor und verfügt über reichlich Lebenserfahrung. © Uwe Anspach/dpa

Weinheim. Älter wird man jeden Tag. Ingrid Noll macht deshalb nicht viel Aufhebens von ihrem 90. Geburtstag am 29. September. Der markante Zeitpunkt sei ja nicht urplötzlich da gewesen, sagt sie im Gespräch. Dennoch wird die Schriftstellerin ihren Ehrentag gebührend feiern, mit der Familie, Freunden, Kolleginnen und Kollegen in ihrer Heimatstadt Weinheim.

Ingrid Noll räumt ein, dass sie das hohe Alter zu spüren bekommt. Das Gehör ist schlecht geworden, die Augen ebenfalls, was das Lesen schwierig macht. Auch das Gehen ist beschwerlich, wie ihr kürzlich ein Sturz schmerzhaft bestätigt hat. Augenzwinkernd spricht sie von „Materialermüdung“ und macht so klar, dass ihr Humor noch gut intakt ist. Eine „Schreibtischtäterin“ nennt sie sich; sie sitzt viel da, notiert und formuliert. „Wer schreibt, der bleibt“, merkt Ingrid Noll an, denn eine Schriftstellerin hält sich durch anhaltende Veröffentlichungen im Gedächtnis des Publikums.

Ihre schriftstellerische Vitalität ist ungebrochen

Demselben Zweck dienen öffentliche Lesungen, wovon aktuell einige anstehen – Lesungen aus dem jüngsten Roman „Nachteule“, den sich Ingrid Noll sozusagen selbst zum Geburtstag geschenkt hat. Das Buch erschien nur anderthalb Jahre nach dem Roman „Gruß aus der Küche“. Man wird also kaum sagen können, dass die Produktivität der Autorin abnehme. Der neue Roman umfasst alles, wofür Ingrid Noll seit ihren Anfängen mit Erfolgsbüchern wie „Der Hahn ist tot“ (1991) oder „Die Apothekerin“ (1994) steht: eine unkonventionelle Geschichte über eine ungewöhnliche weibliche Hauptfigur, Unterhaltsamkeit mit kriminalistischen Elementen, Lebensweisheit, Ironie und Humor. In schriftstellerischer Hinsicht ist die Vitalität der Ingrid Noll also ungebrochen. Und eine Idee für ein neues Buch hat sie auch schon, wie sie erzählt.

Erfolgsautorin Ingrid Noll

  • Ingrid Noll wurde am 29. September 1935 in Shanghai geboren und lebt seit langem in Weinheim . Nachdem ihre drei Kinder das Haus verlassen hatten, begann sie, Krimis zu schreiben, die zu Bestsellern wurden und häufig in der Rhein-Neckar-Region spielen, angefangen mit „Der Hahn ist tot“.
  • Einige ihrer Romane wurden auch verfilmt , so zum Beispiel „Die Apothekerin“ mit Katja Riemann in der Titelrolle oder „Kalt ist der Abendhauch“ (mit Fritzi Haberland und August Diehl).
  • 2019 ernannte die Mannheimer Polizei sie zur Ehrenkriminalhauptkommissarin. Seit 2021 gibt es in Weinheim den Ingrid-Noll-Weg mit 13 Stationen in der Innenstadt.
  • Nolls jüngstes Buch erschien Ende August („Nachteule“ . Diogenes Verlag. 303 Seiten, 26 Euro). tog

Dass sich der jüngste Roman so frisch und flüssig liest, hat wohl auch damit zu tun, dass sich die Autorin in ihrer Hauptfigur Luisa wiederfinden konnte. Noll war selbst 15 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus China nach Deutschland übersiedelte, und sie fühlte sich, ebenso wie Luisa, als Außenseiterin in der Gesellschaft ihrer Mitschülerinnen. „Ich war ein Alien, ein Fremdkörper“, sagt sie. Was bei den anderen gerade angesagt und modisch war, verstand sie nicht. Aber wie Luisa Müller ließ sich auch die junge Ingrid nicht unterkriegen. Und so erzählt der Roman „Nachteule“ wie viele andere Bücher der Autorin eine Geschichte, die Mut machen soll – und die bestätigt, dass menschliches Leben durch die Unterschiedlichkeit der Personen erst wirklich interessant wird und Toleranz unabdingbar bleibt.

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Ihre „Aversion gegen Selbstgerechtigkeit“ bestätigt auch das neue Buch. Sie wolle zeigen, dass man „nicht vorschnell urteilen“ soll, und möchte das Verständnis für menschliche Unzulänglichkeiten befördern. Denn, so sagt sie, wer sich im Leben leichttut, der hat oft einfach nur Glück gehabt.

Ingrid Noll bereitet das Schreiben noch immer viel Freude. Durch die Routine fällt es ihr heute oft sogar leichter. Überhaupt sei eine Beschäftigung, die Spaß macht, in vieler Hinsicht eine Hilfe, nicht zuletzt in schwierigen Lebenssituationen. Und so half ihr das Schreiben auch dabei, den Tod ihres Mannes zu verarbeiten und sich in der neuen Lebenssituation zurechtzufinden.

Erfolg ist eine „schöne Bestätigung“

Der Erfolg war ihr nie sehr wichtig; er kam auch überraschend für die freundliche, sympathische Frau, die erst mit Mitte 50 anfing, stetig zu schreiben, als ihre Kinder schon groß waren und der eigene Freiraum wieder zugenommen hatte. Der Erfolg bedeutete aber eine „schöne Bestätigung“, wie sie sagt. Dasselbe gilt für positive Kritiken. Und dass die erste Lesung aus dem neuen Buch in Schwetzingen mit 160 Gästen gut besucht war, freut sie. Sie habe noch „Fans“, sagt sie, meistens Frauen und überwiegend „nicht mehr blutjung“.

Worauf kam es ihr früher an in ihren Büchern, und hat sich das im Lauf der Jahre verändert? Obwohl ihre Romane zumeist als Krimis etikettiert werden, seien für sie die unnatürlichen Todesfälle darin nie die Hauptsache gewesen. Es ging ihr immer um die Hauptpersonen, zumeist Frauen, bei denen „viel im Argen liegt“, wie sie sagt. Sie schlüpfe dann wie eine Schauspielerin in die jeweilige Kunstfigur. Was sie schreibt, bezeugt immer auch die große Lebenserfahrung der Ingrid Noll. Das Übrige ist Ausdruck ihrer Fantasie.

Noll: Bücher fördern die Konzentration

Ingrid Noll ist beim Lesepublikum längst nicht abgemeldet. Aber dass insgesamt die Reichweite der Literatur abnimmt und besonders junge Menschen nicht mehr so oft zum Buch greifen, wie sie auch durch ihre Enkel erfährt, das bedauert sie. Noll möchte jedoch nicht in den Chor der Kulturpessimisten einstimmen. „Es gibt immer Veränderungen“, sagt sie, und das gilt eben auch für den Umgang mit Medien.

Die Vorzüge des Lesens wusste die Autorin immer zu schätzen und bringt sie noch immer gerne auf den Punkt: Es sei einfach schön, sich in ein Buch zu versenken; es helfe dabei, sich zu sammeln und fördere die Konzentration. Dazu möchte sie weiter beitragen. Nachfragen zum neuen Projekt wehrt sie allerdings ab. Spannung und Erwartung müssen sich allmählich aufbauen; auch das ist schließlich etwas, das einen das Schreiben und die Literatur lehrt.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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