Die Zerbrechlichkeit des Zauberstoffes Glas macht einen Teil der Faszination aus, die von diesem Werkstoff ausgeht. Aus den ganz irdischen und ebenso spröden Materialien wie Quarzsand, Kalk und Soda mit viel Aufwand und Fachwissen etwas Flüssiges, Geschmeidiges und dann wieder Hartes zu machen, das transparent bleibt, ist hohe Kunst – und Zeugnis der Menschheitsgeschichte und ihrer in dieser nach und nach erworbenen Kunstfertigkeiten.
Glas wohnt eine Sinnlichkeit inne, es spielt mit der Natur und ihren Aggregatszustände, lässt Licht und Farbe Skulptur werden. Wer diese Faszination nachvollziehen will, ist nun in das Museum Peter & Traudel Engelhornhaus der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen (rem) eingeladen. Ein Ort den Glas-Sammlerin Traudel Engelhorn ihrer Vaterstadt großzügig vermachte, ohne nur ein einziges Dauerexponat dafür bereitzustellen. Ihre Sammlung bleibt weiterhin im Kantonalmuseum für Design und angewandte Kunst der Gegenwart im schweizerischen Lausanne. Immerhin zur Eröffnungsausstellung des Hauses „Herzklopfen“ waren hochkarätige Teile daraus in Mannheim zu sehen.
Den Ort gibt es nun. Wie gut, dass Kuratorin Eva-Maria Günther Ideen dafür hat. Ein Sammler aus der Region, der nicht namentlich genannt werden möchte, hat sich bereiterklärt, dem Haus Teile seiner Sammlung für die beginnende Schau leihweise zur Verfügung zu stellen.
Peter & Traudl Engelhornhaus in Mannheim: Blüten, Gräser und Disteln
Dass der scheue Mann Geschmack, Ahnung und ein Gespür für die besonderen Stimmungen des Jugendstils hat, beweist jedes einzelne der über 80 Exponate. „Streifzüge durch die Natur – Gläserne Kostbarkeiten aus dem Jugendstil“ heißt die bis 30. Juni 2024 dauernde Schau. Der Titel ist gut gewählt und buchstäblich Programm für die Anordnung der luziden Kostbarkeiten. Die 400 Quadratmeter Ausstellungsfläche sind sinnig in kleine Spaziergänge geordnet, von denen vier durch ländliche Natur und zwei an das Wasser führen. Schon das ist bereits eine Annäherung an das Konzept Jugendstil, das nach Zeiten gründerzeitlich-historistischer Dekorationswut mit industriell gefertigten Zierelementen um 1900 europaweit zurück zu Natur wollte.
Zur Ausstellung
- Die Sonderausstellung „ Streifzüge durch die Natur – Gläserne Kostbarkeiten aus dem Jugendstil“ ist von 5. November bis 30. Juni 2024 im Museum Peter & Traudel Engelhornhaus der Reiß-Engelhorn-Museen in C 4, 12 in Mannheim zu sehen.
- Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von, 11 bis 18 Uhr. Vorbestellte Führungen sind auch montags möglich. Eintritt: 3,50 - 6 Euro.
- Die über 80 hochkarätigen Exponate auf 400 qm sind Leihgaben eines Privatsammlers, der nicht namentlich genannte werden möchte.
Wir kennen sie, die floralen Motive um die Jahrhundertwende: sich windende Ranken, Gräser und Blüten, üppig wehende Haarsträhnen, irisierende Schmetterlinge, Pfauen und Libellen. Für die Glaskunst ist diese Epoche von besonderem Reiz: Zum einen brachten die Weltausstellungen jener Zeit Künstler in Kontakt mit Naturdarstellungen anderer Kulturen, zum anderen hatte die Industrialisierung neue Techniken und Verfahren mit sich gebracht, die sich nun einsetzen ließen. Als Pioniere und gleichwohl Meister ihres Fachen können Emile Gallé und die Gebrüder Daum gelten, die in ihren Werkstätten der Lothringer „Ecole de Nancy“ ihre unverkennbaren Kunstwerke schufen, die nun auch zahlreich in Mannheim zu sehen sind.
Beginnen wir mit „Frühlingserwachen“: Henri Bergés Entwurf für Daum Frères lässt in „Marqueterie de verre“-Technik, einem aufwendigen Intarsien-Verfahren, einen zarten Krokus in frühmorgendlicher Lichtstimmung aus einer erdigen Zwiebel sprießen. Aus in der Mittagshitze dampfenden Ranunkeln erhebt sich auf der Vase „Libellules et renoncules“ (1904) eine zartgrün schillernde Libelle. Die Sommersonne untergehen werden wir später beim Parkspaziergang in Emile Gallés Vase „Glycines“ sehen. Golden senkt sich die Abendstimmung durch die violetten Blütenkaskaden.
Der Jugendstil liebt diese Zwischenwelt. Sie birgt Geheimnisse, in denen Wahrnehmung und Empfindungen uneindeutig vielseitig werden: Blaue Stunde, Morgengrauen, Abendrot und Herbstnebel. Auch symbolistische Pflanzenbotschaften sind den Glaskünstlern der Epoche nicht fremd: Glück und Glas, wie leicht bricht das. Vanitas-Motivik, wohin man blickt. Lieben Sie Brahms? „Alle Herrlichkeit des Menschen ist wie des Grases Blumen ...“ – hier verblüht eine Wildrose, dort spreizt sich eine morgendlich erblühte Trichterwinde in fragiler Schönheit ihrem abendlichen Ende entgegen. Hinzu kommt eine quasidemokratische Aufwertung „einfacher“ Gewächse, gar Unkraut wie Löwenzahn, Misteln und Disteln macht der Jugendstil zu stolzen Kunstwerken. Dazwischen begegnen uns undurchsichtige Eidechsen oder an Fluss und Meer auch Krebse und Krabben aus „Pâte de Verre“ („Glasteig“). Japanisch anmutende Fische steigen auf einer eisigen Vase der Gebrüder Muller (Lunéville) in die Tiefe.
Peter & Traudl Engelhornhaus in Mannheim: Exponate erzählen Geschichten
All diese Motive sind stark und bunt und bieten dem Betrachter viel. Eva-Maria Günther, die die Ausstellung kuratierte, hat die richtige Entscheidung getroffen, die exquisiten Exponate der strengen Kühle des Raumes zu überlassen, wo sie in schlichten Glaskuben leuchtend ihre Geschichten erzählen. Mit Witz und Charme hat sie dezent hier und da ein kleines Insekt eines Glaskünstlers aus Lauscha, ein Herbstblatt oder eine Muschelschale drapiert, die den Perlmuttglanz des Objekts unterstreichen.
Es stimmt: Glück und Glas sind sehr zerbrechlich. Wie der Mensch und auch die Natur. Manchmal bringt aber auch das Glas selbst das Glück und nicht erst seine Scherben. Überzeugen Sie sich selbst ...
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