Eigentlich hatte Salman Rushdie andere Pläne. Über ein geheimnisvolles College wollte er seinen nächsten Roman schreiben. Dann aber tat er, was ihm sein Agent Andrew Wylie prophezeit hatte: Er schrieb ein Buch, das er lieber nicht hätte schreiben wollen. Er schrieb es, weil unglaubliche Ereignisse sein Leben in eine andere Richtung lenkten.
Das Buch können wir nun lesen. Und wieder wird Rushdie darin erklären müssen, wie äußere Ereignisse die Lektüre seiner Bücher nicht nur überdecken, sondern dominieren. So war das 1988 nach dem Erscheinen von „Die satanischen Verse“, als der Ajatollah Chomeini einen Mordaufruf erließ, und so ist das dreiunddreißigeinhalb Jahre später erneut, weil ein verblendeter 24-Jähriger das am 12. August 2022 in die Tat umsetzte. Dazu wird Salman Rushdie nicht wie in seiner Autobiografie „Joseph Anton“ in die distanzierte Er-Perspektive ausweichen, hier geht es ganz unmittelbar um ein Ich, das seine neue Position im Leben finden muss.
Die das Unglaubliche beschreibenden Wörter siegen in Salman Rushdies "Knife"
„Knife“ erschien am 16. April zeitgleich in etwa 15 Ländern. Die deutsche Übersetzung von Bernhard Robben ist exzellent. Man staunt, ist verstört, empört und immer mehr fasziniert, wie einer der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit das ihm Widerfahrene mit den ihm gemäßen Mitteln einkreist, bändigt und für sich produktiv macht, indem er vorführt, wie die das Unglaubliche beschreibenden Worte, die einzigen Sieger bleiben.
75 war Salman Rushdie, frisch verliebt und zufrieden mit seinem Leben. Sein 22. Buch war kurz vor dem Erscheinen, die Kritiker würden sich bald sehr lobend äußern zu „Victory City“. Er würde wie stets unterwegs sein, um etwas zu tun für sein neues Werk, vielleicht mit Eliza an seiner Seite, die er vor einem knappen Jahr geheiratet hatte. Doch dann passierten diese 27 Sekunden, in denen ein maskierter Attentäter fünfzehn Mal zustach im Amphitheater von Chautauqua vor fast viertausend Menschen.
Salman Rushdie hat die Kraft, dieses Attentat zu beschreiben, und die Finesse, darüber nachzudenken, wie man nach so einem Erlebnis weiterleben kann. Er übt nicht Rache und resümiert auch nicht verängstigt, was passierte. Vielmehr macht er sich mit Worten zu eigen, was geschehen ist, um es annehmen zu können. „Auf Gewalt wollte ich mit Kunst antworten.“
Salman Rushdies „Knife“ strotzt vor unglaublicher Überzeugungskraft
Privatestes zu offenbaren, um einen Abschluss mit dem Furchtbaren zu finden, wieder seine Arbeit zu machen, um zu demonstrieren, wie Worte über die Brutalität siegen können, und dabei eben nicht mit der von Twitter zugestandenen Buchstabenmenge auszukommen, das ist von unglaublicher Überzeugungskraft.
Salman Rushdie lässt seine Gedanken geordnet oszillieren, blendet autobiografisch zurück, fügt dem Attentat vergleichbare Fälle zu, kann immer wieder sogar Humor entwickeln, etwa wenn er davon abrät, sich einen Katheter in die Geschlechtsorgane einführen zu lassen. Dieses Buch erzählt vom Weitermachen und macht Mut. Es handelt von der Liebe und wie sie hilft, die zweite Chance im Leben zu nutzen. Das ergibt viel mehr als einfach nur noch ein Buch.
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