Von Christian Huther
Nur Erna Pinner versuchte in London an frühere Erfolge anzuknüpfen, nachdem sie 1935 aus Nazi-Deutschland geflüchtet war. Und so ist Pinner heute zumindest Insidern noch geläufig, während Ruth Cahn, Rosy Lilienfeld und Amalie Seckbach vergessen sind. Was sie vereint: Die vier jüdischen Frauen hatten ihre Karrieren im Frankfurt der 1920er Jahre begonnen mit seiner damals „sehr lebendigen und international vernetzten Kunstszene“, so Mirjam Wenzel, die Direktorin des Jüdischen Museums in Frankfurt.
Dort werden nun Leben und Werk der vier Künstlerinnen vorgestellt – erstmals stehen jetzt nur Frauen im Zentrum einer Schau des 1988 eröffneten Museums. 14 Jahre dauerte es, bis Eva Atlan, die Kuratorin und stellvertretende Direktorin, für die Schau genug Werke bei Privatsammlern aufgestöbert oder nach und nach selbst erworben hatte. Nun stammen 210 der 280 ausgestellten Bilder, Grafiken, Skulpturen und Miniaturen aus Eigenbestand.
Weshalb aber gerade diese vier Frauen? Sie prägten maßgeblich die damalige Frankfurter Kunstszene, wie eine jüdische Zeitung 1935 herausfand. Nachdem Eva Atlan in der Museumssammlung auf Rosy Lilienfelds Skizzen gestoßen war, entdeckte sie später auch den Artikel über das Quartett und machte ihn zum Ausgangspunkt der Ausstellung. „Zurück ins Licht“ heißt sie zu Recht, da sie die erstklassigen Werke der Frauen wieder sichtbar macht.
Drei Karrieren endeten während der Nazizeit: Ruth Cahn gab das Malen im chilenischen Exil für immer auf, Rosy Lilienfeld und Amalie Seckbach indes wurden in Konzentrationslagern ermordet. Ihre bewegenden Biografien spiegeln sich auch in der Ausstellung. Am leichtesten zugänglich ist das Werk von Erna Pinner (1890-1987), die mit dem Schriftsteller Kasimir Edschmid von 1916 an rastlos durch die Welt reiste. Sie schrieb Reisebücher, zeichnete aber auch viel. Besonders Tiere hatten es ihr angetan, die sie schon im Frankfurter Zoo mit leichten, durchbrochenen Linien skizzierte. Auf Reisen zeichnete und aquarellierte Pinner auch Frauen und Kinder. Und die zwei Wasserskifahrerinnen am venezianischen Lido haben sie vor 1931 fasziniert – oder geärgert, denn die erhaltene Vorzeichnung für das Buch „Ich reise durch die Welt“ (1931) ist mehr Karikatur als Porträt.
Die „wichtigste Entdeckung der Schau“, so Atlan, ist jedoch Rosy Lilienfeld (1896-1942). Die Expressionistin war von 1920 bis 1936 wegen Depressionen immer wieder in Behandlung, die sie in ihren Schwarz-Weiß-Zeichnungen thematisierte. Daneben schildern Tuschblätter sehr bedrückende Episoden wie einen nächtlichen Traum oder ein Spukbild mit Erhängter – der prägende Einfluss von Max Beckmann ist deutlich zu spüren.
Amalie Seckbach (1870-1944) wiederum kam erst mit 52 Jahren zur Kunst. Nach dem Tod ihres Mannes sammelte sie alte ostasiatische Drucke, von 1929 an formte die Autodidaktin sehr eigene Porträtköpfe und Masken. Die begeisterten James Ensor so sehr, dass er seine Bilder mit ihren Werken ausstellte. Geradezu erschütternd sind aber ihre in Theresienstadt seit 1942 entstandenen Zeichnungen. Denn Seckbach flüchtete sich als 72-Jährige in die Fantasie mit schönen Frauen und blühenden Blumen. „Die Heilige von Theresienstadt“ zeigt ihre Freundin Trude Groag, die sie dort bis zum Tod im August 1944 pflegte.
Schließlich Ruth Cahn (1875-1966), die bei Pariser Fauvisten studiert hatte und immer aus der Farbe heraus malte. Sie beschäftigte sich ebenfalls vornehmlich mit der Natur und mit Frauen. Auch bei Cahn dürfte sich jeder Betrachter fragen, wie ihre weitere Karriere ohne Nazis verlaufen wäre. Sicherlich hätten sich Künstlerinnen viel früher durchgesetzt, nicht nur in Frankfurt.
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