Nationaltheater Mannheim

Nationaltheater Mannheim: Kommt der Gott im gelben Ferrari?

Mit der Strauss-Oper „Ariadne auf Naxos“ versucht Regisseurin Yona Kim für das Nationaltheater Mannheim eine actionreiche und leichte Version der schwierigen Oper auf die Bühne zu bringen - mit Teilerfolgen

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Schräge Typen hinter und auf der Bühne: Zerbinetta (Amelia Scicolone) und der „Tenor“ (Andreas Hermann). © Christian Kleiner

Immerhin: Von oben, also vom Himmel, und vom Ende, also von hinten, betrachtet war die Sache nicht ganz umsonst. Die lüsterne Liebe siegt, die guten Götter triumphieren. Allein die Regieanweisungen deuten es an: Er küsst sie. (Sie) entwindet sich ihm. Noch bang wie ein furchtsames Kind. Und dann, wie aus dem Paradies kommend, klingt plötzlich dieses helle C-Dur - und Ariadne, hochtoupiertes Haar und ganz in Weiß, die ja eigentlich auf den Tod wartet, singt im wüsten Naxos-Sand vom Seligsten (was sich nun bitte jede und jeder selbst ausmalen muss), jedenfalls ist sie überrascht, dass sie mit dem kecken Kuss des Rauschgottes mit dem Rauschebart (Bacchus) nicht schon über den Styx ins Totenreich geschippert ist. Sie fragt: „Gibt es kein Hinüber? Sind wir schon da?“ So sinniert sie weiter, bis sie bemerkt, dass sich ihr die Glieder „in göttlicher Lust“ regen. Schöne Umschreibung.

Und ein klarer Fall von Verwechslung. Ariadne wähnt sich in den Armen von Todesbote Hermes. Der aber ist in dieser Inszenierung ganz einfach nur ein uniformierter Mitarbeiter des großen Konkurrenten von DHL, ein Paketbote, der immer größere Kartons mit immer mehr Partituren von Mozart, Weber, Wagner und Co. anliefert. Edition Peters. Die Geschichte erdrückt die Gegenwart. Witzig? Hermes ist Teil eines kulturkapitalistischen Systems und denkt gar nicht daran, Ariadne vom Leben zu erlösen. Das könnte lustig sein, was sich Regisseurin Yona Kim da in Mannheims Alter Schildkrötfabrik ausgedacht hat, doch wer hat dieses Werk, die „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss, in der Librettist Hugo von Hofmannsthal ja schon offensichtlich nach Witz sucht, jemals richtig witzig erlebt?

Yona Kim versucht am Nationaltheater Mannheim, spielerisch Humor aus "Ariadne auf Naxos" zu destillieren

Am Nationaltheater feierte sie zuletzt 2009 Premiere. Mit Zerbinetta Antje Bitterlich, Tenor István Kovácsházy und der überdimensioniert vibrierenden Caroline Whisnant als Ariadne! Regisseurin Monique Wagemakers hatte einen zeitkritischen Ansatz und fokussierte die Vereinsamung des Individuums in einer kalten, von materiellen Zwängen bestimmten Welt, die regiert wird von einer Art Geldadel, der sich das Aufeinanderprallen von Oberschichten- und Unterschichtenkultur eiskalt erkauft. Die Sache war schön, kühl, spaßlos.

Possen-Personal: Gestalten:  Raphael Wittmer, Rafael Helbig-Kostka, Bartosz Urbanowicz, Christopher Diffey, Jelena Kordic und Amelia Scicolone in ihren Rollen. © Christian Kleiner

Kim geht nun einen artifizielleren Weg, sucht im Spielerischen und Spiel mit barocken Kostümen (Falk Bauer) den Humor des Werks zu destillieren, aber irgendwie bleibt diese „Ariadne“ ein schwieriges, ein unvollendetes Meisterwerk, denn ihre Musik und Arien bleiben, was die Scherzdichte und -qualität angeht, weit hinter Hofmannsthal zurück. Nicht einmal Zerbinettas finaler Spott lässt Mundwinkel zucken: Ihr „Kommt der neue Gott gegangen, / Hingegeben sind wir stumm!“ verpufft im wagnerhaft pompösen Klang des genialen Soundtüftlers Strauss.

Es ist aber auch nicht einfach in dieser Location, die eine Mixtur aus barocker Pracht, Shakespeare’scher Offenheit und künstlichem Sandkasten (Jan Freese) ist. Immer wieder offeriert uns Kim Blicke nach draußen, die durch Livevideo (Benjamin Lüdtke) auf Brechtgardine nach innen übertragen werden. Auf- und Abtritte gehen nur rechts und links und haben immer etwas Prosaisches, was freilich dazu passt, dass Bacchus im gelben Ferrari in den zur Tramhaltestelle Nationaltheater umgestalteten Hof fährt. GR, Olymp-01 steht auf dem Nummernschild des Angeberschlittens, der mehr Rotlichtviertel als Göttersitz suggeriert, und der Tenor hatte vor seiner Metamorphose zum Bacchus ja auch etwas Zuhälterartiges an sich und glotzte der anderen Frau, Zerbinetta, sonnenbebrillt und hungrig auf den Hintern.

Yona Kim macht den Versuch einer schrillen, schnellen Actionkomödie mit schrägen Typen

Das alles ist optisch lukullisch gelöst, ja, nahezu pompös, es bietet viel Bewegung fürs Auge, und die Musik vom 35-teiligen Orchester und 17-köpfigen Ensemble unter Jãnis Liepins entfaltet mächtig Farbe und sucht oft zwingend nach der Durchleuchtung der emotionalen Hebungen und Bebungen des Strauss’schen Klangwunders. Bisweilen wünscht man sich zwar mehr rhythmische und klangliche Schärfe und Spontaneität. Das aber wird durch fantastisch großflächig angelegte Klangwelten ausgeglichen. Gut.

Strauss’ Oper „Ariadne auf Naxos“ in der Alten Schildkrötfabrik Mannheim

  • Der Komponist: Richard Strauss (1864-1949) war ein einflussreicher deutscher Komponist und Dirigent, bekannt für seine sinfonischen Dichtungen und Opern, die sich durch emotionale Intensität und klangliche Raffinesse auszeichnen. Sein Schaffen vereint traditionelle und moderne Elemente und prägte die spätromantische Musik.
  • Das Werk: „Ariadne auf Naxos“ ist Strauss’ sechste Oper und wurde 1912 in Stuttgart uraufgeführt.
  • Die Handlung: Die Oper „Ariadne auf Naxos“ wird in der Rahmenhandlung auf Wunsch des Banausen und Neureichen Jourdain, der durch Kunst und Wissenschaft sozial aufsteigen will, zusammen mit einer Posse um die Kokotte Zerbinetta aufgeführt. Das Spiel im Spiel verbindet den mythischen Ariadne-Stoff also mit einer Harlekinade. Ariadne, die sich nach dem Tod sehnt, findet neues Leben bei Bacchus, Zerbinetta verliebt sich in Harlekin.
  • Termine: 30. April und 2./4./7./10./12 Mai jeweils 19.30 Uhr.
  • Info/Karten: 0621/16 80 150.

 

Aber wo ist Kims Deutung? Bisweilen fragt man sich: Wohin will die Frau? Die Personenführung ist durchaus virtuos gelöst. Die Sphären U (Posse) und E (Oper) treffen durchaus aufeinander. Unter dem Strich sind sie sich aber zu ähnlich, um wirklich in eine Dialektik zu führen. Hinzu kommt durch die überwiegend historische Setzung auch eine große Distanz zu dem, was da unten auf der Bühne geschieht. Und auch die psychoanalytische Deutung einer einzigen (schizophrenen) Frau, nennen wir sie Zerbiadne, ist nicht gegeben.

So bleibt also der Versuch einer schrillen und schnellen Actionkomödie, in der allerlei schräges Personal die Bühne bevölkert, das in Person von Harlekin, Scaramuccio, Brighella, Truffaldin (Ilya Lapich, Rafael Helbig-Kostka, Raphael Wittmer, Bartosz Urbanowicz) oder Najade, Dryade, Echo (Estelle Kruger, Maria Polanska, Nataliia Shumska) oder Musiklehrer, Offizier, Tanzmeister, Perückenmacher, Lakai, Haushofmeisterin (KS Thomas Jesatko, Niklas Mayer, Christopher Diffey, Jordan Harding, Lennart Kost, Barbara Bernt) sehr gut singt, spricht und agiert.

Musikalisch ist das ein sehr guter Abend mit einigen Strauss-Längen, die Yona Kim auch nicht beseitigen kann

Und dann ist da natürlich eine der brillantesten Koloraturstellen der Literatur. Amelia Scicolone versucht als Zerbinetta mit „Großmächtige Prinzessin“ bei Ariadne fürs Wesen leichtlebiger Liebe zu werben. Scicolone steigt leicht bis in die Stratosphären des dreigestrichenen E empor, ihre Stimme klingt dort zwar soubrettenhaft dünn, aber immer noch kontrolliert, sie meistert die Klippen der vielen schnellen Koloraturen ziemlich souverän und findet in den wenigen tieferen Passagen auch wieder etwas Körperhaftes. Dass da in der Kadenz auch mal ein Ton nicht voll sitzt - normal. Das Teil ist höllisch schwer. Und gesungen wird hier ja live. Ihr Gegenpart Ariadne liegt bei Julia Faylenbogen in besten Händen. Die wagnererprobte Mezzosopranistin strömt im immer wieder mediantisch changierenden (etwa B und Ges) und so Welten aufreißenden „Es gibt ein Reich“ intensiv und warm. Ihre Phrasen sind emphatisch geführt und füllen mit dunkeltimbriertem Schimmer den Raum, immer bereit, etwa beim finalen „bei dir lass Ariadne sein“, ekstatische Gipfel zu erklimmen.

Einfach gut: Julia Faylenbogen als Ariadne (im Vordergrund). © Christian Kleiner

Andreas Hermanns Bacchus erreicht im Forte und Fortissimo zwar phasenweise Weltklasseniveau, Hermann zeigt mithin aber auch intonatorische und klangliche Schwächen, als würde ihm in manchen Momenten etwas Kontrolle verloren gehen. Am besten klingt er immer, wenn er mit voller Leidenschaft alle Kraft in den Ausdruck legt. Ganz stark ist auch Jelena Kordic als Komponistin. Gar nicht unbedingt nur stimmlich, wo ihr wirklich sehr gut geführter, gesunder und schön timbrierter Mezzo einen Ticken zu viel chronisches Vibrato bekommen hat. Aber als Figur ist sie hier fast die Beste.

Was soll man sagen? Musikalisch ein ziemlich guter Abend mit einigen Strauss-Längen, die Yona Kim an diesem schwierigen Ort nicht ganz weginszenieren konnte. Viel Beifall.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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