Nationaltheater

Themenwoche "Ostopia" widmet sich 20 Jahren EU-Osterweiterung

"Haushaltsperle" oder Spargelstechen - wie werden Arbeitsmigranten aus Osteuropa hierzulande behandelt? Wie sehen Erfahrungen, Hoffnungen oder Enttäuschungen aus? Das NTM widmet den komplexen Fragen die Themenwoche "Ostopia"

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Krakau treibt es bunt in Platons „Staat“: (v. li.) Mateusz Bieryt, Marcin Kalisz, Marcin Sianko, Karolina Kazon, Linda Pöppel und Wojciech Dolatowski. © Bartek Barczyk

Mannheim. Wie viel Demokratie und Gerechtigkeit ist geblieben und was ist aus den Hoffnungen in Ost und West geworden? Diese Fragen stellt Anfang Mai das Mannheimer Nationaltheater (NTM) aus gegebenem Anlass: Am 1. Mai 2024 ist es zwanzig Jahre her, dass Estland, Malta, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern der Europäischen Union beigetreten sind. Bulgarien, Rumänien und Kroatien haben sich dann in den darauffolgenden Jahren bekanntlich angeschlossen.

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Knapp zwanzig Jahre später sind nun oft Ernüchterung und Enttäuschung an die Stelle der Euphorie getreten. Antieuropäische Tendenzen machen sich in ganz Europa breit, es werden neue Grenzzäune errichtet und soziale Ungleichheit prägt nach wie vor das Leben vieler EU-Bürger und Bürgerinnen.

Ernüchterung und Perspektiven im Vorfeld der Europawahlen

Das NTM geht nun zehn Tage lang in unterschiedlichen Formaten auf die Suche nach Ursachen und Perspektiven. Die Themenwoche „Ostopia“ will mit Gastspielen, Wiederaufnahmen aus dem eigenen Repertoire, vielen Podien und Lesungen die Entwicklung in und außerhalb Deutschlands nach 2004 diskutieren und - wie stets hochpolitisch motiviert - neue Visionen für ein demokratischeres, gerechteres und inklusiveres Europa entwickeln.

Pünktlich zu den anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament blickt die Schauspielsparte mit Theateraufführungen, Stadtprojekten, Podiumsdiskussionen, Begegnungsformaten und Musik auf die vergangenen zwanzig Jahre und reflektiert das Konzept der Osterweiterung mit Ausblick in die Zukunft.

Exquisites Kernstück der Themenwoche ist das Gastspiel „Der Staat / Panstwo“. Die in Kooperation mit dem NTM entstandene Produktion des Juliusz Slowacki Theater im polnischen Krakau besteht in einer Bühnenbearbeitung des philosophischen Dialogs „Der Staat“ des griechischen Philosophen und Sokrates-Schülers Platon. Die Streitschrift entstand etwa 387-367 vor Christus und hat seither weder an menschlicher Konfliktstruktur noch an Übertragbarkeit verloren. Geprobt und produziert wurde in Krakau, wo auch die Premiere stattfand (wir berichteten). Als Gastspiel ist sie nun am 4. Mai, 19.30 Uhr, und am 5. Mai, 18 Uhr, auch in Mannheim, im Alten Kino Franklin zu sehen.

Das Stück zur Zeit: Kurz nach den Parlamentswahlen in Polen, die von antideutschen Ressentiments gekennzeichnet waren, und während der Diskussionen um Machtmissbrauch des Präsidenten Andrzey Duda kommt es bei dieser Kooperation zum deutsch-polnischen Dialog. Der polnische Starregisseur Jan Klata brachte eine moderne, tiefgründige wie gewagte Interpretation eines der wichtigsten Werke Platons auf die Bühne - in altgriechischer, polnischer und deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln. Die Premierenparty im Anschluss findet dann in Form eines Konzertes der ukrainischen Band Fo Sho (Miriam, Siona und Betty Endale) im Theatercafé statt.

Danach geht es mit Highheels auf den Balkan: Im Rahmen der NTM-Kurzformatreihe „Ins kalte Wasser“ produzierte Regieassistentin Milica Cortanovacki einen Beitrag, den sie nun als Drag King Milo mit NTM-Ensembleschauspieler Sandro Sutalo als Drag Queen Sara Jevo (Donnerstag, 2. Mai, 22.30 Uhr) für „Dragan’s Drag Race“ im Casino wiederbelebt. Die beiden gehen auf eine musikalische Reise durch die Geschichte Jugoslawiens - mit Snacks, Schnaps und anschließender Balkan-Party.

Der Spargel in der gereckten Faust als Symbol für Arbeitsmigration

Für „Ostopia“ wirbt ein quietschbuntes Plakat mit gereckter Faust, die einen Spargel umklammert. Passend dazu beleuchtet ab 3. Mai die Ausstellung „Fair und nachhaltig? Ausbeutung hat Saison!“ des Bildungswerks der Heinrich-Böll-Stiftung im Franklin-Foyer die Situation von Saisonarbeit in der deutschen Landwirtschaft. Im Rahmenprogramm sticht dazu „Ein Pfund Spargel“ von Beata Anna Schmutz und Ewe Benbenek, deren Stück in der hauseigenen Inszenierung „Juices“ ebenfalls im Programm ist, am 10. Mai in die Wunden die polnische Arbeitsmigration auf hiesigen Spargelfeldern.

Ab 19 Uhr sprechen im Theatercafé auf Franklin die polnische Journalistin Karolina Wigura und der slowakische Queeraktivist und DJ Roman Samotny über Gegenwart und Zukunft Europas. Das hauseigene Gesprächsformat „Haymatministerium“ ist am 9. Mai dann Menschen mit Geschichte im ehemaligen sogenannten Ostblock und antiosteuropäischem Rassismus gewidmet.

Und noch ein Podium: „Ost-Talk Arbeit: Der wahre Preis der Arbeits-migration“ fragt am 11. Mai: „Welche Abhängigkeiten und Ungleichgewichte entstehen und welche Auswege sind möglich?“

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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