Schwetzingen. Da ist die Hoheit also hinabgestiegen. Sieben Stufen sind es, dann kann Carl Theodor alles andere um sich herum vergessen. Dunkler Lahnmarmor umgibt ihn in der Grotte, aus einer Urne und aus vier mit fein modellierten Schlangenköpfen versehenen Bleirohren plätschert warmes Wasser. Es reicht dem Kurfürsten etwa bis zur Brusthöhe, wenn er auf einem der zwei Marmorbänkchen am Rande Platz nimmt. Vasen mit Lavendel und Rosenblätter verbreiten Wohlgerüche. So sieht es aus, wenn in der Barockzeit ein - wie man heute sagen würde - Wellnesstag stattfindet.
„Carl Theodor hat an heißen Sommertagen hier in lauwarmem Wasser Entspannung gefunden“, weiß Ralf Wagner. Er ist nicht nur Konservator für das Schloss Schwetzingen bei den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg, sondern hat auch über das Bauhaus promoviert - der allerbeste Kenner daher. Richtig heiß, so erklärt er, könne das Badewasser in der einige hundert Liter schluckenden ovalen, in den Boden eingelassenen Grotte indes nicht gewesen sein: „Marmor schluckt Wärme, mehr als lauwarm wird es also nicht!“
Rußschicht als Beweis
Aber erholsam ist das sicherlich - einschließlich Ausblick. Reliefs aus Stuck mit Najaden als Wasserträgerinnen zieren die Wände ebenso wie ein riesiger Stuckvorhang. Überall sind Halbedelsteine - wie Bergkristalle und Lapislazuli - angebracht, entnommen den reichhaltigen Beständen des Naturalienkabinetts im Mannheimer Schloss. „Dann standen überall Kerzen, das hat herrlich geglitzert und gefunkelt“, beschreibt Ralf Wagner die Szenerie. Direkt über dem Becken lässt eine offene Dachlaterne nicht nur Sonnenlicht direkt auf das Wasser scheinen. „So kann auch der Wasserdampf nach oben abziehen, ohne dass er den Stuck beschädigt“, so Wagner.
Schlossgarten Schwetzingen
- Adresse: Schloss und Schlossgarten Schwetzingen, Schloss Mittelbau, 68723 Schwetzingen.
- Öffnungszeiten: Schlossgarten bis 29. Oktober täglich 9 bis 21 Uhr, letzter Einlass 19.30 Uhr.
- Badhaus: Nur bis Mitte Oktober Samstag/Sonntag/Feiertag von 10 bis 18 Uhr, Montag bis Freitag 12 bis 18 Uhr geöffnet.
- Eintritt: Schlossgarten 7 Euro, ermäßigt 3,50 Euro, Familien 17,50 Euro.
- Kombiticket: Kombiticket bis 31. Oktober für 15 Euro für Erwachsene sowie für Ermäßigte für 7,50 Euro und für Familien für 38 Euro, das für den Schlossgarten Schwetzingen sowie den Rundgang mit Audioguide im Barockschloss Mannheim gilt. Zusätzlich erhält jeder Besucher noch eine kleine Überraschung an den jeweiligen Schlosskassen. Das Kombiticket kann in diesem Zeitraum an unterschiedlichen Tagen eingelöst werden.
- Anreise: Zug bis Bahnhof Schwetzingen, von dort zehn Minuten zu Fuß, oder Bus 711 ab Mannheim bis Schlossplatz. Mit dem Auto über die B 36 zum Parkplatz am Alten Messplatz in 300 Metern Entfernung.
„Raffiniert“ nennt er das, an anderer Stelle „genial“, wenn er die Funktionalität und die architektonische Formensprache der Anlage erläutert. Nicht verstehen kann er Behauptungen, das Badhaus sei nie benutzt, sondern nur zur Zierde angelegt worden. Er hat gleich zwei Belege, die dagegen sprechen. Einmal zeigt eine dicke Rußschicht in der nahen, eigens zum Erhitzen des Wassers eingerichteten Badhausküche, von der die Wasserleitungen in die Grotte verlegt sind, dass sie „ganz eindeutig mehrfach befeuert wurde“, wie er betont. Zudem sei „die Technik so ausgefeilt, der architektonische Aufwand so riesig - dafür gibt man kein Geld aus, wenn man es nicht nutzen will“, argumentiert er.
Einsame Spaziergänge
Allein der Weg zum Badhaus und dessen Umfeld seien „eine einzige Inszenierung“. Zunächst ist ja selbst dann, wenn der Kurfürst in seiner Schwetzinger Sommerresidenz weilt, der Schlossgarten öffentlich zugänglich. Hier kann man den Herrscher beim Spaziergang treffen, den er gerne alleine unternimmt - ohne Diener. Daher, so ist es überliefert, wird er 1774 in der sehr weitläufigen Anlage sogar einmal von einer Räuberbande überfallen.
Generell ist eben im Absolutismus ein Regent eine öffentliche Person, ja sogar das Schlafzimmer dient zum Empfang hochrangiger Gäste. „Die Kammerdiener schliefen ja sogar auf Matratzen am Fuß des Bettes von König Ludwig XIV“, so Wagner, „ein absolutistischer Herrscher war nie allein, immer von Lakaien umgeben“, erläutert er.
Der ab 1742 in Mannheim regierende Carl Theodor - als gelehrt, aber sehr zurückhaltend geltend - schätzt indes die Einsamkeit und möchte sich in dieser Hinsicht den Regeln der Zeit nicht ganz unterwerfen. „Er will Privatsphäre, ein Privatim - das hat damals kein regierender Fürst“, begründet Wagner die Initiative zum Bau des Badhauses. Das sei ein „absolutes Novum“ in der Baukultur jener Epoche.
Dort, wo es entsteht, ist daher auch zur Barockzeit der öffentliche Bereich des Schlossgartens zu Ende. Es gibt einen verschlungenen Laubengang vom Merkurtempel her, Mäuerchen, dichte Bepflanzungen, nach einer kleinen Treppe mit vier Stufen ein - heute nicht mehr existierendes - Gittertor, das zu durchschreiten sich nur nach persönlicher Einladung geziemt.
Den Auftrag zum Bau des einem kleinen, eingeschossigen Lustschlosses ähnelnden Badhauses erhält 1768 der lothringische Baumeister Nicolas de Pigage (1723-1796), vom Kurfürsten zum Oberbaudirektor der Kurpfalz und auch zum Gartendirektor ernannt. Auf ihn gehen die prächtige Gartengestaltung ebenso wie viele Bauten - vom Hoftheater bis zur Orangerie, dem Naturtheater mit Apollotempel und dem Minervatempel, das Wasserkastell und die Moschee - zurück. Zur Gestaltung des Badhauses inspirieren ihn die Villenarchitektur des venezianischen Adels ebenso wie vornehme englische Landsitze.
Bücher und Tee
Von außen signalisiert Pigage ganz klar, für wen er das Badhaus baut. Die Initialen „CT“, der Kurhut, der Krönungsmantel - all diese architektonischen, mit Blattgold versehenen Attribute mögen zunächst als reine Zier wirken, aber sie weisen deutlich auf den Auftraggeber hin. Das gilt ebenso für die zwei korinthischen Säulen am Eingang - so etwas steht nur Herrschern zu. Fenster und Türen haben alle Lamellen - ganz bewusst: Man kann also hinaus, aber nicht hineinschauen.
Betritt man den Empfangsraum, fällt der erste Blick auf das Deckengemälde „Aurora vertreibt die Nacht“ von Nicolas Guibal. „Es täuscht den Blick in den natürlichen Himmel vor“, erläutert Wagner unter Hinweis auf die Göttin der Morgenröte, die mit dem Sonnenwagen das Licht bringt, begleitet von Putten und Tauschwestern - ein Sinnbild für den Lauf der Zeit, dem der Mensch sich nicht entziehen kann.
Weibliche Statuen zeigen die Jahreszeiten. Man sieht Ähren, Weinlaub, Efeu und Blumen aus vergoldetem Stuck. Alles ist sehr verspielt, sehr natürlich, sommerlich-heiter und durchaus kostbar ausgestattet, doch was auffällt: „Es fehlen alle architektonischen oder künstlerischen Anspielungen auf den Herrscher - denn hier ist er Privatmann“, so Wagner.
Ein Arbeitszimmer existiert dennoch. Ein Sekretär mit wertvollen hölzernen Einlegearbeiten steht hier. „Das Original ist aber leider verschwunden“, verrät der Konservator, denn in den 1970er Jahren habe es hier mal einen Einbruch gegeben. Nachträglich auf Wunsch von Carl Theodor eingebaute Bücherregale sprechen dafür, wie gerne sich der Regent der Lektüre gewidmet hat - auch in Fremdsprachen übrigens, denn er kann Französisch, Italienisch, Latein, auch Englisch. Er liest Shakespeare im Original.
Sieben Landschaftsgemälde von Ferdinand Kobell schmücken die mit poliertem Nussbaum, Mahagoni und Rosenholz vertäfelten Wände. Ein Ruhesofa steht in einer von Säulen flankierten Nische. Auch hier, wie am Eingang, sind die korinthischen Säulen der einzige Hinweis, wer hier ruht. „Es gibt kein Wappen, keinen Thron, nichts - es sind private Räume“, unterstreicht Wagner.
Das setzt sich im Teezimmer, dessen Wände mit Original chinesischen Papiertapeten versehen sind, fort. Auf dem Tisch steht ein Teeservice aus Frankenthaler Porzellan, mit chinesischen Motiven bemalt - und es liegen fünf Kekse da, als sei Carl Theodor gerade aufgestanden.
Ebenso beeindruckend der Schlafraum, dekoriert mit gelber Seidentapete, ursprünglich handbemalt mit Vögeln, Phäonien, Lotusblumen. „Er hat sich hier eine Traumwelt geschaffen“, sagt der Konservator über den Bauherren, wobei zwei Details wieder wichtige Erkenntnisse bringen. Sein - im Original erhaltener - Leibstuhl, der in einer Nische mit Abluftrohr steht, und eine hölzerne Waschkommode zeigen, dass das Bett nicht nur zur Zierde hier steht, sondern dass der Regent hier wirklich geschlafen, sich hier gewaschen und rasiert hat.
Blick nach Mannheim
Sechs Sommer lang dient das Badhaus ihm als intimer Rückzugsort. 1772 ist das Gebäude fertig, 1778 - da schon in München regierend - hält sich Carl Theodor hier letztmals auf. Wo auch immer er aus den Fenstern schaut, blickt er ins Grüne - oder, im übertragenen Sinne, nach Mannheim. Über das Vogelbad geht der Blick durch den halbrund geschlossenen Laubengang zum Perspektiv „Ende der Welt“, einer Trompe-l’oeil-Malerei (gemalte Augentäuschung), die den Zusammenfluss von Neckar und Rhein im paradiesischen Urzustand zeigen soll.
In diesem Ambiente findet Carl Theodor Ruhe, hier kann er die Strenge der höfischen Etikette abstreifen. „Heute würde man sagen: Es ist sein Bereich zum Chillen“, so Ralf Wagner schmunzelnd. Der Regent liest, er musiziert, er philosophiert, diskutiert und entspannt sich - aber nur mit sehr ausgewählten Gästen, im ganz kleinen Kreis. „Er hatte beinah allen Glanz, jede Miene der zweifelnden Hoheit abgelegt und schien nur guter Mensch und liebenswürdiger Gesellschafter zu seyn“, erinnert sich zum Beispiel der schwäbische Dichter und Musiker Christian Friedrich Daniel Schubart an einen Besuch 1773 im Badhaus, „einem kleinem, aber ungemein geschmackvollen Gebäude“, wie es in dem Text heißt.
Kein Liebesnest
„Kein Mensch weiß vielleicht besseren Gebrauch von seiner Zeit zu machen, als dieser erhabene Fürst. Spaziergänge in seinem Zaubergarten, Leserey in den besten Schriften verschiedener Sprachen, Unterhaltung mit Leuten von Geschmack, Sitte und Gelehrsamkeit und alle Abend Musik im Badhause, oder Concert, oder Oper“ beschreibt Schubart in seiner „Deutschen Chronik“ 1774 diesen „weisen und guten Fürsten.“
Nur eines, das stellt Wagner klar, ist das Badhaus nie gewesen: ein Liebesnest. Die Ehe zu seiner Frau Elisabeth Augusta gilt seit 1761, als der so ersehnte Thronfolger kurz nach der Geburt stirbt, ohnehin als zerrüttet. Das Ehepaar geht getrennte Wege. Im Badhaus ist kein Platz für sie - kein Bett, kein Möbelstück, nichts, alles ist nur auf eine einzige Person zugeschnitten. „Keinerlei Belege“ gebe es indes auch für die Spekulationen, Carl Theodor habe sich hier im Wasser oder in einem der Räume mit einer Mätresse vergnügt.
Seine Lieblingsfrau, die Tänzerin Josepha, die ihm vier Kinder schenkt und für die er das „Palais Bretzenheim“ in Mannheim baut, stirbt schon 1771, „da war das Badhaus noch gar nicht fertig“, stellt Wagner klar. In den Jahren, als er das Badhaus nutzt, sei Carl Theodor von Trauer erfüllt gewesen, „erst in München hatte er wieder Mätressen“.
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